Bildung in Bayern:"Corona-Verlierer wird es nicht geben, dafür sorgen wir schon"

Lesezeit: 3 Min.

Ob das Abitur 2021 auch mit Maske und Mindestabstand geschrieben werden muss, ist noch unklar. Sicher ist: Manche Themenbereiche werden in den Prüfungen nicht vorkommen. (Foto: dpa)

Damit die Schulabgänger im nächsten Jahr keine Nachteile aus der Krise haben, werden Themenbereiche von den Prüfungen ausgenommen. Das stößt bei den Lehrern auf unterschiedliche Resonanz.

Von Anna Günther

Groß waren die Sorgen vieler Abiturienten in Bayern, in dieser unberechenbaren Zeit ihre Prüfungen zu schreiben. Groß war das Versprechen der Regierung, Corona-Nachteile zu verhindern. Fristen wurden verschoben, Klausuren erlassen. Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) versprach "faire Bedingungen". Die schriftlichen Abiturprüfungen sind mittlerweile geschafft, fürs Mündliche können die 35 000 Jugendlichen in den Pfingstferien lernen. Sie haben mehr Zeit als alle Schüler vor ihnen und konnten zuvor entscheiden, welche Noten zählen.

Große Vorteile, finden viele Lehrer. So wurden auch Wackelkandidaten zum Abitur zugelassen, die es sonst nicht geschafft hätten. Mehr Sorgen machen sich Pädagogen um die Elftklässler, die acht Wochen nicht in der Schule waren und denen die Zeit davonläuft. Einige sprechen sogar vom "verlorenen Jahrgang", offen will das niemand sagen. Zu feindselig sei derzeit die Stimmung gegen Lehrer.

Bildungspolitik
:"So macht alles keinen Sinn"

Nach den Pfingstferien sollen wieder alle Grundschüler den Unterricht besuchen. Während am Vormittag strenge Abstandsregeln gelten, gibt es bei der Mittagsbetreuung keine Trennung. Eltern und Lehrer sind verwirrt.

Von Anna Günther und Iris Hilberth

Die Noten der Elftklässler zählen bereits für ihr Abitur im kommenden Jahr, der Stoff wird ebenfalls geprüft. Klausuren und Tests fielen aber per ministerieller Ansage aus. Damit wollte Piazolo Druck rausnehmen. Die Schüler können ihre fehlenden Punkte mit anderen Semestern verrechnen. Die Zeit der Schulschließungen aber ist kaum aufzuholen, zu unterschiedlich waren Lehrmethoden und Lernfortschritt.

"Wir werden natürlich bei den Lehrplänen und Fächern einkürzen", hatte der Kultusminister schon Mitte April erklärt, als sich abzeichnete, dass an Normalität im restlichen Schuljahr nicht denken zu ist. Von Kürzungen will sein Haus nun nichts mehr wissen. Aber kurz vor den Pfingstferien wurde bekannt, welche Themenbereiche in den jeweiligen Fächern für die Abiturprüfung 2021 nicht mehr relevant sind. Entsprechende Regeln für das Abitur an beruflichen Schulen sollen noch folgen. Reichlich spät, finden viele Lehrer. Von katastrophalem Zeitmanagement ist die Rede.

Mit der Schwerpunktsetzung sollen Schüler und Lehrer entlastet werden. Grundsätzlich dürfe aber kein Stoff entfallen, betont man im Ministerium. An der Qualität des Abiturs ändere sich nichts, "wir senken keine Standards". Darauf ist die Staatsregierung stets besonders stolz: bessere Ergebnisse zu haben als die anderen Länder und höhere Ansprüche. Daran soll Corona nichts ändern. Der Stoff soll behandelt und in Klausuren geprüft werden. Aber alle Lehrer müssen sich an die Reihenfolge im Lehrplan halten, falls weitere Einschnitte wie Schulschließungen folgen.

Dass den Schülern Luft verschafft wird, kommt bei vielen Lehrern gut an. Wie umfangreich die Kürzung ausfällt, ist so unterschiedlich wie die Reaktionen: In modernen Fremdsprachen oder Deutsch fällt nur wenig weg. In Deutsch sind es Teamarbeit, Referate halten, kreatives Schreiben. "Es ist ein Witz, eigentlich wird nichts gestrichen, nur kleine Nebenaspekte oder Beispiele großer Themen", sagt ein Lehrer aus der Oberpfalz. Für die Abiturvorbereitung bringe das nichts. Auch Reinhard Schneider spricht von "Randbereichen". Das "Programm" nennt der Vorsitzende der Fachgruppe Deutsch im Philologenverband (BPV) "sehr ehrgeizig". Wenn im kommenden Schuljahr kein normaler Unterricht stattfinden könne, "haben wir ein Problem", sagt Schneider. Mehr Entlastung hätte es gebracht, "journalistische Schreibformen" zu streichen.

"Es ist der richtige Schritt, den Schülern Brücken zu bauen"

Essay und Kommentar gelten als schwer und nur wenige Abiturienten wählen diese Aufgaben. Die Zeit, um dafür zu üben, könnten sie besser nutzen. Dagegen ist sein BPV-Kollege Florian Borges mit der Auswahl in Mathe recht zufrieden. Unter anderem entfallen Sinus- und Kosinusfunktion, der Signifikanztest und die Abstandsbestimmung windschiefer Geraden. "Für schwächere Schüler ist es ein Vorteil. Wenn ich weiß, dass in Stochastik der Signifikanztest wegfällt, bleibt nicht mehr viel", sagt Borges. Mit diesen Themen haben schwächere Schüler oft Probleme. Für ihn ist eindeutig, dass niemand durchs Abi fallen und Petitionen wie 2019 vermieden werden sollen.

"Es ist der richtige Schritt, den Schülern Brücken zu bauen", sagt auch Robert Wittl, der Chemie und Biologie unterrichtet. Von regelmäßig aufkommenden Forderungen zur Entrümpelung des Lehrplans will der Oberstufenkoordinator nichts hören: Der ausgeklammerte Stoff sei "in keinster Weise" überflüssig. "Leute, die das fordern haben den Sinn der Schule nicht verstanden. Es geht darum, sich an Denkweisen, Einstellungen, naturwissenschaftliche Sachverhalte heranzutasten." In Chemie entfallen zum Beispiel Redoxgleichgewichte, die für elektrochemische Energiequellen wie Batterien und Brennstoffzellen wichtig sind. Für Wittl sind das "Zukunftsthemen".

Noch mehr als um schwache Elftklässler, die sich zuletzt wegduckten, sorgen sich Wittl und viele Kollegen um die zehnten Klassen, die erst nach Pfingsten wieder in die Schulen kommen: "Viele männliche Zehntklässler tun bis zum ersten Halbjahr nix, bekommen Fünfer und geben erst dann Gas." Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands und Chef eines Deggendorfer Gymnasiums spricht vom "Pfingstwunder". Durch das Benotungsverbot fällt das Wunder nun aus. Viele dürfen auf Probe vorrücken, die Entscheidung ist vertagt. "Aber wie sollen sie gefördert werden, wenn sie nur jede zweite Woche an der Schule sind?", fragt Meidinger.

Die Zehntklässler bekommen mit dem Jahreszeugnis die Mittlere Reife und die Oberstufenreife, könnten die Schule verlassen oder eine Lehre machen. Eigentlich. Was mit ihnen passiert sei aber bisher nicht klar, beklagen viele Lehrer. Manche Schüler sind zu schlecht, um die Besondere Prüfung am Ende der Sommerferien zu schreiben und so die Mittlere Reife zu schaffen. Sie hätten das zweite Halbjahr zum Notenausgleich gebraucht. Von einem verlorenen Jahrgang wollen Borges, Wittl und ihre Kollegen aber nichts hören. "Corona-Verlierer wird es nicht geben, dafür sorgen wir schon", sagt Borges. Aufs Ministerium will er sich nicht verlassen.

© SZ vom 06.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Bildung
:Schüler unter dem Radar

Die Leiter von Grund-, Mittel- und Förderschulen beklagen den Fokus der Staatsregierung auf Gymnasien und Realschulen in Corona-Zeiten. Sie sorgen sich um die Kinder, die es ohnehin schwer haben.

Von Anna Günther

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: