Historie:Lokomotiven als ein Stück Europa

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Die Dampflok 06-013 lag fünf Jahre im Fluss Save. (Foto: Bahnpark Augsburg)

Im Augsburger Bahnpark erzählt eine Sammlung von Lokomotiven die bewegte Geschichte des Kontinents zwischen Krieg und Frieden.

Von Florian Fuchs, Augsburg

Sie war Teil der strategischen Eisenbahn-Reserve, abgestellt in einem Schuppen in Gällivare, weit im Norden Schwedens. Eine von 50 geheimen Dampfloks, die die Schweden 1968 im ganzen Land stationierten, für den Fall eines Atomkriegs. Der elektromagnetische Schock einer Atombombe hätte E-Loks lahmgelegt, die Schweden wollten im Kriegsfall aber den Eisenbahnverkehr aufrechterhalten. Also restaurierten sie alte Dampfloks und versteckten sie in Blechschuppen, damit der Feind sie nicht sieht. Da standen sie dann - und wurden nie gebraucht.

Die alte schwedische Lok parkt heute im Bahnpark in Augsburg, einem der größten Industriedenkmäler Bayerns. "Wir haben sie vor ein paar Jahren mehr als 2000 Kilometer nach Augsburg überführt", sagt Markus Hehl, der Geschäftsführer des Bahnparks. Die Lok erzählt vom Kalten Krieg und ist eine der Lokomotiven, mit der der Bahnpark die Stationen der Einigung Europas darstellen will - von der Lok, die den Salonwagen von Kaiserin Sisi zog bis hin zu modernen Loks, die die Zeit der Wiedervereinigung Deutschlands prägten sowie die Einigung und Reisefreiheit Europas darstellen. Im Rundhaus Europa, einem Ringlokschuppen aus dem Jahr 1906, stehen inzwischen 16 solcher Loks, die alle eine Geschichte aus einem anderen Teil und einer anderen Zeit Europas erzählen. Weil der Bahnpark noch Auflagen zur Sanierung des denkmalgeschützten Ringlokschuppens hat, darf das Museum aber nur vereinzelt zu Führungen öffnen. Für eines der ersten Wochenenden Anfang Juli, an denen die Loks für die Öffentlichkeit zu sehen sind, hat gerade das Europäische Parlament die Schirmherrschaft übernommen.

In den Fünfzigerjahren entdeckten die Deutschen per Zug Italien als Urlaubsort. (Foto: Bahnpark Augsburg)

"Es gibt ja viele Ausstellungsräume von Eisenbahnen, aber diesen europäischen Gedanken haben eigentlich nur wir", sagt Geschäftsführer Hehl. Gemeinsam mit anderen Bahnfreunden hat er das Areal im Jahr 2008 in einer gemeinnützigen GmbH übernommen; immer wieder aber gibt es Diskussionen in Augsburg über die Finanzierung des Kulturprojekts. Auch in dieser Woche berieten die Stadträte, ob es weitere Zuschüsse geben solle - bislang ohne Ergebnis. Die finanzielle Situation des Bahnparks ist schwierig. Hehl strebt ein anderes Trägermodell an, plant aber trotzdem, den Ringlokschuppen nächstes Jahr provisorisch wieder für Besucher öffnen.

Denn für Gäste gibt es einiges zu erzählen, über eines von Hehls Lieblingsstücken zum Beispiel, die Dampflok mit der Nummer 06-013, die die Berliner Lokfabrik Borsig 1930 für das "Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen" baute. Im April 1941 von der deutschen Wehrmacht beschlagnahmt, versenkten fünf Partisanen sie am 13. März 1945 auf dem Weg von Maribor nach Ljubljana in der Save: Der Zug fuhr auf eine Mine auf, entgleiste und stürzte in den Fluss. "Drei Männer starben", erzählt Hehl, "und dann lag sie da, fünf Jahre lang." Weil aber der junge jugoslawische Staat auf alle Fortbewegungsmittel angewiesen war, die zur Verfügung standen, wurde die Lok 1950 geborgen - in einer fünfmonatigen Aktion. Nach der Instandsetzung zog sie bis 1975 Züge durch das damalige Jugoslawien, unter anderem den Orient-Express. Für Hehl symbolisiert die Dampflok aus Berlin wie keine andere die Geschichte von Krieg und Frieden in Europa. Im Jahr 2006 übergab sie die Republik Slowenien als Symbol des Friedens an das Projekt Rundhaus Europa.

Auf dem ganzen Kontinent suchen die Freunde des Bahnparks nach alten Loks, manchmal ganz gezielt, manchmal finden sie interessante Stücke auch durch Zufall. Die von den Partisanen im Fluss versenkte Lok etwa wurde im Jahr 1974 als Denkmal in Maribor abgestellt und 1991 ins slowenische Eisenbahnmuseum gebracht. Da gab es allerdings gar keinen Platz, weshalb sie draußen auf den Gleisen bleiben musste und langsam verrottete, wie Hehl erzählt. Der Bahnpark fragte an, ob er die Dampflok nach Augsburg holen könne, die Zusage kam prompt, aber die Überführung war ein großes Abenteuer. Mit 30 Kilometern pro Stunde zuckelten Hehl und seine Mitstreiter über die Schienen, zwei Achsen liefen heiß und mussten immer wieder gekühlt werden. "Ich war nicht sicher, ob wir es nach Augsburg schaffen", sagt Geschäftsführer Hehl. Nach drei Tagen kamen sie an.

Es sei erstaunlich, erzählt Hehl, wie kooperativ die Eigentümer der Loks sind, wenn sie hören, welches Ziel die Ausstellung in Augsburg verfolgt. Sammler stimmen Leihgaben von Loks zu, Staaten geben prompt ihr Einverständnis und zahlen sogar die Kosten für die Überführungen der Loks. "Ich bin manchmal selbst erstaunt, wie bereitwillig alle über Grenzen hinweg arbeiten für dieses Projekt." Europa brauche solche Orte, an denen seine Geschichte erlebbar werde, sagt Hehl. Und mit Spaß und Anekdoten vermittelt werde. Familien mit Kindern sind das Zielpublikum, und das sind natürlich lange nicht alle große Eisenbahn-Fans. Die meisten Besucher seien dann doch immer fasziniert: Sie lernen etwas über die Eroberung der Alpen durch eine der Loks, die vor allem die Simplonbahn in der Schweiz bedienten. Die Besucher dürfen eine französische Lok anfassen, gebaut im Jahr 1916, die einst den Golden Arrow auf seinem Weg von London nach Paris zog. Und die ihren letzten Einsatz 1968 hatte, als sie bei einem Staatsbesuch den Regierungszug des russischen Staatschefs Nikita Chruschtschow zog, von Paris nach Bordeaux. Eine andere Lok, die in den fünfziger Jahren die Urlauberzüge nach Italien zog, mit eigenem Frisiersalon für die Touristinnen, erzählt vom Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg.

Es sind diese Geschichten, die Besucher anlocken sollen, nicht die technischen Daten der Loks, wie in vielen anderen Eisenbahnmuseen. Hehl wüsste noch so einige andere interessante Loks, die er gerne nach Augsburg holen würde. In einem Vorort von Belgrad zum Beispiel steht in einer 150 Meter langen Halle der komplette Salonzug des früheren jugoslawischen Staatschefs Tito. "Drei Leute sind bis heute damit beschäftigt, den täglich zu warten", sagt Hehl. "Das Bett ist gemacht, das Geschirr steht bereit. Als würde er morgen wieder damit fahren." Drei Lokomotiven, die die Wagen zogen, stehen vor der Halle und drohen dort zu verrotten. Hehl würde eine davon gerne nach Augsburg holen, hatte in dem Fall aber bislang noch keinen Erfolg. Er bleibt auf jeden Fall mit Eifer dran.

© SZ vom 24.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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