Bayerndichter und Antisemit:Der umstrittene Literat

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Ludwig Thoma, hier in seinem Haus auf der Tuften in Rottach am Tegernsee 1914, war Romancier, Satiriker und Publizist und nicht unumstritten. (Foto: SZ Photo)

Wie soll man mit Ludwig Thoma weiterhin verfahren? Experten vertreten die Meinung, eine Auslöschung des Namens würde angesichts der Popularität Thomas die gute politische Absicht im Sinne einer gefährlichen Verdrängung geradezu verfehlen.

Von Hans Kratzer, München

Der 100. Todestag von Ludwig Thoma (26. August) hat die Debatte um den umstrittenen Schriftsteller abermals angeheizt. Zweifellos hat Thoma als Romancier, Satiriker und Publizist bleibende Spuren hinterlassen, schon zu Lebzeiten wurde er zum Bayerndichter geadelt. Seine Romane, Erzählungen und Theaterstücke erfreuen sich immer noch großer Beliebtheit. Allerdings hat der Verfasser der Lausbubengeschichten, des Münchners im Himmel und der Heiligen Nacht zwei Gesichter, was in den 80er-Jahren bekannt wurde. Damals wurde Thoma als Urheber von 170 Hetzartikeln im Miesbacher Anzeiger entlarvt. Fortan ging es auch um die Frage, ob weiterhin Straßen und Schulen nach ihm benannt sein sollen und ob seine Büste in der Ruhmeshalle in München verbleiben dürfe. Die Ratlosigkeit, wie man mit ihm verfahren soll, hält an.

Vor diesem Hintergrund haben der Journalist Franz-Josef Rigo und der Literaturwissenschaftler Klaus Wolf nun einen Band veröffentlicht, in dem führende Thoma-Experten den Stand der wissenschaftlichen Erörterung ausbreiten. Im vergangenen August wurde bei einem Symposium in Miesbach bereits deutlich, dass Thomas Werk und vor allem sein Nachlass keineswegs komplett erforscht sind. Schon deshalb fordert Rigo: "Wir müssen uns differenziert mit Ludwig Thoma auseinandersetzen!"

Thoma habe durchaus über den altbayerischen Tellerrand hinausgeblickt

Er selber setzt sich in dem Buch mit Thoma als Protagonist der Deutschen Vaterlandspartei auseinander, deren Gründungsmitglied er war. Auch dieses Faktum fand bislang wenig Beachtung. Darüber hinaus kleben an Thoma viele Frauengeschichten und Affären, deren Motive (unerfüllte Träume) Rigo und Gertrud Maria Rösch erhellen. Michael Stephan beschäftigt sich mit dem schwierigen Verhältnis des Dreigestirns Ganghofer, Thoma und Queri, Michael Pilz beleuchtet Thomas Fehde mit dem Konkurrenten Josef Ruederer (Thoma: "Wir mochten einander nicht!").

Wenn man versucht, Thomas Schaffen auf den Punkt zu bringen, fallen einem viele Schlüsselbegriffe ein, schreibt Rigo, es könne aber niemals gelingen, die Totalität dieser Person mit all ihren Widersprüchen einzufangen. Thoma bleibe eine Gestalt voller Ambivalenzen, die zu früh starb, um im Untergehen des Alten die Chance des Neuen zu erkennen. Überdies sei sein bedrückender Antisemitismus, der sich nach 1918 radikalisiert habe, keineswegs auf eine mögliche Provinzialität zurückzuführen. Thoma habe durchaus über den altbayerischen Tellerrand hinausgeblickt und mit dem Fahrrad sogar Nordafrika bereist. Die Kaltblütigkeit, die ihm Rigo attestiert und die Fähigkeit, die Heilige Nacht schreiben zu können, betone die Ambivalenz dieses Mannes.

In der Bewertung Thomas trage die Literaturwissenschaft eine große Verantwortung, schreiben Rigo und Wolf. Eine damnatio memoriae, eine Auslöschung, würde angesichts der bleibenden Popularität Thomas die gute politische Absicht im Sinne einer gefährlichen Verdrängung geradezu verfehlen.

Franz-Josef Rigo, Klaus Wolf (Hrsg.): Ludwig Thoma. Zwischen Stammtisch und Erotik, Satire und Poesie, Volk Verlag, 2021, 19,90 Euro.

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