Coronavirus:"Das Hirn fährt total runter"

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Nicht jede Corona-Infektion verläuft schwer, mitunter sind die Langzeitfolgen belastender. (Foto: imago images/Future Image)

Die Langzeitfolgen des Virus können vielfältig sein, in der Corona-Ambulanz in Donaustauf werden sie behandelt. Das Angebot ist einmalig in Bayern - und dringend nötig.

Von Lisa Schnell, Donaustauf

Süßes schmeckt Kornelia Hausinger kaum noch. Wenn sie Wäsche macht, fühlt sie sich, als wäre sie einen Marathon gelaufen. Am meisten Angst aber macht ihr, was Corona mit ihrem Kopf angestellt hat, die Sache mit dem Sudoku. Die Zahlenrätsel löste die 61-Jährige ohne Probleme, auch die für Fortgeschrittene. Jetzt aber, nach ihrer Covid-Erkrankung, scheitert sie an manchen Tagen sogar an den Rätseln für Anfänger. "Das Hirn fährt total runter", sagt sie, das sei "das Allerschlimmste an der Sache."

Es ist jetzt mehr als vier Monate her, dass Hausinger aus Ruderting bei Passau nicht mehr im Krankenhaus liegt - aber Corona hat sie noch nicht losgelassen. Sie arbeitet nicht mehr im Seniorenheim, weil sie zu erschöpft ist, sie vergisst, dass sie Semmeln in den Ofen gelegt hat, es fällt ihr erst wieder ein, wenn sie schon kohlenschwarz sind. Und kaum jemand versteht sie. Oft, wenn sie erzählt, wie es ihr geht, hört sie: "Du schaust doch gut aus." Bis sie letzten Donnerstag in die Klinik nach Donaustauf fuhr und Michael Pfeifer traf.

Kornelia Hausinger, genesene Covid-19-Patientin, hat in der Corona-Ambulanz des Krankenhauses Donaustauf Hilfe für ihre erheblichen Spätfolgen der Erkrankung erhalten. (Foto: privat)

Pfeifer ist dort Chefarzt und eigentlich kein Mann, der Superlative mag. Aber ja, das muss auch er sagen, das Angebot, das er und seine Kollegen seit März in ihrer Ambulanz machen, gebe es in Bayern kein zweites Mal. Corona-Patienten wie Kornelia Hausinger, die an Langzeitfolgen des Virus leiden, gingen oft von einem Facharzt zum nächsten, Kardiologe, Neurologe, Pneumologe. Und nicht selten finde die "Organmedizin", wie Pfeifer das nennt, keine Erklärung für die Beschwerden. In Donaustauf fand Hausinger alle Ärzte auf einmal, ein "interdisziplinärer Ansatz", sagt Pfeifer. Und unter den Ärzten auch noch solche, die neben ihrem Körper auch ihren Geist in den Blick nehmen, "psychosomatischer Ansatz", sagt Pfeifer.

Ein Angebot, das offenbar gebraucht wird. Bei ihnen gingen teilweise zehn bis 15 Anrufe am Tag ein. In den ersten Wochen nach einer Covid-Erkrankung hätten mehr als die Hälfte der Patienten noch Nachsymptome, sagt Pfeifer, der gerade auch amtierender Präsident der deutschen Gesellschaft für Pneumologie ist. Sie hätten aber auch Patienten da, deren eigentliche Erkrankung schon ein Jahr zurückliegt. Zu den häufigsten Symptomen gehörten Atemnot, schnelle Erschöpfung, Kopfschmerzen, aber auch Gedächtnisstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten wie sie Hausinger hat. Alles Symptome, die sie auch von anderen Viruserkrankungen als Spätfolgen kennen, eines aber ist Pfeifer bis jetzt vor allem bei Corona aufgefallen. Neu an Covid sei, dass es auch zu schweren Langzeitfolgen kommen kann, wenn der Verlauf äußerst milde war.

So war das etwa bei Lena Kovic. Ihren richtigen Namen will sie nicht in der Zeitung lesen, es muss ja nicht jeder ihre Krankheitsgeschichte kennen, aber erzählen möchte sie schon. Sie ist 40 Jahre alt, körperlich fit, sie geht laufen, radeln, ins Fitnessstudio, oder besser - sie ging. Seitdem sie Anfang Dezember 2020 Corona hatte, muss sie sich schon hinlegen, wenn sie nur Essen gekocht hat. Dabei habe sie gar nichts gespürt, sagt sie. Die ganzen zehn Tage in Quarantäne habe sie keine Symptome gehabt, kein Halskratzen, kein Schnupfen, kein Husten. "Ich dachte, das ging einfach an mir vorbei", sagt sie.

Aber dann war sie wieder in der Arbeit, sie ist Krankenschwester, und bekam kaum Luft. Wenn sie einatmete hatte sie immer das Gefühl, "dass nichts reingeht". Ihre Kolleginnen sagten über ihre Gesichtsfarbe: "Du bist total blau." Nach zwei Stunden lag sie wieder zu Hause. Seitdem ist sie in Donaustauf in Behandlung. Nach einem umfassenden Belastungscheck und Untersuchungen, etwa von Herz und Lunge, fing sie eine Physiotherapie an. Jeden zweiten Tag macht sie zusammen mit einem Physiotherapeuten Krafttraining, Kniebeugen und Unterarmstützen. An guten Tagen schafft sie es 45 Minuten, an schlechten nur zehn Minuten. Und langsam, sehr langsam, wird es besser. "Ich hab gesehen, dass ich etwas machen kann und das hat mich motiviert", sagt Kovic.

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Die Therapien dauern oft lange, die umfassenden Untersuchungen zu Beginn in den unterschiedlichen Fachdisziplinen kosten viel Zeit, manchmal bis zu fünf Stunden. Um den Bedarf auch in Zukunft decken zu können, fehlten ihnen allerdings die Stellen, sagt Pfeifer: "Wir brauchen Therapeuten, Physiotherapeuten, eine ganze Organisationsstruktur." Er hofft auf den Freistaat, denn das Gesundheitsministerium habe mündlich die Bereitschaft bekundet, Corona-Ambulanzen zu unterstützen.

Bald hat Kornelia Hausinger ihren nächsten Termin, ein Konzentrationstest. Sie hofft, dass dann eine Therapie folgt, an deren Ende sie keine Wörter mehr vergisst wie jetzt und ihr Kopf wieder derselbe wird wie vorher, einer der auch die schweren Sudokus lösen kann.

© SZ vom 19.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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