Dieter Rossmeissl teilt Bayerns Museumslandschaft in drei grobe Kategorien ein. Ganz oben, sagt der Landessprecher der Kulturpolitischen Gesellschaft, stehen die großen Institutionen, das Nationalmuseum in Nürnberg etwa. Ganz unten die kleinen Häuser, manche davon "öffnen nur für zwei Stunden am Sonntagnachmittag" - und dass von jenen mitunter eines schließen müsse, liege in der Natur der Sache, sind es doch mitunter einzelne, die sich um deren Erhalt kümmern. Und dann gibt es die zweite Kategorie, Museen in mittlerer Größe, die mit wissenschaftlichem Anspruch arbeiten und zur Kulturlandschaft Substanzielles beitragen. Dass so ein Haus einfach zugesperrt wird, und - so wörtlich - "abgewickelt" werden soll, hätte sich Rossmeissl so kaum vorstellen können. Aber genau das ist nun im unterfränkischen Kitzingen passiert.
Das städtische Museum der 23 000-Einwohner-Stadt ist eine Institution. Vor 125 Jahren gegründet, zählt es zu den etablierten Häusern in Bayern, und wer sich die Geschichte von Stadt und Land Kitzingen anschaut, den dürfte das kaum verwundern. Im 8. Jahrhundert erstmals erwähnt, entwickelte sich Kitzingen zur wichtigen Weinhandelsstadt, zurückgreifen freilich kann das Haus auch auf Relikte aus einer Zeit, die Tausende Jahre zurückliegt. Auf Fundstücke aus der Jungsteinzeit etwa, die aus dem urgeschichtlich eminent bedeutsamen Kleinlangheim nahe Kitzingen stammen.
Und das soll nun in der einzig größeren Stadt des Kreises Kitzingen nicht mehr zu sehen sein? Seit 2018 ist das Haus, für das die Stadt pro Jahr 250 000 Euro zuschießt, geschlossen. "Bis auf Weiteres" hieß es zunächst, mit neuem Konzept sollte es erblühen. Stattdessen entschied sich der Stadtrat mitten in der Corona-Krise, es nun einfach dichtzumachen. Man entledige sich der "Urschätze und Ursprünge der Stadt", sagt die städtische Kulturreferentin Brigitte Endres-Paul, der ihre Empörung auch noch Tage nach der Entscheidung anzuhören ist. Zumal der Beschluss nicht einmal knapp ausfiel: 21 Stadträte stimmten für das Aus, nur neun stemmten sich dagegen. Ein eigentümliches Votum, das wohl nur durch die Koalition derer übertroffen wird, die dagegen stimmten: SPD, Grüne und AfD. Auch dieses Gelegenheitsbündnis dürfte Geschichte machen.
Warum das alles? Andreas Moser ist CSU-Chef im Stadtrat, er räumt ein, der Beschluss sei "heftig", es habe aber "keine Alternative" gegeben. Und der Grund? Sei in nicht-öffentlicher Sitzung erörtert worden und insofern "der Öffentlichkeit schwer zu erklären". Man sei da "aus einer Sackgasse" nicht mehr herausgekommen. Auf eine Protestnote von Dieter Rossmeissl hin wird Oberbürgermeister Stefan Güntner (CSU) in seinem Antwortschreiben immerhin ein wenig konkreter: Schon bis 2018 sei das Haus alles andere als ein "Besuchermagnet" - und ein neues Konzept nicht mehrheitsfähig gewesen. Und ja, man habe die Wortwahl, dass nämlich das Haus nun abgewickelt werden solle, "sehr scharf gewählt". Er könne aber zusichern, dass die Museumsobjekte vorerst - ehe man sich darüber im Klaren ist, wie es weitergeht - dort blieben, "wo sie jetzt auch sind".
Wolfgang Stäbler, Sprecher der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern, hat überrascht auf die Nachricht aus Kitzingen reagiert. Dass nun weitere Schließungen folgen werden, glaubt er indes nicht. "Davon habe ich jedenfalls noch nichts gehört", sagt er, wobei er eingesteht, dass die Corona-Krise den Museen schwer zugesetzt hat. Davon kann auch Roman Weindl, der Leiter des Römermuseums im niederbayerischen Künzing, ein Lied singen. "Wir leben hauptsächlich von Tagestouristen und Schülergruppen", sagt er. "Dass die ausbleiben, tut uns sehr weh." Die Gemeinde steht aber zu ihrem Museum und plant weitere Investitionen. Das private Sponsoring werde aber schwieriger, sagt er, "die Firmen müssen jetzt den Gürtel enger schnallen". Ein Museum wie jenes in Künzing sei von Haus aus ein Defizitgeschäft. Umso dringender müsse man innovative Wege beschreiten. Weindl setzt auf moderne Medien und eröffnete für das Künzinger Museum einen Youtube-Kanal.
"Wenn wir überleben wollen, brauchen wir kluge Konzepte", bestätigt Bärbel Kleindorfer-Marx, die Leiterin des Kulturreferats im Kreis Cham. Zurzeit mehr denn je, denn die Corona-Krise hat die Schwachstellen vieler Museen offengelegt. Ein Kernproblem in Corona-Zeiten sind ihr zufolge die engen Räume in denkmalgeschützten Bauten, in denen kleine Museen oft untergebracht sind. Dazu kommt die Überalterung des Personals. Im Klöppelmuseum Tiefenbach im Bayerischen Wald führten bislang Frauen, die allesamt um die 80 sind, diese alte Kulturtechnik vor. "Das geht jetzt nicht mehr", sagt Kleindorfer-Marx. "Vorsichtig bleiben, erst einmal abwarten", das rät auch die Landesstelle den Museen.
Gerade in kleineren Häusern halten Ehrenamtliche den Betrieb am Laufen, sie machen Führungen, sitzen an der Kasse, inventarisieren die Bestände. Annika Janßen, die Leiterin des Heimatmuseums Vilsbiburg, sagt, die Ehrenamtsarbeit könne nur unter größten Vorsichtsmaßnahmen fortgeführt werden, denn fast alle Mitarbeiter zählen altersmäßig zur Hochrisikogruppe. "Es ist schwer, junge Leute fürs Ehrenamt zu gewinnen", sagt Janßen. Die damit verbundenen Zwänge schreckten viele ab. "Das ist ein gesellschaftliches Problem."
Die Not reicht bis zum wissenschaftlichen Museumspersonal, das großteils in den 80er-Jahren eingestellt wurde und nun ins Pensionsalter einrückt. Die Kernfrage: Wollen sich Städte und Kommunen diese Kräfte weiterhin leisten? "Das wäre auch ohne Corona ein Problem", sagt Tobias Appl, Bezirksheimatpfleger der Oberpfalz. Er befürchtet, Corona könnte als Ausrede herhalten, um Stellen abzubauen.
Richtungsweisend ist deshalb das sogenannte Chamer Modell. Um regionale Museen professionell zu führen, stellte der Kreis wissenschaftliche Kräfte an, Gemeinden beteiligen sich an den Kosten. Mit drei Museen ging's los, sechs weitere kamen hinzu. Auf die Weise sind neun kommunale Museen im Zweckverband aufgeblüht. "Der Erfolg hat viele Faktoren", sagt Kleindorfer-Marx, man "braucht nicht zuletzt einen starken Landrat, der dahintersteht".
Dass Dutzende Museen für einen Landkreis wie Cham zu viel sind, glaubt sie nicht. "Sie stärken ja die lokale Identität, und sie bieten alle etwas Spezielles." Das Pfingstreitermuseum in Bad Kötzting soll jetzt sogar vergrößert werden. Ein Museum eröffne stets Chancen, sagt Appl. Schließungen seien die letzte Option. "Ich dachte, der Reflex, zuerst an der Kultur zu sparen, wäre vorbei." Wenn es gelinge, über moderne Medien Interesse zu wecken, wie es mancherorts schon gelinge, "dann sind auch junge Leute mit dabei".
Ein Satz gibt Dieter Rossmeissl besonders zu denken in dem Antwortschreiben des Kitzinger Rathauschefs auf seinen Protest hin. "Auch gab es seit 2018", schreibt der OB, "so gut wie keine Beschwerden/Nachfragen aus der Bevölkerung, weshalb des Museum geschlossen sei." Falls das so stimme, sagt Rossmeissl, könnte die Causa Kitzingen wie ein Dammbruch wirken. Kommunen schließen ihre mittelgroßen Häuser vorübergehend; lassen Zeit ins Land ziehen; und wenn sich kein hörbarer Protest regt, dann sperren sie gleich ganz zu - in der Hoffnung, dass es kaum einer mitbekommt. Würde das Schule machen, wären die Folgen für den Kulturstaat Bayern "unabsehbar", fürchtet Rossmeissl.
Und für Kitzingen? Stadträte neigen ja nicht dazu, ihren Ort schlecht zu reden. Diese Entscheidung des Stadtrats aber "ist kleingeistig, provinziell und kurzsichtig", sagt Kitzingens SPD-Chef Manfred Paul.