Prozess:"Es muss doch jemand verantwortlich sein"

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  • Nach dem Tod einer 24-Jährigen auf der A8 verklagten die Eltern den Freistaat Bayern auf Schadenersatz und Schmerzensgeld.
  • In der Berufungsverhandlung signalisierte das Oberlandesgericht München nun, dass die Klage wohl keinen Erfolg haben wird.

Von Christian Rost, Dasing/München

Weshalb die junge Frau mit ihrem Wagen von der Autobahn abgekommen und gegen eine Böschung geprallt war, wird sich nicht mehr klären lassen. Zwei andere Autofahrer hatten gesehen, dass der von der 24-Jährigen gesteuerte Audi am 26. Juli 2015 nachts um ein Uhr regelrecht von der Fahrbahn der A 8 flog. Sie sahen die Lichter des Autos in der Dunkelheit verschwinden und alarmierten Polizei und Feuerwehr. Die Rettungskräfte jedoch konnten den Wagen nicht finden, die Frau starb. Ihre Eltern wollen sich nicht damit abfinden, dass die Suche nach ihrer Tochter wegen einer Verkettung unglücklicher Umstände fehlgeschlagen war, und klagen gegen den Dienstherrn der damals eingesetzten Polizeibeamten, den Freistaat Bayern, auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 26 000 Euro.

In einem ersten Prozess hatte das Landgericht Augsburg die Forderung der Eltern abgewiesen. In der Berufungsverhandlung am Donnerstag konnte ihnen auch das Oberlandesgericht München keine Hoffnung bei ihrer Suche nach Gerechtigkeit machen. Das Urteil wird zwar erst im April verkündet. Der Senat signalisierte aber, dass die Klage keinen Erfolg haben wird. Trotz des verzweifelten Appells des Vaters der Verunglückten ans Gericht: "Es muss doch jemand verantwortlich sein und sagen: ,Wir haben einen Riesenfehler gemacht.'" Der Vorsitzende Richter antwortete: "Ich weiß, das ist sehr bitter für Sie."

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In Höhe Dasing (Landkreis Aichach-Friedberg) war der Audi von der A 8 abgekommen. Einer der Unfallzeugen war ein Urlauber aus Bremen, der Richtung München fuhr. Der Mann rief sofort den Notruf, schilderte, dass ein Auto plötzlich von der Autobahn verschwunden sei und fragte explizit, ob er auf dem Standstreifen auf die Rettungskräfte warten solle. Der Polizist in der Einsatzzentrale meinte zu dem Zeugen, das sei nicht nötig, er könne weiterfahren. "Wir sehen nach, was da ist", sagte der Beamte. Als dann gegen 1.15 Uhr eine Polizeistreife und die Feuerwehr an der Unglücksstelle eintrafen, war von einem Unfallwagen nichts zu sehen. Die Einsatzkräfte fuhren den Autobahnabschnitt ab, leuchteten den Randstreifen mit Scheinwerfern und Taschenlampen aus, fanden aber keine Spuren eines Unfalls - weder im Gras, an der Leitplanke noch dahinter an einem Wildschutzzaun.

Stattdessen stießen sie auf einen Wagen mit Anhänger, der ohne Beleuchtung auf dem Pannenstreifen stand. Der Fahrer gab an, es gebe Probleme mit der Elektrik an seinem Gespann, das Licht gehe ständig aus. Die Streifenpolizisten gingen nun davon aus, dass die beiden Zeugen dieses Gespann gesehen hatten. Die Suche nach einem Unfallfahrzeug wurde zunächst fortgesetzt. Ohne Erfolg. Erst gegen neun Uhr entdeckte ein Jogger den Audi der 24-Jährigen neben der A 8. Die Frau war tot. Sie hatte schwere Beckenbrüche erlitten und viel Blut verloren. Ein Rechtsmediziner meinte, sie sei nach dem Unfall noch mindestens eine Stunde am Leben gewesen und hätte bei schneller Hilfe womöglich gerettet werden können.

Eine Rekonstruktion des Unfalls ergab, dass der Audi ausgerechnet an einem kurzen Abschnitt von der Fahrbahn abgekommen war, wo sich keine Leitplanke befindet. Zwischen Planke und Wildschutzzaun legte der Wagen noch etwa 200 Meter auf einem Grünstreifen zurück, ehe er an einer Autobahnbrücke eine Böschung hinab stürzte und frontal gegen die gegenüberliegende Seite der Böschung prallte. Unterhalb der Brücke blieb der Audi liegen, von der Autobahn aus war er nicht zu sehen.

Die Eltern der Verunglückten sind der Ansicht, dass den Einsatzkräften gravierende Fehler unterlaufen sind. Der Beamte in der Notrufzentrale hätte den Zeugen aus Bremen nicht anweisen dürfen, einfach weiterzufahren. Er hätte an der Unglücksstelle warten sollen, um diese bei der Suche besser eingrenzen zu können. Ihre Tochter hätte gerettet werden können, sind sich die Eltern sicher. Nun fordern sie 16 288,44 Euro Beerdigungs- und Notarztkosten sowie mindestens 10 000 Euro Schmerzensgeld. Wobei der Vater betonte, es gehe ihm nicht ums Geld. "Es will mir einfach nicht in den Kopf, wie man einen Zeugen weiterfahren lassen kann."

Das Landgericht Augsburg hatte die Klage der Eltern abgewiesen, weil den beteiligten Beamten keine fahrlässige Amtspflichtverletzung nachgewiesen werden könne. Eine "nicht vorhersehbare Verkettung unglücklicher Umstände" habe dazu geführt, dass der Wagen nicht entdeckt wurde. Das Gericht teilte zwar die Auffassung der Eltern, dass mithilfe des Zeugen der Audi wahrscheinlich hätte gefunden werden können. Allerdings wäre es für den Zeugen gefährlich gewesen, auf der Autobahn bis zum Eintreffen der Polizeistreife zu warten. Deshalb sei es korrekt gewesen, dass der Notrufbeamte zwischen den Gefahren für den Zeugen auf der Autobahn und dem daraus resultierenden Nutzen abgewogen und den Mann weggeschickt habe, so das Landgericht.

Als "nachvollziehbar" wertete das Landgericht das Verhalten der Streifenpolizisten vor Ort. Die Vermutung sei naheliegend gewesen, dass die Zeugen das Gespann mit der defekten Lichtanlage als Unfall gedeutet hätten. Immerhin hätten die Beamten die Autobahn dennoch weiter abgesucht. Für den Anwalt der Eltern jedoch war dieses Bemühen nicht ausreichend: "Nachts kann man sich nicht darauf verlassen, dass man Spuren sofort sieht."

© SZ vom 16.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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