Neuburg: Mysteriöser Todesfall:Justizspuk um aufgetauchte Leiche

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Der Fall schien abgeschlossen: Es gab ein Geständnis und ein Urteil. Ein Bauer soll von seiner Familie erschlagen, zerstückelt und an die Hunde verfüttert worden sein. Doch dann wird die Leiche des Mannes gefunden.

Es wurde viel spekuliert, auch von Kripobeamten, Staatsanwälten und sogar Richtern. Der Fall eines 2001 verschwundenen Bauern aus Neuburg an der Donau macht seit fast einem Jahrzehnt Schlagzeilen.

Überzeugt von der Schuld der Angeklagten: 2005 fiel vor dem Landgericht Ingolstadt das Urteil. Nun wird der Prozess um den mysteriösen Tod des Landwirts Rudolf R. neu aufgerollt. (Foto: dpa)

In einem ersten Prozess im Jahr 2005 kam das Gericht zu dem Schluss, dem Landwirt Rudolf R. sei der Schädel eingeschlagen, die Leiche anschließend zerstückelt und teilweise den Hofhunden zum Fraß vorgeworfen worden. Die Täter: R.s Ehefrau Hermine, seine beiden Töchter Manuela und Andrea, sowie Matthias E., der mit Tochter Manuela befreundet war. Matthias E. soll Rudolf R. mit einer Holzlatte ins Genick geschlagen haben. Gemeinsam hätten sie dann den Mann, den sie für tot hielten, in den Keller geschleift.

Weil der Mann aber noch die Beine bewegt habe, sollen E. sowie Tochter Manuela ihm mit einem Hammer mehrere Schläge auf die linke Schläfe versetzt haben. Am folgenden Tag habe E. die Leiche in Stücke zerteilt und einige Leichenteile den fünf Dobermännern auf dem Hof zum Fraß vorgeworfen. So jedenfalls stand es in dem Urteil, das die Richter der 1. Jugendkammer am 13. Mai 2005 nach 24 Tagen gefällt haben. Das Gericht stützte sich dabei auf das Geständnis des Hauptangeklagten, Matthias E. Er wurde wie auch die Ehefrau des verschwundenen Bauern zu je achteinhalb Jahren Haft verurteilt. Tochter Manuela erhielt dreieinhalb, Tochter Andrea zweieinhalb Jahre Jugendstrafe.

Seitdem der Tote im März 2009 aus einem in der Donau versenkten Auto geborgen wurde ist klar: nichts davon stimmt. Bislang ist noch nicht einmal bewiesen, ob es überhaupt ein Verbrechen gab, oder ob der Bauer nur bei einem tragischen Unfall starb.

Von diesem Mittwoch an rollt das Landgericht Landshut den Fall ganz neu auf. Erneut stehen also R.s Ehefrau und Töchter vor Gericht, sowie der Freund der älteren Tochter, Matthias E. Ihre Verteidiger streben nun in den neuen Prozess Freisprüche an. Etwas anderes ist für Klaus Wittmann, den Anwalt der Witwe, gar nicht denkbar. "Ich frage mich, wo im Moment der hinreichende Tatverdacht ist", sagt er.

Ein Geständnis und grausige Details

Aber hatte Matthias E. nicht den angeblichen Mord und die Zerstückelung der Leiche gestanden? In der Tat, das hatte er. Es wird also in Landshut auch darum gehen, wie es zu einem solchen Geständnis kam. Anwalt Wittmann erklärt sich dies zum einen mit dem niedrigen Intelligenzgrad der Angeklagten. Zum anderen damit, dass diese über "weite Teile der Vernehmungen ohne jeden rechtlichen Beistand" gewesen seien. Sie seien den Polizeibeamten "ausgeliefert" gewesen. Da sei natürlich "Druck gemacht" worden.

E. hatte also gestanden. Monate später aber hatte er sein Geständnis widerrufen. Die Ingolstädter Richter aber ließen sich dadurch nicht irritieren. Das Geständnis sei so detailreich gewesen, dass sich die Richter nicht vorstellen konnten, E. habe alles nur erfunden.

Nach dem Verschwinden des Bauern im Oktober 2001 hatte die Polizei jahrelang ermittelt, auch ein Selbstmord oder ein Unfall schienen nicht ausgeschlossen. Dabei war immer wieder vermutet worden, dass der Mann mit seinem Auto in einem Weiher oder der Donau versunken sein könnte. Mehrfach gab es entsprechende Suchaktionen. Erst Anfang 2004 folgte die Festnahme der Verdächtigen. Vier Jahre nach dem Urteil kam die Überraschung: Der Wagen mitsamt Leichnam wurde beim oberbayerischen Bergheim aus der Donau gezogen.

Fest steht: Er ist tot

Und nun? Zunächst einmal geschah nichts. Vier Monate, nachdem die Leiche des vermeintlich zerstückelten Bauern aus der Donau gefischt wurde, stellte Wittmann einen Wiederaufnahmeantrag an das Landgericht Landshut. Dort allerdings kam man zu dem Schluss, die Auffindung der Leiche sei nicht geeignet, die Schuldsprüche des Landgerichts Ingolstadt zu erschüttern. Die Begründung: Wenn der Mann schon nicht erschlagen worden war, blieben noch viele "mögliche und plausible Tötungshandlungen" übrig. Fazit: Dass er tot ist, stehe ja nun fest. Irgendwie werden sie ihn schon umgebracht haben.

Erst das Oberlandesgericht München entschied schließlich, dass eine neue Hauptverhandlung nötig ist. Die Richter in Landshut also werden zu klären haben, was wirklich geschah. Anwalt Wittmann glaubt, dass es letztlich gar nicht um einen echten Kriminalfall geht. Er geht von einem Unfall nach einem Kneipenbesuch des 52-Jährigen aus: "Ich halte es für eine realistische Möglichkeit, dass er sich betrunken hat und dann mit seinem Auto in die Donau gerollt ist."

© sueddeutsche.de/SZ vom 19.10.2010/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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