Ingolstadt (dpa/lby) - Vor dem Landgericht Ingolstadt muss sich von diesem Donnerstag an ein 41-Jähriger in einem Mordprozess verantworten: Er soll seine Lebensgefährtin mit mehreren Messerstichen getötet haben. Für Gerichte in Deutschland stehen Kriminalfälle wie dieser fast auf der Tagesordnung: Im Schnitt des Jahres 2019 versuchte hierzulande einmal pro Tag jemand, seinen oder ihren Partner umzubringen. Alle drei Tage gelingt so eine Tat. In ungefähr vier von fünf Fällen sind die Opfer Frauen.
In Ingolstadt warf die Staatsanwaltschaft dem Mann beim Prozessauftakt am Donnerstag vor, in der gemeinsamen Wohnung im oberbayerischen Wolnzach (Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm) seine Lebensgefährtin mit einem Küchenmesser getötet zu haben. Laut Anklage war die Frau am Morgen des 2. September 2020 noch im Bett gewesen und von dem unvermittelten Angriff überrascht worden. Der 41-Jährige soll ihr in Schulter, Beine, Oberkörper und schließlich in den Rücken gestochen haben. Sie habe sich noch zu einer Nachbarin in dem Mehrfamilienhaus retten können, sei dort aber gestorben. Laut Polizeibericht war sie 38 Jahre alt.
Über seinen Anwalt ließ der Slowake am Donnerstag mitteilen, er habe bereits an Tage vor der Tat keine Erinnerung mehr, er habe Drogen konsumiert. Er bereue den Tod seiner Lebensgefährtin zutiefst, hieß es. Er bestreite aber, dass es sich um Mord handle.
In dem Fall ist nichts entschieden: Ob er zu den vielen Fällen, in denen Männer ihre Partnerinnen töten, gezählt wird, wird das Urteil im Oktober zeigen. In der jüngsten Statistik des Bundeskriminalamts zu Partnerschaftsgewalt für das Jahr 2019 sind 111 Frauen und 29 Männer als Todesopfer aufgeführt. Dazu kommen rund 142.000 Fälle häuslicher Gewalt, bei denen niemand starb: hierzu zählen etwa Körperverletzungen, Bedrohungen und Stalking. Auch hier machen Frauen ungefähr 80 Prozent der Opfer aus. In Bayern waren es im gleichen Jahr nach LKA-Angaben 16.660 Fälle von häuslicher Gewalt, 13.081 der Opfer waren weiblich. Es gab acht Mordfälle an Frauen, im Vorjahr waren es noch 27 gewesen.
Grundsätzlich spielten bei Tötungsdelikten gegen Frauen überkommene patriarchale Geschlechterstereotypen eine zentrale Rolle, erklärt Gunda Wössner, Psychologin am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht. Mehr oder weniger bewusste Besitzansprüche gegenüber Partnerinnen, die Haltung, Frauen hätten sich unterzuordnen, der subtile Wunsch nach Kontrolle über eine Frau.
Nicht alle, die solche Stereotype verinnerlicht haben, begehen aber solche Taten. Viele Täter zeigten eine Tendenz zu enormer Kränkbarkeit und einer starken Eifersucht, oft hänge der Selbstwert stark von der Beziehung ab, sagt Wössner - und spricht dabei grundsätzlich über solche Fälle, nicht den konkreten Fall in Ingolstadt. „Wenn das Selbstwertgefühl eines Mannes sehr davon abhängt, dass er die Kontrolle über die Frau nicht verlieren darf, dass er es als Niederlage empfindet, wenn sie sich abwendet, dann ist ein Tötungsdelikt wahrscheinlicher“, sagt sie.
Bei den selteneren Fällen von Frauen, die ihren Partner töten, sind die Motive laut der Psychologin variantenreicher. Auch sie töteten mitunter aus Eifersucht. Aber Motive wie Hass auf den Mann nach jahrelanger Demütigung in einer missbräuchlichen Beziehung kämen bei Frauen häufiger vor. Tötungen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen sind demnach kaum erforscht, kommen aber viel seltener vor.
Die Diskussion über solche Taten sei auch politisch, sagt Wössner. „Weil sich in den Tötungen von Frauen – überspitzt formuliert – die patriarchalen Strukturen und das nach wie vor nicht gleichberechtigte Rollenverständnis in unserer Gesellschaft wiederspiegelt.“ Auf Dauer sei der einzige Weg, solchen Taten vorzubeugen, von typischen Geschlechterrollen wegzukommen: Weg vom Bild, dass Frauen „weich“ sein sollen, sich unterzuordnen und zurückzunehmen haben. „Auch Jungs sollten in ihrer Erziehung lernen, dass sie weinen dürfen, dass sie Verletzlichkeit und Emotionen zeigen können und sich nicht mit Härte und Gewalt beweisen müssen.“
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