Fußball:Doch wieder kleine Würstchen

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So haben die Clubfans 2007 auf dem Hauptmarkt gefeiert. Zurzeit gibt es keinen Grund dazu. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Der 1. FC Nürnberg kennt Höhen und Tiefen. Zurzeit vor allem Tiefen

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Im Mai 2007, einen Tag nach dem Pokaltriumph des 1. FC Nürnberg, ist in der Süddeutschen Zeitung ein Text mit der Überschrift "Nie mehr kleine Würstchen" erschienen. Man darf sagen, dass diese Überschrift bei professionellen Sprachfreunden größeren Anklang gefunden hat. Mindestens ebenso sehr allerdings wird man zehn Jahre danach attestieren müssen, dass diese Zeile falsch war. Und zwar richtig falsch: Schon in der Saison nach dem historischen Sieg schaffte der Verein etwas, was wirklich nur die wenigsten Konkurrenten von sich behaupten dürfen: Der Triumphator der Vorsaison stieg aus der Ersten Bundesliga ab. Damit aber nicht genug. Exakt im zehnten Jubiläumsjahr nach dem Pokalsieg hat der Club dieser Tage etwas geschafft, was ihm letztmals nach dem Krieg geglückt ist. Nach präzisen Berechnungen der Nürnberger Nachrichten war es dem Club zuletzt vor 64 Jahren gelungen, in der Schluss-Tabelle noch hinter der Konkurrenz aus Fürth zu landen. Nie mehr kleine Würstchen? Leider lachhaft.

Bei aller Scheu vor Superlativen: Einen Verein wie den Club gibt es sonst nicht. Diese melancholische Verbindung aus historischer Größe und Alltags-Slapstick, Tragödie und Komödie, Aufstieg und Fall darf für sich in Anspruch nehmen, (leider und zum Glück) einzigartig zu sein. Und kaum etwas könnte diese permanente Synthese von Kult und Kopfschütteln besser dokumentieren als der Pokalsieg von 2007. Da gewann ein Verein, der seiner riesenhaften Geschichte wegen noch immer von sich sagen darf, der zweiterfolgreichste aller Zeiten zu sein, erstmals wieder eine Trophäe. 1968 hatte der Club das Titelgewinnen eingestellt, relativ abrupt damals. 39 Jahre währte die Abstinenz, dann beendete ein Spieler, den bis dahin selbst Eingeweihte kaum auf dem Zettel hatten, mit einem historisch schönen Tor im Berliner Olympiastadion diese Durststrecke.

Das muss in der Rückschau wie die Geschichte aus einem besonders triefend geratenen Rosamunde-Pilcher-Fetzen wirken. Spricht man heute aber Clubberer auf die komplett entfesselten Festivitäten nach diesem Sieg-aller-Siege auf dem Nürnberger Hauptmarkt an, so fällt ihnen erstaunlich häufig nicht zuerst ein Wundertrainer, ein Torwartheld oder Kunstschütze ein. Sondern ein sibirischer Luchs.

Das ist nicht etwa das Wappentier eines Legendenvereins aus Franken. Vielmehr ein mindestens ebenso legendärer Fehlgriff des Bayerischen Rundfunks, der am Tag der Nürnberger Pokalsieg-Feier halb Franken verstörte. Auch diese Geschichte muss man ganz vorn vorne beginnen, und zwar mit der Feststellung, dass auch in Nordbayern gelegentlich GEZ-Gebühren gezahlt werden, was die Franken angesichts gesammelter Live-Weißbier-Exzesse und abendfüllender Balkon-Übertragungen aus der FC-Bayern-Landeshauptstadt leise anzumerken sich angewöhnt haben. Aber klar: Der Meister kommt aus dem Süden, also nippt der Franke am Vollbier-Seidla, schaut und schweigt.

In jenem Mai 2007 aber war endlich der Club an der Reihe, das Wunder aus Mittelfranken. Den Gipfel der Euphorie freilich verpassten Nordbayerns GEZ-Zahler, weil der BR mitten in die Übertragung taumelnder Helden am Hauptmarkt mit einer anderthalbstündigen Tierdoku vom sibirischen Luchs hineingrätschte. Interessantes Tier, keine Frage. Der BR rang tags darauf trotzdem verzweifelt um vermittelbare Erklärungen. Was blieb, war wieder diese singuläre Mixtur aus Pathos und Slapstick. Natürlich konnte der Club diesmal überhaupt nichts dafür. Aber wer kann schon was für die Schläge des Schicksals?

Am Samstag ist wieder Pokalendspiel in Berlin, der Club wird nicht mitspielen. Die Clubberer können aber trotzdem in Erinnerungen schwelgen: "Ganz Nürnberg war in einem Rausch" heißt der im Starfruit-Verlag erschienene Band, in dem die ehemaligen Pokalsieger den Autorinnen Maren Zimmermann und Katharina Fritsch erzählt haben, was es zu erzählen gibt von damals. Wie es dem Highland Terrier von Mittelfeldspieler Tomas Galasek kurz vorm Endspiel erging (schlecht). Wie Torwart Raphael Schäfer auf die Auswechslung kurz vor einem Elfmeterschießen reagierte (mittel). Und wie Edelreservist Jan Kristiansen seinen längst zur Legende gewordenen Schuss zum Pokalsieg fand (eher gut). Ein großes Vergnügen.

© SZ vom 24.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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