Biologie:Auch fleischfressende Pflanzen können rechnen

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Eine Fliege mit einer Klappe: Das Fangblatt der Venusfliegenfalle kann sich innerhalb von 100 Millisekunden schließen. (Foto: Imago)
  • Die Venusfliegenfalle kann mindestens bis 100 zählen und durch Plusrechnungen ihre Enzymproduktion sehr gezielt steuern.
  • Je mehr Reize folgen, desto mehr Enzyme stellt die Falle für die anschließende Verdauung her.
  • An einer Pflanze hängen mehrere Fallen. Jede Falle zählt und rechnet individuell für sich.

Von Anne Kostrzewa

Die Weltherrschaft sieht Sönke Scherzer nicht in Gefahr. "Mit einem Kindergartenkind könnte es die Venusfliegenfalle beim Rechnen aber durchaus aufnehmen", glaubt der Postdoktorand am Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie und Biophysik der Uni Würzburg. Das kann Scherzer sogar wissenschaftlich belegen.

Mit einem internationalen Forscherteam um den Würzburger Biophysik-Professor Rainer Hedrich hat Scherzer herausgefunden, dass die fleischfressende Pflanze nicht nur zählen kann, sondern sogar addieren. Demnach kann die Venusfliegenfalle mindestens bis 100 zählen und durch Plusrechnungen ihre Enzymproduktion sehr gezielt steuern.

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Von Nutzen ist ihr diese Fähigkeit beim Fangen und Verdauen von Beutetieren. Je größer eine Fliege ist, die sich verfängt, desto mehr Verdauungsenzyme braucht die Venusfliegenfalle, um ihre Beute zu zerkleinern und schließlich die darin enthaltenen Nährstoffe aufzunehmen.

Feine Sinneshaare lösen die Falle aus

Um also abschätzen zu können, wie groß das Beutetier ist, zählt die Venusfliegenfalle die Berührungen, die das Tier nach dem Zuklappen der Falle verursacht. Würde die Fliege stillhalten und keine weiteren Reize an den feinen Sinneshaaren der Falle auslösen, würde diese nach einem halben Tag wieder aufklappen. Durch das Zappeln besiegelt die Beute jedoch ihr Schicksal - die Pflanze beginnt zu zählen.

Schon länger ist bekannt, dass Venusfliegenfallen Berührungen wahrnehmen können. Außerdem wussten die Forscher, dass zwei kurz aufeinander folgende Reize die Falle zuschnappen lassen. Bislang war man jedoch davon ausgegangen, dass die Venusfliegenfalle ihre Beute nach dem Zuschnappen zügig verdaut.

Im Labor zeigte sich jedoch, dass der Überlebenskampf eines gefangenen Insekts bis zu zwölf Stunden dauern kann, bevor der Verdauungsprozess in der Falle einsetzt. Das machte die Forscher stutzig.

Welchen Nutzen könnte die Pflanze daraus ziehen, ihr Beutetier so lange unverdaut in ihrem Innern zappeln zu lassen? Sönke Scherzer beschloss, den Überlebenskampf einer Fliege im Innern der Venusfliegenfalle zu simulieren.

Dazu brauchte er nur ein feines Stäbchen. "Ich habe die Falle zweimal angetippt, damit sie sich schließt, und habe mit dem Stäbchen dann im Innern weitere Reize auslöst, wie es die Fliege machen würde", sagt Scherzer.

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Dabei stellte er fest, dass die Venusfliegenfalle ab der dritten Berührung beginnt, Verdauungsenzyme zu bilden. Wie im menschlichen Magen sorgen diese Enzyme dafür, dass die Nahrung zerkleinert und in ihre Einzelteile aufgespalten wird. Je mehr Reize folgen, desto mehr Enzyme stellt die Falle für die anschließende Verdauung her.

Ab dem fünften Reiz beginnt die Falle, sogenannte Transport-Aufnahme-Mechanismen hochzufahren, um die Nährstoffe des Beutetiers aufnehmen zu können. "Die Anzahl der Reize bestimmt also, wie intensiv die Falle anschließend verdaut", sagt Scherzer. "Große Insekten sind durchaus aktiv, pro Stunde erzeugt sie dabei bis zu hundert Reize." Daraus schließt der Forscher, dass die Venusfliegenfalle auch mindestens bis 100 zählen und entsprechend darauf reagieren kann.

Jede Falle zählt individuell

Die Pflanze tut also gut daran, ihre Beute erst einmal in der Falle zappeln zu lassen. Die Wartezeit kann sie zum einen nutzen, um die nötigen Verdauungssäfte herzustellen. Zum anderen kann sie anhand der Reize sehr genau ausrechnen, wie viele Enzyme sie zum Verdauen benötigt. Die Rechenleistung der Pflanze lässt sie also energieeffizient fressen.

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An einer Pflanze hängen mehrere Fallen. Während eine Falle in den letzten Zügen der Verdauung steckt, kann eine weitere gerade die ersten Berührungen eines gefangenen Insekts aufnehmen und anfangen zu zählen. Jede Falle zählt und rechnet also individuell für sich. "Egoistisch sind die Fallen aber nicht", sagt Scherzer. "Wenn das Beutetier mehr Energie bereitstellt, als die Falle zum Verdauen braucht, gibt sie den Überschuss der restlichen Pflanze weiter."

Dabei fungiert die Falle auch als "Endlager" für Giftstoffe, die das Beutetier mitbringt. Zu viel Natrium, also Salz, ist für eine Pflanze beispielsweise schädlich. Bei der Verdauung sortiert die Falle das schädliche Natrium aus, damit es die Pflanze als Ganzes nicht schädigt.

© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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