Die Zahl der Geflüchteten weltweit steigt und mit ihnen auch Fremdenfeindlichkeit und Ablehnung in Deutschland. Die Diskussion um Flüchtlinge und Zuwanderung bestimmt seit Wochen die Schlagzeilen.
Tatsächlich gibt es Probleme bei der Aufnahme von Flüchtlingen, die europäische und die deutsche Asylpolitik haben versagt. Doch wer kennt schon die genauen Zusammenhänge, wer geht den Daten auf den Grund? Was steckt tatsächlich hinter den Zahlen, mit denen Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit geschürt werden? Bereits im Dezember 2014 haben wir Antworten auf diese Fragen veröffentlicht. Seitdem hat sich allerdings einiges getan. Deshalb haben wir die Zahlen, Daten und Fakten nun aktualisiert.
Es geht um folgende Behauptungen und Vorurteile:
"Es kommen immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland"
Das deutsche Grundgesetz und die UN-Flüchtlingskonvention verpflichten Deutschland, Flüchtlingen Schutz zu bieten.
218.221 Asylanträge sind in den ersten sechs Monaten des Jahres 2015 beim Bundesamt für Migration eingegangen (Erst- und Folgeanträge). Das sind 124,8 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Jahres 2014 - ein deutlicher Anstieg, der vor allem globale Ursachen hat. Bis 2008 war die Zahl der Geflüchteten deutlich gesunken, seitdem steigt sie wieder: Ursache ist eine Phase mit vielen - insbesondere auch bewaffneten - Konflikten. Dazu gehören der Arabische Frühling und gegenwärtig vor allem der Krieg in Syrien. Doch auch die Migration aus den Balkanländern hat vor allem in den vergangenen Monaten deutlich zugenommen.
800.000 Flüchtlinge erwartet das Bundesamt für Migration für 2015. Das wäre ein absoluter Höchstwert. Bislang lag dieser bei 438.191 Menschen. So viele haben im Jahr 1992 in Deutschland Asyl beantragt. 1993 waren es noch 322.599. Dann kam es zu einem Einbruch bei der Zahl der Anträge.
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Der Grund war eine Neuregelung des Asylrechts. Der sogenannte "Asylkompromiss" der schwarz-gelben Regierungskoalition und der SPD-Opposition wurde im Mai 1993 vom Bundestag beschlossen. Danach wurde es schwieriger, nach Deutschland zu gelangen und sich auf das Grundrecht auf Asyl zu berufen.
Im ersten Quartal 2015 haben 40 Prozent aller Flüchtlinge, die in den 28 EU-Staaten um Asyl baten, dies in Deutschland getan.
Doch das allein ist wenig aussagekräftig. Vergleicht man das Verhältnis der Asylbewerberzahlen zu den jeweiligen Einwohnerzahlen der Länder, relativiert sich die Zahl. Laut Eurostat werden in Ländern wie Schweden (8425 Asylanträge pro 1 Million Einwohner), Österreich (4015) oder Ungarn (7450) relativ gesehen mehr Asylanträge als in Deutschland (3065) gestellt.
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Die Unterschiede gibt es vor allem deshalb, weil es in Europa im Moment kein System gibt, mit dem die Geflüchteten nach festen Schlüsseln auf die einzelnen Ländern verteilt werden, so wie das etwa bei den deutschen Bundesländern der Fall ist. Das Land, in dem ein Geflüchteter zuerst europäischen Boden betritt, ist eigentlich auch zuständig für ihn. Griechenland inhaftiert auch deshalb Tausende Geflüchtete. Diese bekommen überhaupt keine Chance, einen Asylantrag zu stellen. Diskutiert werden daher seit langem feste Kontingente innerhalb der EU. Dabei könnten neben der Bevölkerungsgröße auch Wirtschaftskraft, Fläche oder Arbeitslosenquote berücksichtigt werden.
Im Osten Deutschlands sind die Klagen über Flüchtlinge besonders laut. Es seien zu viele und es sei kein Platz, heißt es. Betrachtete man das Verhältnis von Flüchtlingen zu Einwohnern, wird deutlich, dass gerade dort am wenigsten Flüchtlinge untergebracht sind. In Hamburg kommt ein Flüchtling auf 60 Bürgerinnen und Bürger. In Sachsen ist das Verhältnis dagegen 1:238.
So viele Einwohner kommen pro Bundesland auf einen Flüchtling:
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Eindrucksvoll visualisiert hat das Benjamin Henning von der Universität Oxford anhand einer Deutschlandkarte.
Wie sieht es bei der Schutzquote aus - also der Anzahl der Bewerber, die im jeweiligen Land tatsächlich eine Aufenthaltsberechtigung erhalten?
Als Flüchtling anerkannt und so mit einem Bleiberecht ausgestattet, wurden im ersten Halbjahr 2015 insgesamt 36,7 Prozent. Das waren 50 018 positive Entscheidungen. 2014 lag die Gesamtschutzquote bei 31,5 Prozent, 2008 bei 37,7 Prozent.
Wie viele Geflüchtete bleiben durften:
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Der Migrationsforscher Dietrich Thränhardt hat zu diesem Punkt eine interessante Berechnung angestellt. Er hat die Anerkennungsquoten für das Jahr 2012 im europäischen Vergleich betrachtet. Damit wird deutlich, wie viele Flüchtlinge ein Staat endgültig aufnimmt.
Asylgewährung pro 10 000 Einwohner:
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Deutschland gewährte danach 2012 insgesamt 17 140 Menschen Schutz, Schweden 9000, Frankreich 8645 und Italien 8480. Diese Zahlen hat Thränhardt auf die Bevölkerungsgröße umgerechnet. Und jetzt zeigt sich: Die großen Mitgliedstaaten lagen weit zurück. Die Liste führen Schweden, die Schweiz, Belgien und Österreich an.
Weil Deutschland von sogenannten sicheren Drittstaaten umgeben ist, kann es außerdem viele Geflüchtete ohne weitere Prüfung dorthin zurückschicken. Völlig unabhängig davon, ob ein Asylgrund vorliegt oder nicht.
Im Jahr 2014 konnte Deutschland mehr als jeden dritten Asylantrag aufgrund des sogenannten Dublin-Verfahrens ablehnen, ohne die Ansprüche überhaupt zu prüfen: 37,8 Prozent oder 37 636 Geflüchtete. Zwar musste Deutschland dafür aufgrund der Drittstaatenregelung Asylbewerber aus anderen EU-Ländern aufnehmen - allerdings sehr viel weniger, als es ausweisen konnte.
Asyl bekommt in Deutschland nur, wer auf der Flucht ist. Artikel 16a des Grundgesetzes greift beispielsweise, wenn der Bewerber politisch verfolgt wird. Der diffamierende Begriff "Wirtschaftsflüchtling" wird vor allem von Fremdenfeinden und Flüchtlingsgegnern verwendet, die damit versuchen zu insinuieren, dass die Flüchtlinge nicht verfolgt werden, sondern aus rein ökonomischen Gründen nach Deutschland kommen. Sie werfen diesen Menschen Asylmissbrauch vor.
Ein Blick auf die Herkunftsstaaten zeigt aber, dass ein großer Teil der Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebieten zu uns kommt, oder aus Gebieten, in denen bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen, die Menschen vor Terror und Gewalt fliehen:
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"Wer vom Balkan kommt, ist ein Wirtschaftsflüchtling"
Anders als in Syrien herrscht auf dem Balkan kein Krieg. Aber fliehen deshalb alle Flüchtlinge von dort vor der Armut? Der Begriff "Flüchtlinge vom Balkan" bezieht sich überwiegend auf Roma. Diese Bevölkerungsgruppe leidet in ihren Herkunfstländern unter menschenunwürdiger Diskriminierung. Das hat auch die EU-Kommission wiederholt festgestellt. Wie das Leben der Roma beispielweise in Albanien oder Kosovo aussieht, haben SZ-Korrespondenten hier aufgeschrieben.
Trotzdem bekommt kein Flüchtling vom Balkan in Deutschland Asyl. Die Ablehnungsquote beträgt so gut wie 100 Prozent:
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Die steigende Zahl von Flüchtlingen spiegelt sich auch in den Ausgaben des Staates. Rund 1,5 Milliarden Euro gab der Bund 2013 für Asylbewerberleistungen aus. Die Asylbewerber, die 2015 nach Deutschland kommen, könnten jährlich zehn Milliarden Euro an Ausgaben verursachen, legt man zugrunde, dass Länder und Kommunen 12 500 Euro pro Flüchtling und Jahr ausgeben.
Im Vergleich zum gesamten Bundeshaushalt 2015 von
301.600.000.000 Euro wirkt die Zahl von
10.000.000.000 Euro allerdings gar nicht mehr so groß.
Das sind immer noch lediglich 3,31 Prozent.
"Die Flüchtlinge bekommen mehr Geld als Hartz-IV- Empfänger"
Was ein Flüchtling vom Staat bekommt, ist im Asylbewerberleistungsgesetz geregelt. Zwischen 1993 und 2012 waren die Sätze gleich. Das Bundesverfassungsgericht erklärte sie dann für verfassungswidrig: Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum sei nicht gewährleistet. Bis zu 47 Prozent lagen die Leistungen für Asylbewerber unter Hartz-IV-Niveau. Die Menschenwürde sei migrationspolitisch nicht zu relativieren, hieß es in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
2014 wurden die Leistungen deshalb angehoben.
Ein Haushaltsvorstand erhält jetzt monatlich 140 Euro Taschengeld, sein Ehepartner rund 126 Euro, minderjährige Kinder - je nach Alter - rund 90 Euro. Dazu kommen Sachleistungen, die den Bedarf zum Beispiel an Ernährung, Unterkunft, Heizung oder Kleidung decken sollen. Um den Verwaltungsaufwand zu reduzieren, werden diese allerdings mittlerweile auch meist in Form vom Bargeld ausgezahlt. Damit erhält ein Haushaltsvorstand jetzt 362 Euro, sein Ehepartner 90 Prozent davon, Kinder je nach Alter zwischen 290 und 215 Euro.
Die Hartz IV-Regelsätze, die laut Bundesverfassungsgericht als Existenzminium gelten, lagen 2014 bei 391 Euro.
Als Argument dafür, dass Flüchtlingen in Deutschland "zu viel" Geld zur Verfügung stehen soll, dient oft, dass viele Flüchtlinge ein Smartphone besitzen. Die Flüchtlinge sind allerdings auf die Geräte angewiesen und gekauft haben sie sie normalerweise nicht mit deutschem Geld. Welche Bedeutung die Smartphones für die Asylsuchenden haben und wie sie sie finanzieren, erfahren Sie in diesem Text.
In Deutschland lebende Ausländer entlasten den Sozialstaat in Milliardenhöhe. Das zeigt eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Danach sorgten die rund 6,6 Millionen Menschen ohne deutschen Pass im Jahr 2012 für einen Überschuss von insgesamt 22 Milliarden Euro.
Jeder Ausländer zahlt demnach pro Jahr durchschnittlich 3300 Euro mehr Steuern und Sozialabgaben, als er an staatlichen Leistungen erhält.
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Bei einem höheren Bildungsniveau der Ausländer könnte ihr Beitrag zu den öffentlichen Haushalten noch deutlich gesteigert werden, resümierten die Forscher. Und tatsächlich steigt ihr Qualifikationsniveau stetig an, wie der Mikrozensus beweist.
Wenn die bereits heute in Deutschland lebenden Ausländer unter 30 Jahren durchschnittlich das gleiche Bildungsniveau erreichten wie die Deutschen und dadurch im Job entsprechend besser verdienten, würde diese Altersgruppe über ihre gesamte Lebenszeit pro Kopf 118 400 Euro mehr an Steuern und Abgaben zahlen.
Jeder Bürger könnte der Untersuchung zufolge um mehr als 400 Euro jährlich fiskalisch entlastet werden, wenn künftig pro Jahr mindestens 200 000 Zuwanderer nach Deutschland kämen und 30 Prozent von ihnen hoch und weitere 50 Prozent mittel qualifiziert wären.
Weitere Zahlen, die zeigen, was Flüchtlinge dem Land bringen, finden Sie in diesem Text.
Europa ist ein reicher Kontinent. Aber immer wieder wird behauptet, Flüchtlinge gefährdeten diesen Reichtum. Europa würde eine zu große Last tragen.
Die Zahlen zeigen etwas anderes - zum Beispiel jene zu den Menschen, die aus Syrien geflohen sind. Wegen des Krieges dort haben etwa vier Millionen Menschen das Land verlassen, zwischen sieben und acht Millionen wurden innerhalb Syriens aus ihrer Heimat vertrieben. Laut den aktuellsten UNHCR-Zahlen haben allerdings nur sechs Prozent der Geflüchteten Zuflucht in Europa gesucht. In den Libanon sind fast zehn Mal so viele Menschen geflohen. Im Vergleich: In Bayern kommt ein Flüchtling jetzt auf 142 Einwohner, in Jordanien ist das Verhältnis 1:11.
Wohin die syrischen Flüchtlinge geflohen sind zeigt eine Auswertung aus dem Juli 2014. Seither sind die Zahlen für Europa allerdings, siehe oben, leicht gestiegen, von vier Prozent auf sechs Prozent:
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Nach Statistiken des UNHCR befinden sich im Moment fast 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg sind es so viele. Bei 38 Millionen handelt es sich um Binnenvertriebene, also Menschen, die innerhalb ihrer eigenen Länder auf der Flucht sind.
Mehr als 80 Prozent aller Flüchtlinge bleiben in der Region oder in den Nachbarstaaten ihrer Heimat. Und 80 Prozent der Flüchtlinge werden von den Ländern des globalen Südens aufgenommen.
Länder, aus denen 2014 insgesamt am meisten Menschen flohen:
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Länder, die 2014 insgesamt am meisten Flüchtlinge aufnahmen:
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