Flüchtlinge in Bayern:Bürokratie bremst Heilung

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  • Wenn Hausärzte Flüchtlinge behandeln, stehen sie schnell vor bürokratischen Hürden.
  • Facharztüberweisungen müssen durch das zuständige Landratsamt genehmigt werden. So schreibt es das Asylbewerberleistungsgesetz vor.
  • Um unnötige Wartezeiten und Schmerzen zu vermeiden, fordern viele Ärzte deshalb, Flüchtlingen - wie in Hamburg und Bremen bereits praktiziert - eine Versicherungskarte auszustellen.

Von Dietrich Mittler, München

Kürzlich lag in Felizitas Leitners Heimatgemeinde Weßling plötzlich ein jüngerer Asylbewerber zuckend am Boden - epileptischer Anfall mitten auf dem Fußballplatz. "Versorgungstechnisch war das kein Problem", sagt die 58-jährige Hausärztin aus dem Kreis Starnberg, "der Notarzt wies den jungen Mann in eine Klinik ein." So einfach läuft das in Leitners Praxisalltag oft nicht. "Unter der Woche kommen derzeit täglich um die vier Flüchtlinge", sagt sie. Etliche von ihnen würde Leitner gern umgehend an einen Facharzt überweisen. Nur hier macht ihr die Bürokratie einen Strich unter die Rechnung: Facharztüberweisungen müssen durch das zuständige Landratsamt genehmigt werden. So schreibt es das Asylbewerberleistungsgesetz vor.

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Insbesondere im ländlichen Bereich heißt das für die Hausärzte: Sie müssen Geduld aufbringen. Erst recht aber die Patienten mit ihren Beschwerden. Denen, so sagt Leitner, sei es auch angesichts der Sprachbarrieren kaum zu vermitteln, dass die Ärzte hier - abgesehen von medizinischen Eil- und Notfällen - nicht umgehend jene Schritte einleiten können, die ihnen medizinisch geboten erscheinen.

Ein Systemfehler

Auch nach vier Wochen habe sie noch keine Antwort auf einige Überweisungsanträge bekommen, sagt Leitner. Die Verantwortung dafür will sie nicht dem Landratsamt zuschreiben. "Sicher liegt das nicht am fehlenden guten Willen der dortigen Mitarbeiter", sagt sie, "die kommen angesichts der vielen Flüchtlinge sowieso an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit." Vielmehr liege hier ein Systemfehler vor, der dringend korrigiert gehöre. "Warum stellt man nicht gleich allen Flüchtlingen - wie in Hamburg und Bremen bereits erfolgreich praktiziert - eine Versicherungskarte aus", fragt sich die 58-Jährige.

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Max Kaplan, der Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, macht aus seinem Ärger keinen Hehl: "Im Asylbewerberleistungsgesetz wird unser ärztlicher Spielraum auf die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände beschränkt. Und damit habe ich ein Problem. Das ist ärztlich unethisch", sagt er. Wenn ein Patient zu ihm komme, dann müsse er ihn nach besten Wissen und Gewissen behandeln können. Der Arzt stehe da ständig vor der Frage: "Sind die Beschwerden des Patienten jetzt noch akut, oder sind sie schon ein bisschen chronisch. Und das kann es doch nicht sein", sagt Kaplan.

Politische Unterstützung kommt in dieser Sache von den Grünen im Landtag. Es sei doch ein Unding, dass Sachbearbeiter in Landratsämtern "ohne medizinische Fachkenntnisse" darüber entscheiden müssten, ob die Weiterleitung zu einem Facharzt nun gerechtfertigt ist, oder nicht, sagt Christine Kamm, die asylpolitische Sprecherin der Grünen. Das sehen Bayerns Ärzte nicht anders. "Wenn ein Hausarzt die Indikation stellt, dass sein Patient aufgrund von Herzproblemen zum Kardiologen muss, dann ist das so", sagt Kammerpräsident Kaplan. "Deshalb fordere ich, dass Asylsuchende umgehend eine Gesundheitskarte bekommen, dann ist das Problem nämlich gelöst."

Mehr Mut zeigt Nordrhein-Westfalen

Im Sozialministerium stößt diese Forderung jedoch auf wenig Anklang. "Bayern wird von der Option zur Einführung einer Gesundheitskarte aktuell keinen Gebrauch machen", sagte eine Sprecherin. Nach Ablauf von 15 Monaten würden Asylbewerber - analog zu Sozialhilfeempfängern - ohnehin "im Regelfall" eine Gesundheitskarte erhalten. Bayerns Zögern fußt offenbar auf der Sorge, dass durch eine sofortige Ausgabe einer speziellen Gesundheitskarte für Flüchtlinge höhere Kosten anfallen. Der Bund sei gefordert, sich hier "nachhaltig" zu beteiligen. Mehr Mut zeigt hier indes Nordrhein-Westfalen; wie Bayern ein Flächenstaat. Dort wird jetzt eine solche Karte eingeführt.

Die Grüne Kamm indes warnt, dass bürokratiebedingte Verzögerungen schlimme Folgen haben könnten. Ihr sei kürzlich eine Afghanin begegnet, deren Eierstock-Entzündung nur mit Schmerzmitteln behandelt wurde. Die Frau kann nun keine Kinder mehr bekommen.

© SZ vom 12.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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