Landgericht Coburg:47-Jähriger flieht aus Gericht in Coburg

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Nach einer Großfahndung der Polizei ist ein Sexualstraftäter, der am Montag aus dem Coburger Justizgebäude flüchtete, festgenommen worden. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Die Polizei sucht mit Großaufgebot und Hubschrauber nach dem Flüchtigen. Er ist aus einem Fenster im Erdgeschoss des Gebäudes entkommen. Es ist schon der zweite solche Fall in Bayern in diesem Jahr.

Von Olaf Przybilla, Coburg

Am Coburger Landgericht ist ein 47 Jahre alter Angeklagter während der Gerichtsverhandlung aus dem Gericht geflüchtet. Man suche mit einem Großaufgebot nach dem Mann, erklärte am Montag der Sprecher der Coburger Polizeiinspektion, Stefan Probst. Dabei kam auch ein Polizeihubschrauber zum Einsatz. Ghaith Abdulrahman Mahmoo B. war während einer Verhandlungspause durch ein - offenbar unzureichend gesichertes - Fenster im Erdgeschoss geflüchtet.

Der Mann muss sich wegen sexuellen Missbrauchs seiner beiden minderjährigen Töchter verantworten. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung waren ihm die Fußfesseln während der Verhandlung abgenommen worden. Diese begann um 9 Uhr am Landgericht Coburg, etwa anderthalb Stunden später gelang dem Mann die Flucht. Zuvor hatte das Gericht eine Verhandlungspause anberaumt, der 47-Jährige wollte sich mit seinem Anwalt in einen Besprechungsraum zurückziehen. Nach SZ-Informationen hatte er aber darum gebeten, zuvor auf die Toilette gehen zu dürfen.

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Auf dem Weg dorthin wurde er von einem Beamten des sogenannten Vorführungsdienstes begleitet. Nach Angaben der Landgerichts Coburg habe er diesen Moment genutzt, um vom ersten Stock - dem Verhandlungsort - über die Treppe ins Erdgeschoss zu flüchten. Dort habe er ein Zeugenzimmer genutzt, um ein mit Sicherheitsschloss gesichertes Kippfenster mit Gewalt aufzureißen und zu fliehen. Der Vorgang, sagt ein Coburger Richter, habe "höchstens ein bis zwei Minuten" gedauert. Das sei "alles sehr unschön", zumal seit dem Fall Regensburg - wo erst im Januar ein verurteilter Mörder aus dem Amtsgericht geflüchtet war - erst wenige Wochen vergangen seien.

Der Richter hält es für unwahrscheinlich, dass die Flucht in Coburg spontan war. Vieles deute auf eine "geplante Aktion" hin, dies aber sei vorläufig nur eine Vermutung. Nach Angaben von Timm Hain, Leiter der Pressestelle am Landgericht, sei der Beamte "sofort hinterhergerannt", habe dessen Flucht aber "nicht mehr verhindern" können. Laut Polizeisprecher ist nicht bekannt, in welche Richtung der 47-Jährige aus dem Fenster flüchtete. Was dafür sprechen würde, dass der Beamte den Mann zuvor schon aus den Augen verloren hat.

Vor der Verhandlung befand sich der 47-Jährige in der Justizvollzugsanstalt in Kronach in Untersuchungshaft. Zu Beginn des Verhandlungstages war er von Beamten nach Coburg gebracht worden. Das Polizeipräsidium Oberfranken veröffentlichte am Montagmittag eine Beschreibung des Flüchtigen. Demnach ist der Mann zirka 180 Zentimeter groß, trug am Vormittag einen weinroten Pullover und eine schwarze Hose, hat schwarze Haare und einen schwarzen Bart. Polizeiangaben zufolge ist der geflüchtete Ghaith Abdulrahman M. irakischer Staatsangehöriger. Am Montag fahndeten alle verfügbaren Polizeistreifen mit Unterstützung von Polizeihunden nach ihm.

In einer Gerichtsreportage vom dritten Verhandlungstag hatte ein Reporter der Coburger Neuen Presse notiert, der Staatsanwalt gehe beim Angeklagten von "hoher Fluchtgefahr" aus und habe deswegen einen Haftbefehl erlassen. Der siebenfache Familienvater aus Coburg soll sich der Staatsanwaltschaft zufolge an zwei seiner Töchter vergangen haben. Demnach soll er die beiden Minderjährigen in insgesamt 98 Fällen sexuell missbraucht haben. Teile der Verhandlung vor der Jugendkammer waren bislang zum Schutz der Kinder nicht-öffentlich geführt worden. Am Montag, dem vierten Verhandlungstag, hätte - wie dem 47-Jährigen bekannt war - ein Urteil ergehen sollen. In Abwesenheit des Angeklagten erging es am Montag dann tatsächlich auch: Wegen sexuellen Missbrauchs wurde Ghaith Abdulrahman Mahmoo B. zu einer Haftstrafe von fünfeinhalb Jahren verurteilt.

Erst zu Jahresbeginn war ein Mörder aus dem Gericht in Regensburg geflohen. Nach mehreren Tagen konnte der Mann in Frankreich festgenommen werden. Inzwischen wurde er wieder nach Bayern überstellt. Und die Polizei hat Fehler eingeräumt. Eine der Erkenntnisse von damals sei gewesen, dass die Flucht in Regensburg "durch die mangelnden Kenntnisse der Vorführbeamten zu baulichen und sicherheitstechnischen Gegebenheiten begünstigt" worden sei. Als Folge sollte die Zusammenarbeit zwischen ortsfremden Polizeikräften und dem örtlichen Sicherheitspersonal intensiviert werden.

Auf die erneute Flucht eines Gefangenen fällt nun sogar die Reaktion der Staatsregierung barsch aus. Dergleichen sei "nicht hinnehmbar", sagte Justizminister Georg Eisenreich (CSU). Offenbar werdende "Sicherheitslücken" seien "nicht akzeptabel". Der Minister habe umgehend veranlasst, die Hintergründe der Flucht "lückenlos und unverzüglich" aufzuklären. Die Polizei will den Vorfall zum Anlass nehmen, gemeinsam mit der Justiz die "Einsatzkonzeptionen zur Bewachung von Gefangenen" zu überprüfen. Der Minister ordnete an, "dass jedes bayerische Gericht bis Ende der Woche zu den örtlichen Sicherheitskonzepten berichten" muss.

Hinweise auf den Flüchtenden habe es am Montag aus zahlreichen Stadtteilen Coburgs gegeben, sagt Ralf Wietasch, ein Beamter der Polizeiinspektion Coburg. Sie hätten sich allerdings allesamt als "nicht zielführend" erwiesen. Auch habe man die Kameras des Gerichts ausgewertet, darauf sei aber kein brauchbares Material zu sehen gewesen - anders als im Fall Regensburg. Ebenfalls anders als in Regensburg, und das war die gute Nachricht aus Coburg am Montag, schätze man den Flüchtenden "nicht als hochgefährlich für die Bevölkerung" ein.

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