Prozess:"Nichts kann die Lücke füllen, die Janina hinterlassen hat"

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Ein Kreuz mit Lichtern erinnert in Unterschleichach an die elfjährige Janina. (Foto: dpa)
  • Im Fall der getöteten elfjährigen Janina aus Unterschleichach fordert der Staatsanwalt lebenslange Haft für den beschuldigten Roland E.
  • Der Gerichtspsychiater dagegen schließt nicht aus, dass E. vermindert schuldfähig war.
  • Schließt sich das Gericht dieser Einschätzung an, könnte es statt der lebenslangen eine zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe zwischen fünf und 15 Jahren verhängen.
  • Der Verteidiger des 54-Jährigen sieht nur eine fahrlässige Tötung.

Von Hans Holzhaider, Bamberg

"Ein Verbrechen, dessen Sinnlosigkeit und Absurdität schwer zu ertragen ist" - so sieht der Bamberger Oberstaatsanwalt Otto Heyder die Tat von Roland E., der in der Silvesternacht vor einem Jahr in Unterschleichach (Landkreis Haßberge) die elfjährige Janina M. mit einem Revolverschuss tödlich verletzte.

Aus Sicht des Staatsanwalts war das ein Mord, begangen aus Verärgerung und Wut über die Silvesterknallerei vor dem Haus des 54-Jährigen. Weil der Täter die Arglosigkeit seines Opfers ausgenutzt und sich bewusst so postiert habe, dass er von den Personen, auf die er schoss, nicht bemerkt werden konnte, sei auch das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt, sagte Heyder. Dafür, so der Staatsanwalt, gebe es nur eine Strafe: lebenslange Haft.

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Es war ein Strafantrag, der nach dem zuvor erstatteten Gutachten des Gerichtspsychiaters Jörg Groß nicht unbedingt zu erwarten war. Denn Groß hatte zumindest eine Chance für Roland E. eröffnet, an der lebenslangen Freiheitsstrafe vorbeizukommen. Er schloss nicht aus, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat in seiner Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt war.

Als Folge seiner schweren Erkrankung - Roland E. leidet unter einer Zwerchfelllähmung, einer chronischen Bronchitis und einer Gürtelrose - habe sich bei dem Angeklagten eine leicht- bis mittelgradige Depression entwickelt, sagte Groß. Dazu komme die schwierige Lebenssituation. Seine Lebensgefährtin hatte ihn verlassen und den Sohn, an dem Roland E. sehr hängt, mitgenommen. Gerade an einem Tag wie Silvester sei das sicherlich belastend für Roland E. gewesen. Wenn das Gericht dieser Einschätzung folgt, könnte es statt der lebenslangen eine zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe zwischen fünf und 15 Jahren verhängen.

Oberstaatsanwalt Heyder will Roland E. aber diesen Milderungsgrund nicht zubilligen. Zwar sei der Angeklagte sicher kein bösartiger Mensch, sagte er. Zeugen hätten ihn als gutmütig, zuverlässig und hilfsbereit geschildert, aber auch als einen, der wenig entscheidungsfreudig sei und Problemen ängstlich aus dem Weg gehe. In der Tatnacht habe Roland E. aber aus absolut nichtigem Beweggrund und aus krasser Eigensucht gehandelt - "menschlich nicht nachvollziehbar", sagte Heyder.

Roland E.s Verteidiger Thomas Drehsen glaubt nicht, dass sein Mandant den Tod des Mädchens, wie es im Juristendeutsch heißt, "billigend in Kauf nahm". Eine solche Tat sei dem Angeklagten "wesensfremd", auch wenn er sicher die Gefährlichkeit seines Handelns erkannt habe. Er sei deshalb nur wegen einer fahrlässigen Tötung zu verurteilen. Aber auch wenn das Gericht den Tötungsvorsatz bejahe, sei die Tat rechtlich als Totschlag und nicht als Mord zu bewerten. "Er hat die Arglosigkeit des Opfers nicht bewusst erfasst, und angesichts seiner seelischen Situation gab es auch keinen niedrigen Beweggrund", sagte Drehsen. Deshalb komme nur eine zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe in Betracht.

Die Mutter sagt: Es wird von Tag zu Tag schlimmer

Für Janinas Mutter wird das Leben nie mehr so sein wie vor dem Tod ihrer Tochter. "Man sagt, die Zeit heilt Wunden", sagt der Vorsitzende Richter Manfred Schmidt, als er Magdalena W. kurz vor dem Ende der Beweisaufnahme noch als Zeugin aufruft. Magdalena W. schüttelt entschieden den Kopf. "Nein", sagt sie, "es wird von Tag zu Tag schlimmer." Als Janina sechs Jahre alt war, trennten sich die Eltern; seitdem erzog Magdalena W. ihre Tochter alleine. "Das waren die schönsten Jahre meines Lebens", sagt sie. Sie hat wieder geheiratet; eine Woche, bevor Janina starb, bekam sie ihr zweites Kind, einen Sohn. "Aber nichts kann die Lücke füllen, die Janina hinterlassen hat. Sie fehlt mir jeden Tag. Ich bin nicht die Person, die ich war, auch nicht die Mutter die ich sein möchte. Es ist ein Kampf. Jeden Morgen stehe ich auf und frage: Wie soll ich diesen Tag durchstehen."

Wie sie jetzt, fast am Ende der Verhandlung, zu dem Angeklagten stehe, fragt der Richter. "Ich hoffe, dass ihm bewusst ist, was er angerichtet hat", sagt sie. "Was er alles zerstört hat durch diesen einen Schuss." Auch Anton M., Janinas Vater, berichtet, wie sehr er unter dem Tod Janinas leidet. "Das ganze Leben hat sich verändert", sagt er. "Ich schlafe nicht mehr, ich bin zu nichts zu gebrauchen." Er ist seit dem Tod des Mädchens in psychologischer Behandlung und arbeitsunfähig; erst jetzt, berichtet sein Anwalt, könne er allmählich wieder in sein Berufsleben zurückkehren.

Roland E. selbst blieb auch an diesem Verhandlungstag schweigsam. Mit einem knappen "Ja" räumte er lediglich ein, dass er tatsächlich aus Verärgerung über den Krach vor seinem Haus gehandelt habe. Sein letztes Wort: "Ich bitte die Eltern um Verzeihung." Er sagte es, ohne Janinas Eltern anzuschauen.

Das Urteil soll an diesem Donnerstag verkündet werden.

© SZ vom 22.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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