Coburg:Eine Posse, frei nach Dürrenmatt

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Die Firma Brose lässt an ihrem Stammsitz neuerdings wieder Geld sprudeln. Die Freudenbekundungen darüber erinnern an einen Literaturklassiker.

Von Olaf Przybilla

In Friedrich Dürrenmatts "Besuch der alten Dame" kommt die Milliardärin Claire Zachanassian in die Kleinstadt Güllen, in der sie ihre Jugend verbracht hat. Ihr ist dort, so findet sie, in jungen Jahren Unrecht widerfahren. Nun macht sie der Stadt ein unmoralisches Angebot: Eine Milliarde bekommt die Kommune, sollte jemand den Mann beseitigen, der ihr damals Leid angetan hat. Die Leute aus Güllen reagieren mit Abscheu und Empörung, beginnen aber ein Leben auf großem Fuß: Ein neues Stadthaus wird gebaut, die Kirche leistet sich eine neue Glocke, Güllen verfällt in Konsumrausch. Am Ende bekommt die Milliardärin exakt das, was sie wollte.

Wie kommt man da jetzt drauf? Egal. Jedenfalls hat dieses bitterböse Gedankenspiel eines tragikomischen Stückeschreibers selbstredend nichts mit der aktuellen Situation in Coburg zu tun.

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Und das schon deshalb, weil die Stadt seit 2004 ja gerade nicht auf großem Fuß lebte. Beziehungsweise leben konnte. Damals sollte eine Straße nach dem Firmengründer Max Brose benannt werden, die Stadt aber lehnte das ab. Etliche Stadträte sogar mit Abscheu und Empörung, immerhin war Max Brose NSDAP-Mitglied und beschäftigte Zwangsarbeiter. Das Familienunternehmen Brose stellte daraufhin das Sponsoring in Coburg weithin ein, am Stammsitz.

Als sich Coburg umentscheidet, sprudelt wieder Geld

Aber, siehe da, die Stadt überlegte elf Jahre danach noch mal völlig neu und entschied sich im Mai plötzlich doch für eine Straßenumbenennung. Bei Brose, sechs Milliarden Jahresumsatz, nahm man das wohlwollend zur Kenntnis und hat die Stadt nun wieder ins "weltweite Förderprogramm" aufgenommen.

Und so herrscht jetzt überall großer Jubel in Coburg. "Überwältigt" zeigt sich ein Vorstand des Basketballklubs, man strebe den Aufstieg an. Die Zuwendungen müssen offenbar hochherzig ausfallen, auch wenn über deren Höhe derzeit keiner reden mag, unter Gentlemen.

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Auch das Landestheater äußert sich "stolz und glücklich" über die versprochenen Gaben. Es sei nun endlich wieder möglich, "Ausnahmekünstler" zu engagieren. Man plane, demnächst Wagners "Parsifal" auf die Bühne zu bringen.

Oh, es ist alles so wunderbar. Wobei: Noch lieber würde man sich in Coburg ja ein Stück von Dürrenmatt anschauen.

© SZ vom 15.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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