Historische Haftanstalt:Nürnberger Zellengefängnis droht zu verfallen

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Während der Prozesse waren die Kriegsverbrecher im Ostflügel des alten Nürnberger Zellengefängnis untergebracht, alle im Erdgeschoss - von Rudolf Heß in Zelle 4 bis Julius Streicher in Zelle 25. (Foto: Stadtarchiv Nürnberg)
  • Die Haftanstalt, in der Kriegsverbrecher wie Hermann Göring und Rudolf Heß auf ihre Prozesse warteten, ist 150 Jahre nach ihrer Eröffnung in einem äußerst schlechten Zustand.
  • Bayerns Justizminister Bausback versicherte zuletzt, die Regierung sei sich der historischen Bedeutung des Bauwerks bewusst. Doch wie es damit weitergeht, ist völlig offen.
  • Die Option, das Zellengefängnis zu einem Teil des "Memoriums Nürnberger Prozesse" im Justizpalast zu machen, ist umstritten.

Von Claudia Henzler

Dieses Bild ist Teil des kollektiven Gedächtnisses geworden: Ein langer Flur mit schmalen Türen, vor jeder einzelnen hält ein amerikanischer Soldat Wache. Dahinter sitzen die Angeklagten im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher - Rudolf Heß, Hermann Göring, Albert Speer, Julius Streicher. Die alliierten Siegermächte lassen die ehemaligen Nazi-Größen rund um die Uhr durch die Kostklappen beobachten, weil sie verhindern wollen, dass auch sie sich dem Verfahren entziehen - so wie es Robert Ley gelungen ist. Der frühere NSDAP-Funktionär hat sich noch vor Prozessbeginn in seiner Zelle stranguliert.

Jene Zellen, in denen Göring und Konsorten untergebracht waren, sind längst abgerissen, doch Teile des alten Gefängnisses existieren noch heute, auch ein baugleicher Zellentrakt wie der auf dem bekannten Foto. Seit einigen Jahren ist im Gespräch, ihn für Besucher zugänglich zu machen. Ob es so kommt, ist nicht nur wegen des schlechten Zustands des Gebäudes ungewiss. "Es bleibt spannend", sagte Thomas Vogt, Leiter der Nürnberger Justizvollzugsanstalt, bei einer Feier zum 150-jährigen Bestehen des alten Bauwerks.

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Justizminister Winfried Bausback (CSU) konnte zwar keine konkreten Zukunftspläne für das Nürnberger Zellengefängnis präsentieren, versicherte aber, dass die Staatsregierung "die Bemühungen, um der historischen Bedeutung dieses Gebäudes gerecht zu werden", tatkräftig unterstütze. Zuletzt habe man 900 000 Euro bereitgestellt, um den Bau vor dem Verfall zu bewahren, sagte Bausback. Substanz und Statik des Gebäudes wurden durch Feuchtigkeit stark geschädigt. Der letzte noch erhaltene Zellentrakt ist gesperrt und wird seit einigen Monaten von außen durch ein Stahlgerüst gestützt.

Ob das Gefängnis museal genutzt wird, soll nicht unwesentlich von der Empfehlung zweier Historiker abhängen, die im Auftrag des Justizministeriums die Bewerbung des Sitzungssaales 600 und des gesamten Justizpalastes, Schauplatz der Nürnberger Prozesse, als Unesco-Weltkulturerbe vorbereiten. Die Gutachter sollen prüfen, ob eine Einbeziehung des Zellengefängnisses in die Bewerbung sinnvoll wäre. Das Ergebnis soll noch 2018 vorliegen.

Aktuell befindet sich der historische Bau hinter den sechs Meter hohen Mauern von Bayerns zweitgrößter Justizvollzugsanstalt (JVA). Um Publikumsverkehr zu ermöglichen, müsste man wohl die Mauer versetzen und das Zellengefängnis aus dem JVA-Gelände ausklammern. Das Ministerium betont, dass es diese Möglichkeit in den vergangenen Jahren im Blick behalten habe, wenn in der JVA neu gebaut wurde. Das war nicht immer so: In den Achtzigerjahren hatte es den Großteil des Zellengefängnisses abreißen lassen, obwohl das Bauwerk bereits unter Denkmalschutz stand. Man hatte Platz für neue Versorgungsgebäude gebraucht.

Das Zellengefängnis ist nicht nur wegen der Nürnberger Prozesse von historischem Interesse. Es war die erste Haftanstalt in Bayern, die auf das Prinzip Isolation setzte. Es zeugt damit von einem bemerkenswerten Abschnitt in der Entwicklung des Gefängniswesens. Hinter dem aus Pennsylvania importierten Konzept stand die Idee, dass jeder Mensch bekehrt werden könne, wenn er nur in völliger Abgeschiedenheit von der Welt lebt. Die Gefangenen mussten in ihren Zellen arbeiten und hatten selbst beim Hofgang keinen Kontakt miteinander. Um die Selbstreflexion zu unterstützen, wurden sogar die Fenster derart hoch eingebaut, dass die Häftlinge nicht abgelenkt wurden und allenfalls ein Stück Himmel sehen konnten.

Ins Zellengefängnis kamen fast ausschließlich Ersttäter, und das maximal dreieinhalb Jahre lang. Denn die strenge Isolation war durchaus umstritten. Im Vergleich zu Zucht- und Arbeitshäusern, in denen Kinder, Kleinkriminelle und Straftäter unter teilweise katastrophalen hygienischen Bedingungen gemeinsam untergebracht waren, galt es jedoch als Verbesserung. Bemerkenswert ist auch die Architektur des Zellengefängnisses, die ebenfalls von Pennsylvania inspiriert wurde: Auf einem sternförmigen Grundriss gruppierten sich um eine Mittelhalle vier Gebäudeflügel mit jeweils hundert Einzelzellen. Sie waren auf drei Stockwerke verteilt und durch Galerien erschlossen. Zwischendecken gab es nicht, sodass wenig Wachpersonal ausreichte, um die Korridore von der Mittelhalle aus zu bewachen. In einem kurzen fünften Flügel befanden sich Verwaltungsräume und eine Kirche.

Neben dem westlichen Zellenflügel sind noch die Mittelhalle und der Verwaltungsflügel vorhanden. In der Zentralhalle hat man vor einiger Zeit ein Netz gespannt, um Besucher vor bröckelndem Putz zu schützen. Doch trotz der deutlichen Verfallsspuren ist das Gefängnis noch immer sehenswert. Hohe Rundbogenfenster und eine gläserne Lichtkuppel geben der Haupthalle ein besonderes Raumgefühl. Filigran gearbeitete Metallteile an Säulen, Galerien und freitragende Wendeltreppen zeigen, dass man vor 150 Jahren auch ästhetische Ansprüche an Zweckbauten hatte.

Eine Konzeption existiert für das mögliche Museum noch nicht. Tatsächlich ist noch nicht einmal ausdiskutiert, ob das Zellengefängnis ein eigenständiges Museum oder Teil des "Memoriums Nürnberger Prozesse" im Justizpalast würde. Memoriums-Leiterin Henrike Claussen zögert deutlich bei dem Gedanken, das Gefängnis zu integrieren. Sie befürchtet, dass sich der Fokus der Besucher stärker als gewollt auf die Täter richten könnte. Denn bisher spielen die Angeklagten im Memorium eher eine Nebenrolle, im Zentrum steht ausdrücklich die Geburt des internationalen Völkerstrafrechts. Das Gefängnis sei es auf jeden Fall wert, musealisiert zu werden, sagt Claussen. Schwierigkeiten habe sie damit, es durch das Etikett "Gefängnis der Nürnberger Prozesse" auf diesen Aspekt zu reduzieren. Der Bau könne ein guter Ort sein, um über den gesellschaftlichen Umgang mit Straftätern zu reflektieren, findet sie: Den Wandel zu beleuchten von der reinen Bestrafung bis zu Haftbedingungen nach menschenrechtlichen Standards inklusive seltsamer Zwischenschritte wie der Isolationshaft in Bayerns erstem Zellengefängnis.

© SZ vom 21.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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