Rechtsextremismus:Die Nazis aus dem Schrebergarten

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Ein Angeklagter in einem Neonazi-Prozess. Anderen Mitgliedern der Szene sieht man ihre Weltsicht heute nicht mehr an. Sie führen scheinbar bürgerliche Existenzen. (Foto: Matthias Hiekel/dpa)

Bayerns größte Skinheadgruppe "Voice of Anger" kommt aus dem Allgäu. Dort sind die Mitglieder Teil der Gesellschaft, besitzen Immobilien oder ein Musiklabel.

Von Thomas Balbierer, Kempten/Memmingen

Der Ort, den sich die Allgäuer Neonazis von "Voice of Anger" als Treffpunkt ausgesucht haben, könnte kleinbürgerlicher kaum sein. Die Schrebergartensiedlung Buxach-Hart im Südwesten Memmingens besteht aus vielen kleinen Gemüsegärten, die durch hüfthohe Maschendrahtzäune abgegrenzt sind. Die schmalen Schotterwege dazwischen heißen "Nelkenweg" oder "Rosenweg". Ein kleiner Bach rauscht an der Anlage vorbei. Ein Vogelhäuschen ist mit dem Wappen des VfB Stuttgart bemalt.

An diesem Mittwoch ist das Gelände verlassen, nur ein älterer Hobbygärtner werkelt mit einem Spaten in seiner Parzelle. Spricht man ihn auf die Skinheadgruppe an, bezeichnet er sie ironisch als "unsere Freunde". Manchmal sehe er Mitglieder auf dem Parkplatz, sonst bekomme er vom Treiben der Rechtsextremen nicht viel mit, sagt der Mann. Er zeigt einem dann noch den Weg zum Klubhaus von "Voice of Anger", einer ehemaligen Wirtschaft am Rande der Gartensiedlung.

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Die 2002 im Allgäu gegründete Vereinigung ist nach Angaben des bayerischen Verfassungsschutzes die derzeit mitgliederstärkste Skinheadgruppe Bayerns. Die Behörde geht von 60 Mitgliedern und Sympathisanten aus, tatsächlich erreicht "Voice of Anger" jedoch weitaus mehr Personen.

Zu einem Konzert anlässlich des 15. Jubiläums erschienen am 7. Oktober 2017 etwa 250 Besucher aus der Neonazi-Szene. Rechtsextremistische Konzerte spielen für "Voice of Anger" eine große Rolle. Dort leben die Anhänger ihre "subkulturell-neonationalsozialistischen" Ansichten aus, so der Verfassungsschutz. Eine der Führungsfiguren der Vereinigung betreibt in der Gemeinde Wolfertschwenden im Landkreis Unterallgäu ein rechtsextremistisches Musiklabel namens "Oldschool Records". Die Firma war schon häufiger Ziel polizeilicher Ermittlungen, aktuell ist ein Revisionsverfahren am Oberlandesgericht München gegen den Inhaber anhängig. "Oldschool Records" vertreibt online Musik und Fanartikel aus der rechtsextremen Szene.

In der Schrebergartensiedlung Buxach-Hart blühen Ende März bereits Krokus und Schneeglöckchen, die meisten Gemüsebeete sind jedoch noch kahl. Auf dem Weg zur ehemaligen Gartenschänke, die ein "Voice of Anger"-Anhänger 2016 gekauft hat, kommt man an vielen dekorierten Wellblechschuppen vorbei, Holzräder, Geweihe oder Hufeisen schmücken die Häuschen. Das Skinhead-Heim hingegen ist verbarrikadiert, Fensterläden sind geschlossen, unter dem Dach ist eine Videokamera installiert. An einem Teil des Hauses fehlt die dunkle Holzfassade, das Dach ist teilweise abgedeckt. Kurz nachdem bekannt wurde, dass "Voice of Anger" die ehemalige Gaststätte erworben hat, steckten Linksextreme das Gebäude im April 2016 in Brand. Laut Verfassungsschutz bekannte sich eine Gruppe namens "Rats against Facism" zur Tat. Es entstand ein Schaden von etwa 30 000 Euro. Am Dachgiebel sind noch heute Rußspuren zu sehen.

Nach aktuellen Recherchen wird das Clubhaus wieder genutzt. Doch sie hätten ohnehin genug Ausweichmöglichkeiten, sagt Sebastian Lipp. Der Journalist aus Kempten kennt die rechtsextreme Szene im Allgäu sehr gut. Seit Jahren recherchiert der 30-Jährige dem Treiben von "Voice of Anger" und anderen Neonazis hinterher und berichtet für diverse Medien, unter anderem für Zeit Online. Auf dem Blog Allgäu rechtsaußen dokumentieren Lipp und Kollegen minutiös Aktivitäten von Rechtsradikalen, vor Kurzem haben sie sogar eine Broschüre über "Voice of Anger" herausgebracht. "Der Rechtsextremismus hat im Allgäu eine lange Tradition", sagt der Journalist. Bereits in den Neunzigern habe es eine Gruppe namens "Skinheads Allgäu" gegeben, die sich sogar ins Vereinsregister habe eintragen lassen, so Lipp. Ein Fehler, denn daraufhin wurde die Gruppe vom Innenministerium verboten. Das war 1996.

"Voice of Anger" bestehe, so Lipp, aus vielen Anhängern, die schon damals aktiv gewesen seien. Das verleihe der Gruppe Stabilität, sagt Lipp. Der Journalist beobachtet auch, dass "Voice of Anger" stark mit anderen Neonazi-Kreisen vernetzt sei. Er sieht "enge Verbindungen" zu der im Jahr 2000 verbotenen Neonazi-Organisation "Blood & Honour", aus der auch die Terrorgruppe NSU um Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hervorgegangen ist. Lipp sieht "Voice of Anger" in der Nachfolge des verbotenen Netzwerks und fragt sich, warum der Staat die Gruppe nicht auch verbietet. Die Szene sei nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch international gut vernetzt, betont Lipp.

Im Allgäu treten die Neonazis selten öffentlich in Erscheinung. Konzerte und andere Events veranstalten sie in privaten Immobilien. Vielleicht wurden sie auch deshalb lange nicht wahrgenommen. "Das Klischee Glatze, Tattoo, Bomberjacke und Springerstiefel gilt nicht mehr", sagt Lipp. Viele Neonazis, denen er nachrecherchiert, seien Teil der Gesellschaft. Sie würden beim Sicherheitsdienst arbeiten, als Landwirt einen Hofladen betreiben oder eben ein eigenes Musiklabel führen. "Vielen Neonazis sieht man heute ihre Weltsicht nicht mehr an", sagt Lipp. In Illertissen kauften zwei Männer eine ehemalige Kirche und richteten dort eine Location für Hochzeiten und andere Feste ein - ein Angebot für die ganze Gesellschaft. Lipp fand heraus, dass einer der Männer eine enge Verbindung zu "Voice of Anger" hatte und kontaktierte dessen Geschäftspartner. Der wusste davon nichts und beendete die Zusammenarbeit. Trotz ihres Gedankenguts führen viele Sympathisanten "bürgerliche Existenzen", sagt Lipp.

Was jedoch passieren kann, wenn die Neonazis aus ihren Schlupfwinkeln wie dem Clubhaus im Schrebergarten an die Öffentlichkeit drängen, konnte zum Beispiel am 17. November 2018 beobachtet werden. Da führte "Voice of Anger" laut Verfassungsschutz im Allgäu Aktionen zum sogenannten "Heldengedenken" am Volkstrauertag durch. Neonazis gedachten deutschen Soldaten aus den beiden Weltkriegen und legten Kränze, Holzkreuze und Kerzen nieder. Die Soldaten werden als "Helden für Volk und Vaterland dargestellt", so der Verfassungsschutz.

Sebastian Lipp hat für eine Recherche eine Veranstaltung des Pegida-Ablegers Allgida in Obergünzburg (Landkreis Ostallgäu) begleitet. "Da waren 150 Nazis vor Ort", sagt Lipp. "Aber keine Polizei." Es sei zu Hitlergrüßen gekommen, Teilnehmer hätten sich vermummt. Die Rechtsradikalen hätten Gegendemonstranten bepöbelt - eine "unglaublich aufgeladene Atmosphäre", so Lipp. Im Allgäu aber, das hat er aus der Polizeistatistik berechnet, "vergehen keine zwei Tage ohne rechts-motivierte Straftat."

Derzeit konzentriert sich "Voice of Anger" auf interne Aktivitäten. Was jedoch, falls es nicht dabei bleibt? Auf Facebook ist er auf ein Foto gestoßen, auf dem offensichtliche "Voice of Anger"-Mitglieder mit Waffen auf dem Schießstand üben. Als Zielscheiben dienen ihnen Fotos von Rabbinern, jüdischen Geistlichen. Eine Botschaft, die nicht nur den Journalisten fassungslos machen sollte.

Anmerkung der Redaktion: In einer frühen Version des Textes hieß es, es sei unklar, ob das Clubhaus im Schrebergarten genutzt werde. Nach neueren Erkenntnissen wird es wieder genutzt. Zudem hieß es, Sebastian Lipp habe ein Heldengedenken in Obergünzburg begleitet. Dabei handelte es sich aber um eine Veranstaltung des Pegida-Ablegers Allgida. Der Text wurde dementsprechend präzisiert.

© SZ vom 17.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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