Notfallmediziner fehlen:"Die Mutter stand schreiend daneben"

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  • Rettungssanitäter haben viel Leid gesehen. Egal wie viel Erfahrung sie haben: Viele sagen, dass ihnen Unfälle von Kindern besonders nahe gehen.
  • Kindertnofälle machten 2016 nur etwa fünf Prozent aller Einsätze in Bayern aus, trotzdem sind sie besonders heikel: Säuglinge und Kleinkinder etwa können nur schlecht Auskunft darüber geben, was ihnen wehtut.
  • In Erlangen beschäftigte sich nun eine Tagung mit dem Thema "Kleiner Patient, große Not".

Von Dietrich Mittler, München

Tausende Notfalleinsätze hat Jürgen Schüttler bereits bestritten. Dieser eine aber geht dem Direktor der Klinik für Anästhesiologie im Universitätsklinikum Erlangen nicht aus dem Sinn: Da war diese Mutter, die gerade im siebten Stock die Fenster putzte, als ihre vierjährige Tochter Sandra auf die Fensterbank kletterte, um der Mama zu helfen. Das Mädchen verlor das Gleichgewicht. "Als wir ankamen, lag das Kind schwer verletzt vor dem Hochhaus", sagt Schüttler, "die Mutter stand schreiend daneben." Schüttler weiß, wie es Notärzten in einem solchen Augenblick geht. Seit 1996 veranstaltet er die Erlanger Notfallmedizinischen Tage, an denen gut 800 Notärzte und Rettungskräfte teilgenommen haben.

Das Motto der diesjährigen Veranstaltung lautete "Kleiner Patient, große Not". Es ging um Fälle, in denen auch die Helfer an Grenzen stoßen. "Schon allein, wenn im Einsatzbefehl Begriffe wie ,schwer verletztes Kind' fallen, ist die Anspannung hoch", sagt Schüttler. Da sei es egal, wie groß die Berufserfahrung ist. Wer Rettungskräfte und Notärzte fragt, bekommt immer wieder zu hören, dass ihnen selbst ein Großeinsatz nach einem Unglück oder auch die Rettung von eigenen Verwandten nicht so nahe geht wie das Leid der Kinder.

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Die könnten einfach nicht sagen, was ihnen fehlt. Dabei könnten Symptome wie hohes Fieber, Herzrhythmusstörungen oder Krampfanfälle für Säuglinge tödlich sein, wie Michael Schroth, Chefarzt an der Cnopf'schen Kinderklinik in Nürnberg, jüngst betonte. Das erfordere schnelles Handeln. "Ein bis zwei Notrufe pro Woche betreffen Säuglinge", so rechnete Schroth mit Blick auf sein Wirkungsgebiet vor. Ihr Körperbau und ihr Herz-Kreislauf-System seien nicht mit jenem von Erwachsenen zu vergleichen. Säuglinge und Kleinkinder bräuchten deshalb andere Medikamente und andere medizinische Geräte. Folgerichtig ging Schroth in Erlangen als Referent gezielt auf die Reanimation von Kindern ein - "Update" nennt er das.

Wie wichtig Kurse dieser Art sind, zeigen die Vorjahreszahlen: Laut Schüttler waren bei den circa 430 000 Notarzteinsätzen in Bayern 3450 Patienten erst ein Jahr alt oder noch jünger. Insgesamt seien 2016 annähernd 19 800 Patienten im Alter von bis zu 14 Jahren durch Notärzte behandelt worden. "Das Einsatzstichwort ,RD2 Kind' flößt selbst erfahrenen Notfallmedizinern und Einsatzkräften Respekt ein", weiß auch Innenminister Joachim Herrmann (CSU), ein regelmäßiger Gast der Notfallmedizinischen Tage.

"Gott sei dank machen diese Kindernotfälle nur circa fünf Prozent der Einsätze aus", sagte er. Aber gerade deshalb sei es für die Rettungsteams auch schwieriger, "eine gute Routine zu entwickeln". Im März erst habe sich der Rettungsdienstausschuss im Landtag dafür ausgesprochen, die kindermedizinische Kompetenz des rettungsdienstlichen Personals zu stärken - etwa auch durch eine spezielle Notfallkarte, auf der die kinderspezifische Dosierung der wichtigsten Notfall-Medikamente verzeichnet ist.

Ein oft auf den Erlanger Notfallmedizinischen Tagen gesehener Referent fehlte dieses Mal aber: der Würzburger Notfallmediziner Peter Sefrin, lange Zeit Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte. Sefrin weilte in Berlin, wo ihn die Delegierten des Deutschen Roten Kreuzes gerade mit großer Mehrheit zum Bundesarzt gewählt hatten.

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Sefrin kennt die Herausforderungen, die bei RD2-Kind-Einsätzen auftreten. Sein Blick richtet sich indes auf weitere Problemfelder im bayerischen Notfallrettungsdienst: "Wir haben mittlerweile eine Spezialisierung in der Notfallmedizin, und nicht jedes Krankenhaus ist in der Lage, diese Spezialisierung umzusetzen", sagte er. Das verlängere die Fahrtwege der Rettungsteams.

"Aber wir müssen im Sinne der Patienten die Klinik anfahren, die in der Lage ist, eine leitliniengestützte Therapie anzubieten", sagte Sefrin, der auch Landesarzt des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) ist. Seinem Stellvertreter Florian Meier machen inzwischen Patienten zu schaffen, die auch bei Bagatellbeschwerden Notärzte anfordern. Aus Sicht der Experten ist das rücksichtslos, denn "es fehlt an Notärzten", wie Sefrin sagte. Die Lösung, über Verträge mit Kliniken Notärzte zu requirieren, scheitere oft daran, dass die selbst keine Ärzte fänden - besonders im Osten Bayerns. "Und von jenen, die sie bekommen, sprechen manche nicht gut genug Deutsch für einen Notfalleinsatz", sagte BRK-Landesarzt Sefrin.

© SZ vom 04.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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