Kampf gegen organisierte Kriminalität:Bayerns bester Mafia-Jäger

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Drogen, Schutzgeld, Diebstähle: Der Kemptener Oberstaatsanwalt Gunther Schatz bekämpft die organisierte Kriminalität. Die Ermittlungen sind aufwendig, die Geschichten spektakulär.

Stefan Mayr

Gunther Schatz sitzt sehr gelassen am Besprechungstisch seines Büros. Die Stimme ist ruhig, die Gestik noch viel ruhiger. Und dennoch kann man ihm stundenlang zuhören, denn seine Unaufgeregtheit passt in keiner Weise zu den spektakulären Geschichten, die er erzählt.

Geht gegen die organisierte Kriminalität vor. Gunther Schatz in Kempten. (Foto: Stefan Puchner)

Der 50-jährige Oberstaatsanwalt ist Bayerns effektivster Mafiajäger, seine Abteilung III an der Staatsanwaltschaft Kempten hat seit 2008 bereits 32 Urteile mit langjährigen Haftstrafen wegen Bildung krimineller Vereinigungen erwirkt. Mit minimalem Allgäuer Zungenschlag und maximaler Sachlichkeit berichtet Schatz von seinem täglichen Kampf gegen die schweren Jungs: "In den italienischen Restaurants sind Schutzgelderpressungen weit verbreitet", sagt er. "Die Russenmafia handelt in den Gefängnissen mit harten Drogen." Und wenn er verrät, dass so manche Justizbehörde im Ausland mit den Mafiabossen gemeinsame Sache mache, schmunzelt er sogar: "Das ist halt Russland."

Organisierte Kriminalität" - das Phänomen mit der abstrakten Bezeichnung ist auch im Freistaat sehr konkret vorhanden. Es gehört, nicht nur für Gunther Schatz, zum Alltag. "In jeder größeren Stadt gibt es georgische Ladendiebe", so Schatz, "nur keiner erkennt die Organisiertheit." Eine Bande trägt den Namen ihres Bosses: Sushanashvili. Die Organisation versteht sich als "Familie", ihre Mitglieder nennen einander "Bruder". Jeder muss pro Monat 50 Euro Beitrag zahlen, dafür genießt er Gebietsschutz. Dieser kann so weit gehen, dass ein Störer im Revier von Pistolenkugeln "auf offener Straße zersiebt" wird, wie Schatz einen Fall in Nizza zusammenfasst.

In Bayern gab es noch keinen Mord, aber jede Menge Raubzüge: "Jeder Dieb stiehlt im Durchschnitt täglich Waren im Wert von 500 Euro", berichtet Schatz. Das bedeute bundesweit pro Tag einen Schaden in Millionenhöhe. Bei einer Durchsuchung wurde das Kassenbuch des Familien-Oberhauptes gefunden: "Allein mit der Monatsgebühr hat er 300 000 Euro im Jahr verdient", sagt Schatz. Bei aller Lukrativität ist der Ladendiebstahl für die Banden eine relativ sichere und ungefährliche Marktnische. Denn wenn ein Täter erwischt wird, muss er zunächst nur eine Geldstrafe zahlen. Im Wiederholungsfall gibt es höchstens eine Bewährungsstrafe.

"Die Justiz handelt diese Delikte in der Regel nur als Einzelfälle ab", berichtet Gunther Schatz. Seine Abteilung mit vier Staatsanwälten durchleuchtet hingegen in enger Zusammenarbeit mit speziellen Dienststellen der Polizei die Struktur der Banden. Die Ermittlungen sind überaus aufwendig, mit Telefonüberwachung, Observation und Verbindungsleuten. Dabei gehen die Kemptener Mafiajäger auch Spuren nach, die in andere Bundesländer oder Staaten führen - weil die Banden auch international operieren.

"Wir haben eine 60-Stunde-Woche", berichtet Schatz. Mindestens ein Staatsanwalt muss auch am Wochenende und in der Nacht erreichbar sein, weil zum Beispiel ein abgehörtes Telefonat einen schnellen Zugriff erfordern könnte. Der Aufwand hat sich im Fall Sushanashvili gelohnt: Es gab bundesweit 17 Verurteilungen wegen der Bildung einer krimineller Vereinigung. Zudem wurden die Bandenbosse 2010 in einer internationalen Aktion in Barcelona, Madrid und Athen festgenommen. Nur einer entkam - in Griechenland. "Heute wissen wir, dass er 800 000 Euro Bestechungsgeld bezahlt hatte", berichtet Schatz. Inzwischen ist auch dieser große Fisch ins Netz gegangen.

Auch viele Mitglieder der sogenannten Russenmafia haben Schatz und sein Team hinter Schloss und Riegel gebracht. Ihr Handwerk wurde der Mafia damit allerdings längst nicht gelegt: Der Drogenhandel geht auch in bayerischen Gefängnissen einfach weiter. "Das Geld landet auf einem stillen Konto, und wenn der Dealer rauskommt, ist er reich", sagt Schatz. Als Drogenboten fungieren Freigänger, die mitunter erpresst werden. "Ihnen wird gesagt, wo sie das Gift abholen müssen, und dann bringen sie es inkorporiert ins Gefängnis."

Inkorporiert ist Fachjargon für "verschluckt" oder "im After versteckt". "Kein Gefängnis hat das Personal, um jeden Freigänger zu kontrollieren", sagt Schatz. Mehr als Stichproben seien nicht möglich. In anderen Staaten seien die Verhältnisse allerdings noch schlimmer: "In Südeuropa, wo noch mehr Korruption stattfindet, können die Inhaftierten ihre kriminellen Machenschaften völlig ungehindert fortsetzen." Noch schlimmer seien die Zustände in Russland, wie Schatz berichtet: "Bei einer Razzia in Moskau wurden 30 große Fische festgenommen, am nächsten Tag waren 29 wieder frei." Rechtshilfe-Ersuchen nach Russland sind laut Schatz "aussichtslos".

Gunther Schatz selbst hat als junger Staatsanwalt einen Bestechungsversuch miterlebt: "Ein Clanoberhaupt hat 20 000 Mark auf den Tisch gelegt", berichtet er, "der war ganz schnell wieder draußen."

Trotz aller Unbestechlichkeit kommt er gegen einen Geschäftszweig der organisierten Kriminalität nicht an: Schutzgelderpressung von italienischen Restaurants. "Die Opfer haben Angst und sagen nichts", so Schatz. Zwar habe die Polizei in einem Hinterhof einer Pizzeria schon beobachtet, wie der Wirt eine komplette Lebensmittel-Lieferung direkt in den Abfall warf. "Da läuft die Erpressung über erzwungene Warenkäufe." Aber ohne Zeugenaussage gebe es keine Zugriffsmöglichkeit. Der Kampf gegen die Mafia ist ein mühsames Geschäft.

Angst vor der Rache verurteilter Bandenmitglieder hat Schatz nicht. "Das würde ja nichts nützen", sagt er. "Die wissen, dass dann der nächste Staatsanwalt übernehmen würde." Ein Foto, das sein Gesicht zeigt, will er allerdings nicht veröffentlichen lassen, und über sein Privatleben sagt er auch nichts. Lieber spricht er über die Arbeit: "Mit mehr Personal könnten wir noch viel mehr erreichen." Es gäbe immer wieder vielversprechende Ansatzpunkte, denen man nachgehen könnte. "Aber wir können nur die aussichtsreichsten aufgreifen." Auch das sagt er gelassen. Aber ohne Lächeln.

© SZ vom 06.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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