Pressefreiheit:Museum sucht Retter

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Martin Welke hat in 50 Jahren eine beeindruckende Sammlung zur Geschichte der Zeitung und der Meinungsfreiheit zusammengestellt. Doch sein Lebenswerk ist in Gefahr

Von Stefan Mayr, Augsburg

Martin Welke ist ein Besessener. Das ist schon nach wenigen Gesprächsminuten klar, und das bestätigt er selbst auch bereitwillig. "Sie merken ja, dass ich eine Hummel bin", sagt der 73-Jährige. Der promovierte Historiker nennt sich "Temperamentsbolzen" und "bekennender Bigamist": "Meine zwei Geliebten sind meine Frau und mein Zeitungsmuseum." Welke fährt seit fast 50 Jahren durch die Weltgeschichte und sammelt Exponate für sein Lebenswerk. Dabei hat er eine beeindruckende Sammlung zusammengetragen, die allerdings noch auf ihre Krönung wartet: Trotz des jahrelangen Kampfs und mehrerer Anläufe ist sein Traum von einem Deutschen Zeitungsmuseum noch nicht in Erfüllung gegangen. In Meersburg, Mainz und Wadgassen wähnte sich Welke jeweils schon kurz vor dem Ziel, doch stets kam etwas dazwischen.

Nun versucht es der gebürtige Westpreuße mit seiner Schnellsprechschnauze in Bayern. "Das ist jetzt der letzte Versuch", sagt Welke. "Irgendwann geht es nicht mehr." Trotz seiner 73 Jahre wirkt Welke motiviert und agil, doch er macht sich auch Sorgen. "Ich will alles Wissen und die Netzwerke übergeben", sagt er. Aber noch hat er niemanden, der sein Erbe übernehmen und fortführen kann. Diese Woche hat er ein Gespräch im Kultusministerium. "Es bräuchte nur eine einzige Stelle für einen Oberstudienrat und einen fünfstelligen Betrag für die Miete, das wäre es schon", sagt er. Mit dieser Unterstützung würde sich sein Projekt tragen - und für die Bürger Gewinn abwerfen, beteuert er. Wenn nicht finanziell, dann zumindest ideell.

Martin Welke hat namhafte Unterstützer. "Herrn Welkes Zeitungsmuseum muss an einem der Öffentlichkeit zugänglichen Ort gezeigt werden", fordert Harald Parigger, der Direktor der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildung (BLZ). "Es ist ein wirklicher Skandal, dass dieses Projekt bisher an kleinkarierten, meist finanziellen Widerständen gescheitert ist." Holger Böning von der Universität Bremen spricht von einer "Schande": "Für alles gibt es in Deutschland ein Museum, aber keines, das die Bedeutung der Zeitungen für die Entstehung der modernen Gesellschaft darstellt." Der Professor bezeichnet die Sammlung Welkes als "einzigartig". Die bereits existierenden Zeitungsmuseen in Aachen und Wadgassen seien von der wissenschaftlichen und kulturhistorischen Bedeutung "in keinster Weise" vergleichbar. Als Sprecher des Instituts Deutsche Presseforschung hat Böning einen Brief an Augsburgs Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) geschrieben. 30 Forscher haben unterzeichnet, unter ihnen 20 Professoren. "Wir möchten Sie bitten, dieses Geschenk anzunehmen", schreiben sie. OB Gribl antwortete freundlich und teilte mit, er teile die Wertschätzung für Welkes Werk "uneingeschränkt". Aber Gribl machte auch klar, angesichts der "katastrophalen Haushaltssituation" der Stadt könne er nicht jede Initiative unterstützen.

Relikte aus der Analogzeit - eine Kamera und die Mütze eines Verkäufers. (Foto: Stefan Puchner)

Immerhin darf Welke einen Teil seiner Sammlung im ehemaligen Ballenhaus der Augsburger Kammgarn-Spinnerei unterstellen. In dem ehemaligen Textillager hat Welke seine Exponate untergebracht. Es ist ein sehenswerter Schatz, der nicht nur zeitungsaffine Personen anspricht, sondern jeden Menschen, den der Kampf um die Meinungsfreiheit einigermaßen interessiert. Voller Enthusiasmus zieht Welke ein Original aus dem Jahr 1529 aus der Schublade: Den "Reichstags-Abschidt von Speyer". Die Geburtsurkunde der flächendeckenden Zensur in Deutschland. Welke hat Schränke voller solcher historischer Dokumente und Zeitungsausgaben.

Zur Sammlung gehören auch drei Volksempfänger, Welke nennt die Propaganda-Radiogeräte des NS-Regimes "Goebbels-Schnauzen". Er hat noch schwereres Gerät zusammengetragen: die letzte Rotationsmaschine, die in Deutschland im Bleisatz in Betrieb war. Auf ihr wurde bis 2004 die Badezeitung auf Norderney gedruckt. Und vieles mehr. Gezahlt hat Welke alles aus eigener Tasche. "Gottseidank habe ich zwei rechte Hände und das Talent, aus einer Mark einsfuffzich zu machen", sagt er. BLZ-Chef Parigger drückt es so aus: Welke habe seine Sammlung "mit kaum nachvollziehbarer finanzieller Opferbereitschaft" aufgebaut.

1989 kündigte Welke seine gut bezahlte Beamtenstelle auf Lebenszeit an der Universität, um in Meersburg am Bodensee sein Privatmuseum zu eröffnen. "Das Museum lief bis 2000 ohne Zuschuss", berichtet er. Pro Jahr seien 25 000 bis 30 000 Besucher gekommen. "Ich habe sogar Steuern bezahlt, wir können uns also selbst tragen." 2000 lockte ihn die Regierung des Saarlands nach Wadgassen. Dort sollte er endlich sein Deutsches Zeitungsmuseum bekommen. Doch mitten im Aufbau kam es zum Regierungswechsel, das Projekt wurde über Nacht gestoppt und besteht jetzt in eingedampfter Form weiter. Seitdem ist Welke auf der Suche nach einem Standort. Er sitzt im schmucklosen Besprechungsraum des Ballenhauses und nippt etwas ratlos an einer Kaffeetasse mit FAZ-Logo. "Die Zeitung muss im Ursprungsland des Druckens doch ein Denkmal haben!", ruft er.

In Augsburg lagert Martin Welke seine Exponate, darunter Deutschlands letzte Setzmaschine, die mit Bleisatz arbeitete. (Foto: Stefan Puchner)

Welke ist ein wandelndes Lexikon, oder besser: eine wandelnde Wochenzeitung. "In Straßburg kam 1605 die Zeitung zur Welt", sagt er, "aber in Augsburg wurde sie gezeugt." Von hier seien die entscheidenden Impulse ausgegangen. Die ersten Zeitungen seien auf die "Zeitungsschreibereien" aus Augsburg angewiesen gewesen, wo ein wichtiger Postknoten lag und deshalb viele Nachrichten zusammenliefen.

Auch wegen dieser Vorgeschichte bietet Welke der Stadt Augsburg an, sein Museum auf historischem Boden zu eröffnen. Doch die Vertreter der Stadt winken dankend ab. Die Geldnot. Deshalb versucht Welke sein Glück nun beim Freistaat Bayern. Er hofft auf Unterstützung aus jenem Ministerium, das für die Förderung der Bildung und der Wissenschaft zuständig ist. "Das hohe Gut der Demokratie war kein Geschenk Gottes, sondern musste unter vielen Opfern erkämpft werden", betont Welke. Dabei habe die Zeitung eine wichtige Rolle gespielt. Dieser Zusammenhang müsse jungen Menschen nähergebracht werden. Auch jenen, die aus diktatorischen Ländern nach Deutschland flüchten.

Auch Helmut Heinen, der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, appellierte im Herbst in einer Rede auf dem Zeitungskongress in Regensburg an die Staatsregierung, Welkes Projekt zu unterstützen. Allerdings ist es nicht so, dass die deutschen Zeitungsverleger Welke die Bude einrennen mit Angeboten zur finanziellen Unterstützung. Deshalb hofft er nun auf die bayerische Staatsregierung. Wenn nur eine einzige Lehrerstelle für das Museum abgestellt würde, hätte sein Projekt eine Chance. Wenn nicht, dann muss die Idee des Deutschen Zeitungsmuseums womöglich sterben.

© SZ vom 13.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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