Instrumentenbau:Mit Ruhe, Kraft und Fingernagelgefühl

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Lena Kirschenhofer in der Werkstatt von Joe Striebel. Mit ihrem Gesellenstück qualifizierte sie sich für die Deutsche Meisterschaft im Handwerk. (Foto: privat/oh)

Wo kommen eigentlich die Gitarren her? Das fragte sich Lena Kirschenhofer, als sie noch zur Schule ging. Nun wurde die junge Thanningerin als bundesweit beste Zupfinstrumentenmacherin ausgezeichnet.

Von Paul Schäufele, Egling/München

Lena Kirschenhofer ist die Erste in der Werkstatt, doch von morgendlicher Benommenheit ist bei ihr nichts zu spüren. Sie hält einen aparten Hybrid in Händen, halb Gitarre, halb Ukulele, kaffeefarben und an den Rändern vor Perlmutt schimmernd. Ein Kratzer, die Bünde sind uneben, Gebrauchsschäden, nichts weiter - die Gitalele soll heute noch gesund entlassen werden. Kein Zweifel, bei der 21-jährigen Zupfinstrumentenmacherin aus Thanning ist sie gut aufgehoben.

Wenn sie über den Beruf redet, kommt sie in einen lockeren Redefluss, oberbairisch gefärbt und mit rollendem R. Dabei bewegt sie die Hände. "Ja, so Mahagoni ist eigentlich Standard für eine Gitarre. Die teuersten sind aus Koa-Holz. Das wächst nur auf Hawaii, das darf nur abgeholzt werden, wenn es von selbst umfällt oder ein Vulkanausbruch droht." Sie steht im Haidhauser Ladengeschäft der Munich Guitar Company. Durch einen Wald aus Gitarrenkoffern geht es in die Werkstatt: Wände, an denen sich Feilen, Pinsel und Hämmer drängen, Drähte ragen aus einem Regal, in den wenigen Freiräumen liegen Haufen toten Holzes. Noch etwas höher hängen akustische und Elektrogitarren, ein Banjo. Unter einer Mandoline italienischer Bauart steht sinnigerweise der Spruch "Ceci n'est pas une guitare" - das ist keine Gitarre.

Die Haare zurückgebunden, die Beine gekreuzt sitzt Lena Kirschenhofer wenig später an ihrer Werkbank und schabt alten Lack vom Körper der Gitalele. In krausen Flocken fällt er auf ihre Schürze über den unangestrengt gekreuzten Beinen. So entspannt ist ihre Haltung, wenn sie am Instrument arbeitet. Im September 2020 hat sie mit ihrer Ausbildung in der Wolfratshauser Werkstatt von Johannes "Joe" Striebel begonnen. Direkt nach dem Abitur habe sie den Ausbildungsplatz bekommen, erzählt sie, den Wunsch habe sie da schon ein paar Jahre gehegt. Beim "Girl's Day" 2016 - sie besuchte noch das Geretsrieder Gymnasium - sei der Funke übergesprungen. Zwar habe sie damals schon Jahre Gitarre gespielt, aber woher die Instrumente kamen, mit denen sie Musik machte, habe sie sich bis dahin nicht gefragt: "Mir war gar nicht klar, dass es das als Beruf gibt." Der Kollege an der benachbarten Werkbank kann ein schnaubendes Lachen nicht unterdrücken. "Ja woher sollte ich das denn wissen als Kind?!" Lena Kirschenhofer lacht zurück.

Das Gesellenstück vor dem Zusammenleimen... (Foto: privat/oh)
... und in vollendetem Zustand. (Foto: Hartmut Pöstges)

Der Kratzer wurde mit Kleber aufgefüllt. Nun soll der Stelle neuer Glanz verliehen werden, dazu wird sie mit einer Poliermaschine in Kontakt gebracht und mit deren Schwabbelscheibe. "Ja, das heißt so." Ein prüfender Blick aus ruhigen, wassergrauen Augen. "Es gibt nichts, was wir nicht reparieren können, aber Narben bleiben immer zurück. Wunder können wir auch nicht vollbringen." Die Gitalele kehrt an die Werkbank zurück, der Hals wird mit Korkplatten gestützt. Kirschenhofer nimmt ein Präzisionslineal, klopft damit die Bünde des Instruments ab, kein Zögern ist in den Handbewegungen. Was als Störgeräusch klickt, muss korrigiert werden. Dieser Dienst gehört zum Beruf, auch wenn ihr der Instrumenten-Neubau besser gefallen hat, die Arbeit mit dem Holz, die Möglichkeit, sich kreativ einbringen zu können.

Bei Joe Striebel lernte sie in einer Werkstatt, die mehr als 40 Instrumenten-Formen im Repertoire hat und ihre Produkte nach Asien, nach Amerika und an Willy Astor verkauft. Dabei war Lena Striebels erste Auszubildende. "Es hat halt menschlich gepasst", sagt sie. "Wenn das nicht so wär, würd's unlustig, drei Jahre zu zweit in einer Werkstatt." Die Firmen sind klein, häufig sind es Ein-Mann-Betriebe. Als Kirschenhofer Anfang Dezember der erste Preis der "Deutschen Meisterschaft im Handwerk" als bundesweit bester Zupfinstrumentenmacherin verliehen wurde, gratulierte ihr der Meister.

Bei Joe Striebel in Wolfratshausen hat Lena Kirschenhofer gelernt. Sie war die erste Auszubildende des bekannten Gitarrenbauers. (Foto: Hartmut Pöstges)
Mehr als 40 Modelle werden in seiner Werkstatt gefertigt. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die Bünde, die metallischen Erhebungen auf dem Griffbrett der Gitalele, müssen neu ausgerichtet werden, sonst schnarrt es beim Spielen. Von der Werkbank links ist gereiztes Zungenschnalzen zu vernehmen. Das kommt bei Lena Kirschenhofer nicht vor. Mit derselben Ruhe, die sie jetzt Kleberpunkte auf dem Griffbrett anbringen lässt, hat sie im November nach Siegen auf Innungs- und Landesebene die zwei Aufgaben bearbeitet, die ihr im vogtländischen Klingenthal gestellt wurden. Einen Gitarrenkopf galt es herzustellen und eine verzierte Schallloch-Rosette einzusetzen. Letzteres hatte Kirschenhofer noch nie gemacht. "Aber der andere Teilnehmer auch nicht, das war dann spannend."

Der Wettbewerb des Zentralverbands des Deutschen Handwerks wird seit 1951 ausgetragen. Kirschenhofers Ausbilder Striebel war bereits Bundessieger. Dessen Meister, Stefan Zirnbauer aus München, bei dem sie nun an der Werkbank sitzt, ebenso. Am 9. Dezember konnte sie den Preis in Berlin abholen. Fördergelder für die spätere Ausbildung sind Teil der Prämie. Daran denkt Lena Kirschenhofer schon gelegentlich. Es ist ein großer Schritt, aber wer selbst später einmal Gitarren bauen möchte, kommt nicht umhin, sich mit der Meisterprüfung auseinanderzusetzen. Oder nicht doch ein Studium? Aus ihrem Abi-Jahrgang seien nicht viele ins Handwerk gegangen. "Aber studieren kann ich immer noch, Holzbau interessiert mich", sagt sie. In jedem Fall sei eine Ausbildung eine gute Grundlage. Fürs Erste also arbeitet sie als Gesellin in der Werkstatt in Haidhausen. Mittlerweile sind auch die übrigen Kollegen eingetroffen. Es riecht verstärkt nach Holz, Leim und Lack.

In einer Schreinerei hat sie sich auch umgeschaut

Kleberückstände entfernt sie mit elastischer Bestimmtheit vom Griffbrett. Anschließend reibt sie die Bünde mit feiner Stahlwolle ab, blitzen sollen sie. Ein wenig gehadert hat sie doch mit dem Beruf, Gitarrenbau ist eine Nische. Nicht jeder Mensch braucht eine Gitarre, Tische hingegen schon. Auch in einer Schreinerei hat sie sich deshalb umgeschaut. Aber ideal sei das nicht gewesen. Nicht, weil es ihr schwergefallen wäre, auch gröbere Arbeiten auszuführen, sagt sie. Dennoch, am Zupfinstrumentenbau schätze sie das feine Werken, die Freiheit. "Außerdem hat es dem Altmeister gar nicht gefallen, dass eine Frau in seiner Werkstatt hantiert hat." Zwar habe der nichts mehr zu sagen gehabt, aber schön sei das nicht gewesen.

Zum Gitarrenspielen hat Lena Kirschenhofer - hier zu Hause in Thanning - kaum noch Zeit. (Foto: Hartmut Pöstges)

Zwar ist sie auch jetzt in der Werkstatt die einzige Frau unter Männern, aber ein Thema ist das nicht. Ihre Arbeit fügt sich harmonisch in den Werkstatt-Rhythmus aus Feilen, Sägen, Hämmern. Wenn sie Hilfe braucht, ist jeder Kollege für sie da; wenn sie Hilfe anbietet, wird sie angenommen. "Hier wird niemand im Stich gelassen", sagt der Kollege, der - lange Haare unter der Mütze, tätowiert - einem ganz anderen Phänotyp entspricht, dabei aber nicht mehr und nicht weniger nach Gitarrist aussieht als Lena Kirschenhofer. Der Formenvielfalt der Zupfinstrumente entspricht die Vielfalt ihrer Spieler. Kirschenhofer hat das klassische Pop-Repertoire gefallen, auch Volksmusik, nur fehlt nun die Zeit zum Spielen. "Das überlasse ich anderen", sagt sie, während sie das Griffbrett einölt.

Im März 2022, sie war noch in der Ausbildung, hat Striebel sie in den Wald eingeladen. Striebel kauft ganze Fichtenstämme, um sie weiterzuverarbeiten. Beim Aufsägen durfte sie zuschauen. In der Werkstatt war sie dabei, als das Holz in hundert Arbeitsstunden zur Gitarre wurde. "Dem Kunden dann sagen zu können: ,Da hat der Baum gestanden', von Anfang an dabei zu sein, das ist schon ein tolles Erlebnis", erzählt sie. "Es ist ja nicht irgendein Gegenstand, den wir machen, sondern ein Musikinstrument. Das ist etwas Besonderes."

Dann spannt sie Nylonsaiten über den Korpus, stimmt sie und zupft mit den professionell lang gelassenen Nägeln. Die Gitalele ist zum Weiterverkauf bereit. Zufrieden? Sie lächelt. "Ja."

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