SZ-Serie "Bayern erlesen":Wahnsinn hinter Klostermauern

Lesezeit: 3 min

Das Kapuzinerkloster in Bamberg fiel der Säkularisation zum Opfer und wurde im 19. Jahrhundert abgerissen. (Foto: Wikimedia Commons)

E.T.A. Hoffmans Roman "Die Elixiere des Teufels" ist inspiriert durch ein Erlebnis seiner Bamberger Jahre.

Von Florian Welle

Über kaum einen deutschsprachigen Schriftsteller erzählt man sich so viele Anekdoten wie über E.T.A. Hoffmann. Als im Berlin des Jahres 1815 gerade der erste Teil seines Schauerromans "Die Elixiere des Teufels" erschienen war, in dessen Mittelpunkt der Kapuzinermönch Medardus steht, soll der preußische Diplomat Wilhelm Dorow den Verfasser bei einer Zusammenkunft als "Bruder Medardus" angeredet und sogleich nachgesehen haben, ob dieser nicht gar selbst auf teuflischem Pferdefuß stehe.

Dank eines Tagebucheintrags weiß man genau, wann Hoffmann die fiktive Lebensbeichte des verfluchten und sündhaften Bruders Medardus zu schreiben begann. Am 4. März 1814 heißt es da: "Idee zu dem Buch Die Elixiere des Teufels." Wenige Wochen darauf war die Arbeit an dem schwarzromantischen Klosterroman bereits abgeschlossen, und Hoffmann, der gerade seine Stellung als Leipziger Musikdirektor verloren hatte, plante, bald in jene Stadt zurückzukehren, in der er schon einmal als Jurist gelebt und gearbeitet hatte: nach Berlin.

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Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit dem an der Grenze zwischen Traum und Realität, Wahnsinn und Vernunft, Bewusstsein und Unterbewusstsein angesiedelten Stoff dürfte allerdings ein prägendes Erlebnis gewesen sein, das noch in Hoffmanns Bamberger Jahre fällt. Der auch als Komponist, Dirigent, Zeichner und Kulissenmaler tätige Hoffmann lebte von 1808 bis 1813 in der katholischen Bischofsstadt. Eine für ihn prekäre Zeit, die er als seine "Lehr- und Marterjahre" verstand.

Im Februar 1812 nahm Hoffmann auf Einladung seines Freundes und späteren Verlegers Carl Friedrich Kunz an einem Gastmahl der Bamberger Kapuziner teil. Kunz wird sich nachher an den Besuch erinnern und schreiben, dass dieser "großen und bleibenden Eindruck" auf den Schriftsteller gemacht habe. Über den Klosterrundgang mit dem greisen Pater Cyrillus berichtet er in altertümlicher Orthographie, "daß nach einem späteren Geständnisse des Freundes sogleich bei'm Eintritte in Cyrillusʼ Zelle ein eigenes Gefühl sich seiner bemächtigt und der Gedanke ihn augenblicklich erfüllt habe, das Geheimnißvolle der Klosterwelt recht lebendig in sich aufzunehmen, um es einmal bei irgend einer Gelegenheit durch den Druck wiederzugeben".

Der Roman nimmt die Leser gleich zu Beginn mit hinter die Mauern des "hochgeachteten Klosters". Noch zeigt es sich als Idylle. Der Ich-Erzähler Medardus berichtet von dem "herrlichen Klostergarten mit der Aussicht in die Gebürge" und von Baumgruppen, die in stetig "neuer Schönheit zu erglänzen" scheinen. Doch bereits wenige Seiten später ist alles Lichte und Helle verschwunden.

Stattdessen herrscht eine nebulöse, geheimnisvolle Atmosphäre, die Hoffmann im weiteren Fortgang der wunderbar wilden und verrätselt wirren Geschichte, die im zweiten, 1816 erschienenen Teil schließlich bis zum Papst nach Rom und wieder zurück führt, immer fantastischer und unheimlicher ausschmückt. Man wird mit einem Familienfluch, mit Mord, Doppelgängertum, inzestuöser Verstrickung und verschiedenen Formen des Wahnsinns konfrontiert. Bruder Medardus stellt sich selbst die Diagnose: "Ich bin das, was ich scheine, und scheine das nicht, was ich bin, mir selbst ein unerklärlich Rätsel, bin ich entzweit mit meinem Ich!"

Vor dem E.T.A. Hoffmann Theater in Bamberg steht die von Reinhard Klesse geschaffene Statue des Dichters. (Foto: Sonja Marzoner)

Wer heute in Bamberg auf den Spuren Hoffmanns unterwegs ist, der begegnet diesem an vielen Orten. Allen voran am E.T.A. Hoffmann-Platz mit dem gleichnamigen Theater, davor eine von Reinhard Klesse vor vierzig Jahren geschaffene Bronzefigur des Dichters im Gehrock und mit dem Kater Murr auf der Schulter. Nur ein paar Schritte davon entfernt befindet sich am Schillerplatz 26, ehemals Zinkenwörth Nr. 50, Hoffmanns Wohnhaus, in dem er von 1809 bis 1813 mit seiner Frau Mischa gelebt hat. Es beherbergt heute ein Museum zu seinen Ehren, das derzeit jedoch wegen Renovierung geschlossen ist.

Wer allerdings besagtes Kloster in der Kapuzinerstraße 29 aufsuchen möchte, der wird nicht mehr fündig werden. Die im Jahr 1636 von dem Bamberger Fürstbischof Franz von Hatzfeld gegründete Niederlassung fiel der Säkularisation zum Opfer und wurde anschließend unter anderem als Musik- und Turnstätte zweckentfremdet. 1877 baute man an seiner Stelle ein Schulgebäude. Heute beherbergt es das Clavius-Gymnasium.

Wenige Schwarz-Weiß-Fotos aus dem 19. Jahrhundert vermitteln noch etwas von der pittoresken Klosterarchitektur, die die Phantasie Hoffmanns beflügelt hat: gotische Anleihen, verwinkelte Ecken, abgeblätterter Putz. "Die Elixiere des Teufels" ist auch ein Roman über unsere wankelmütigen Sinne und die Gefahren der Einbildungskraft. Wörter wie "Trugbild", "Vision" "Gaukelbilde", "erhitzte Phantasie" und "eingebildete Sendung" finden sich auf fast jeder der gut 400 Seiten. Und so gilt, was Wolfgang Nehring am Ende seines Nachworts für die Reclam-Ausgabe geschrieben hat. Dass nämlich "das Buch weiterhin eine Herausforderung für den Leser bleibt".

E.T.A. Hoffmann, Die Elixiere des Teufels. Nachgelassene Papiere des Bruder Medardus eines Kapuziners. Philipp Reclam Verlag, Ditzingen 2021. 476 Seiten, 9,40 Euro.

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