Sinkende Flüchtlingszahlen:"Wir können ein bisschen durchschnaufen"

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Im Oktober haben hier noch Hunderte gedrängelt, mussten Hunderte in der Kälte ausharren: die Innbrücke zwischen Deutschland und Österreich. (Foto: dpa)

An der deutsch-österreichischen Grenze kommen weniger Flüchtlinge an. Das liegt nicht nur am schlechten Wetter.

Von Andreas Glas

An der Zeltwand klebt ein Zettel, "Bitte nicht drängeln" steht darauf geschrieben, in acht Sprachen. Aber zum Drängeln gibt es gar keine Gelegenheit. Es ist Mittagszeit in Neuhaus am Inn und die Helfer schmieren Nutellabrote. Sie schmieren nicht viele davon, es sind ja nur 50 Leute da. Drei Dutzend Bierbänke gibt es im Zelt, die meisten sind verwaist, auf den übrigen Bänken sitzen Männer mit müden Augen, Frauen mit Kopftüchern, drumherum sausen Kinder.

Draußen vor dem Zelt lehnt der Passauer Sprecher der Bundespolizei, Thomas Schweikl, an einem Geländer, hinter ihm fließt der Inn und auf der Innbrücke fließt der Autoverkehr. Es ist die Brücke, die Deutschland von Österreich trennt. Die Brücke, auf der im Oktober noch Hunderte gedrängelt haben, Hunderte in der Kälte ausharren mussten - weil das Zelt schon voll war mit Flüchtlingen.

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"Zurzeit läuft es wirklich gut", sagt Thomas Schweikl. Er meint die Zusammenarbeit mit den österreichischen Kollegen, die jede Stunde einen Bus mit 50 Flüchtlingen über die Grenze nach Neuhaus schicken. Im Stundentakt rollt ein österreichischer Bus vor dem Zelt an, im Stundentakt fährt ein deutscher Bus vom Zelt ab. Rund um die Uhr geht das so; und rechnet man das zusammen, kommt man unterm Strich auf 1200 Flüchtlinge, die in diesen Tagen hier ankommen. So wenige wie seit August nicht mehr. So wenige, dass sie die Zelte an den Grenzübergängen in Wegscheid und Simbach am Inn erst mal dicht gemacht haben. Statt an drei Übergabepunkten kommen die Flüchtlinge jetzt nur noch über Neuhaus nach Niederbayern.

"Wir können ein bisschen durchschnaufen", sagt Patrick Schindler, "aber es ist ein kurzes Durchschnaufen", da ist er sich sicher. Schindler leitet den Bundespolizeieinsatz in Neuhaus. Ein junger, blonder Kerl mit beeindruckendem Bizeps und allerlei schwerem Gerät am Gürtel: Funkgerät, Handschellen, Pistole.

Woran es liegt, dass weniger Menschen kommen

Wer Schindler fragt, wieso gerade so wenige Flüchtlinge ankommen, der schaut in große, ziemlich erstaunte Augen. Denn für ihn ist die Sache klar: Es hat mit dem miesen Wetter an den Küsten zu tun, wo die Flüchtlinge von der Türkei aus übers Mittelmeer nach Griechenland schippern, bevor sie auf der Balkanroute weiterziehen und irgendwann in Niederbayern ankommen. "Die Bedingungen an der Mittelmeerküste waren so bescheiden, dass vier Tage lang praktisch kein Schiffsverkehr möglich war", sagt Schindler.

Es ist aber wohl nicht nur das Wetter. Die Balkanstaaten Mazedonien, Kroatien, Serbien und Slowenien lassen nur noch Menschen aus Syrien, aus Afghanistan und aus dem Irak in ihre Länder. Alle anderen seien Wirtschaftsflüchtlinge, heißt es. Tausende wurden schon nach Griechenland zurückgeschickt. "Das merken wir schon, freilich", sagt Thomas Schweikl, der Bundespolizeisprecher - und die Flüchtlinge in Neuhaus bestätigen das. Wer die Menschen im Zelt fragt, wo sie herkommen, der hört immer die drei gleichen Antworten: Syrien, Afghanistan, Irak.

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Dass das der Grund für die rückläufigen Zahlen sei, "das kann man sich an fünf Fingern abzählen", sagt Bernd Schulz von der Bundespolizei Rosenheim, die für den Grenzübergang Freilassing zuständig ist. Auch dort, im tiefen Süden Bayerns, sind die Flüchtlingszahlen zuletzt deutlich gesunken.

Am Samstag und am Sonntag kamen in Freilassing jeweils etwa 1000 Menschen über die Grenze - und damit halb so viele wie in den Tagen zuvor. "Das hat daran gelegen, dass in den österreichischen Sammelstellen praktisch keine Flüchtlinge angekommen sind", sagt Bundespolizeisprecher Schulz. Und deshalb seien kaum Busse der österreichischen Polizei nach Deutschland gefahren. Schulz sagt aber auch, dass inzwischen wieder "um die 2000 Menschen" am Tag kämen, dass die Zahlen also schon wieder steigen.

"Wir wissen ja inzwischen, wie es geht"

Das Wetter, die rigide Einreisepolitik einiger Balkanländer - beides könnten Gründe dafür sein, dass zurzeit weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Die harte Grenzpolitik der Türken dürfte dagegen noch zu frisch sein, um sie in Deutschland bereits zu spüren. Es scheint, als tappe die Bundespolizei noch ein wenig im Dunkeln, wie es in der Flüchtlingskrise weitergeht.

Verlassen will sich Thomas Schweikl jedenfalls nicht darauf, dass es für ihn und seine Kollegen ruhiger wird, dafür hat er in den vergangenen Wochen zu viel Auf und Ab erlebt. Falls bald wieder mehr Flüchtlinge kommen, "sind wir vorbereitet", sagt Schweikl, "wir wissen ja inzwischen, wie es geht".

© SZ vom 03.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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