Deutscher Kabarettpreis:Herzliche Hinterfotzigkeit

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Die Preisträgerin des Deutschen Kabarett-Preises 2023, Luise Kinseher, bei der Verleihung in Nürnberg. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Luise Kinseher nimmt in der Nürnberger Tafelhalle den Deutschen Kabarettpreis entgegen und fragt sich, "warum wir alle "blöd wie ein Bandwurm" sind.

Von Andreas Radlmaier

Es hat eher Seltenheitswert, wenn beim Kabarett der ganze Saal mitsingt. Nicht nur deshalb wird einem die Gala zum 34. Deutschen Kabarettpreis in der vollbesetzten Tafelhalle in bester Erinnerung bleiben. Erst animierte Eva Eiselt aus der Eifel, die vom verantwortlichen Nürnberger Burgtheater einen Sonderpreis zugesprochen bekommen hatte, das Publikum, das verlockende Wort "Agaven-Dicksaft" im Chor anzustimmen. Später dann brachte Hauptpreisträgerin Luise Kinseher aus München die erheiterte Menge spielerisch leicht dazu, mit kräftigem "Muuuh" das neue Wappentier Bayerns zu begrüßen. Quasi als neues weibliches Role-Model und Ersatz für den Löwen, dessen Lebensstil als "Leittier unserer bayerischen Politik" einfach nicht mehr zeitgemäß sei. Gehe es bei ihm doch nur um "Fressen, brüllen, schlafen".

Die Schnappatmung einer dauererregten Nation wurde an diesem Abend von der paritätisch besetzten Bühnen-Runde geradezu programmatisch ausgeklammert. Es war eher ein befreites Durchatmen im Auge des Taifuns, es ging um allzu menschliche Bequemlichkeit und Bodenhaftung. Julia Lehner, Kulturbürgermeisterin der Stadt Nürnberg (der Stifterin der Preisgelder), landete bei der Suche nach einheimischem Humor beim berühmten fränkischen Fasching und dem Prinzip der lustlosen Bewegungslosigkeit. Ulan & Bator, als Vorjahressieger nun für die Gesamtmoderation zuständig, empfahlen als Parallelweltenbummler mit Bommelmützen-Tarnung den "Glauben an Veränderung".

Die Vorjahressieger Ulan und Bator (Sebastian Rüger und Frank Smilgies) rahmen die Geehrten in diesem Jahr ein: neben Luise Kinseher (2.v.l.) stehen Philipp Scharrenberg (Mitte), der den Programmpreis erhielt, und Eva Eiselt (2.v.r) , die den Sonderpreis bekam. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Für Philipp Scharrenberg aus Bonn ist allerdings "die ganze Welt ein einziger Mind-Fuck". Aber, weiß der Träger des Programmpreises: "Verwirren ist menschlich." Und rettet sich beim Blick auf ein Land, das vielfach auf "absolutem Intelligenzminimum" lebt, literarisch geschliffen in die Natur-Poesie. Zu "Facebusch" und "Ginstagram": "Die Natur ist ein Netzwerk, das kommt durch die Fernseh-Förster ja jetzt erst raus." Auch bei Eva Eiselt spielt die Abhängigkeit von wirr-tuellen Welten eine Rolle, noch mehr die Spiegelung des Frauenbildes. Wenn sie am Keyboard ringsgwandelnd die Soja-Wurst brät oder sich akrobatisch die Stützstrümpfe überzieht, jauchzt das Volk in Selbsterkenntnis.

Als "Rampensau zum Niederknien" hatten Ulan & Bator die ausgezeichnete Luise Kinseher angekündigt. Was keineswegs übertrieben war. Die "Mama Bavaria" a.D. hat ihren Kurs der herzlichen Hinterfotzigkeit mit den Jahren perfektioniert und läuft bei ihrem Auftritt zu großer Form als Komikerin mit starker Präsenz und Präzision auf.

Sie fragt sich, warum wir alle "blöd wie ein Bandwurm" sind (Antwort: weil ein Schlaraffenland zur Rückbildung des Gehirns führt), besiegt KI mit dem Ziehen des Steckers und fordert in lallendem Zustand: "Ich muss raus aus der Komfortzone." Mit Münchner Blick auf den Deutschen Kabarettpreis sagt sie süffisant lächelnd: "Wenn wir Nürnberg nicht hätten, wäre Deutschland noch weiter weg." Fortsetzung folgt im Januar 2025. Mit Luise Kinseher als Moderatorin.

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