Parasiten sind - man kann es nicht anders sagen - beim Menschen nicht besonders gut angesehen. Das ist kein Wunder, legen die kleinen Tierchen doch ein ziemlich unmanierliches Betragen an den Tag. Sie nisten sich heimlich und ungebeten bei ihren Wirten ein und leben auf deren Kosten, indem sie zum Beispiel Blut saugen oder Nahrungsbestandteile abziehen.
"Sie sind wirklich ekelhaft, aber sie sind gut in dem, was sie machen", stellte Daniel Simberloff, ein Ökologe an der Universität in Tennessee, gegenüber dem Wissenschaftsmagazin New Scientist fest ( Rachel Nowak: Life's greatest inventions, New Scientist, 9.4.2005).
Denn auch wenn die kleinen Tierchen beim Menschen ein schlechtes Image haben, so sind sie doch sehr erfolgreich - sowohl in ihren Überlebensstrategien als auch bei der Verbreitung. Die Anpassungsfähigkeit der Parasiten kann bisweilen zu höchst eigenwilligen Lebenszyklen führen. Ein besonders spektakulärer Fall von Schmarotzertum findet sich beim Kleinen Leberegel.
Die Existenz dieses Schmarotzers, der bis zu zwölf Millimeter groß werden kann, wirkt geradezu unglaublich - zumindest, wenn man den Fortpflanzungsprozess des Parasiten betrachtet. Denn der ist kompliziert: Er umfasst zwei Zwischenwirte und einen Endwirt und beinhaltet zudem auch noch Gehirnmanipulation.
Der ausgewachsene Kleine Leberegel lebt meistens im Gallengang eines Schafes oder Rindes. Nur selten befällt er auch Menschen. Die Eier des Parasiten gelangen über den Kot der Tiere ins Freie. Wegen der pflanzlichen Rückstände stellen die Ausscheidungen für Schnecken "eine willkommene Nahrung dar" ( Johannes Eckert u. a.: Lehrbuch der Parasitologie für die Tiermedizin, 2005).
Verführerischer Schneckenschleim
Im Körper der Schnecke bilden die Eier dann Leberegel-Larven. Diese wandern diese bis in die Atemhöhle der Schnecke. Dort werden sie in einen Schleimbrocken gehüllt von dem Weichtier ausgehustet. Diesem Schneckenschleim können nun offenbar Ameisen kaum wiederstehen und fressen ihn auf.
War das Szenario bis hierher schon abenteuerlich, so wird es jetzt geradezu gespenstisch: Während der Großteil des Leberegel-Nachwuchses in der Leibeshöhle der Ameise weiter heranreift, setzt sich eine Larve im Gehirn des Insekts fest - und manipuliert dessen Verhalten.
Der sogenannte Hirnwurm bewirkt bei der Ameise ein völlig untypisches Verhalten: Statt am Abend in ihr Nest zurückzukehren, klettert die Ameise an die Spitze eines Grashalms. Dort beißt sie sich fest - und wird an diesem prominenten Platz mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Schaf oder Rind verspeist. Auf diesem Wege gelangen die Larven des Kleinen Leberegels in ihren Hauptwirt, wo sie sich fertig entwickeln können. Dann beginnt der Zyklus von Neuem.
Warum Parasiten so erfolgreich sind, lesen Sie auf Seite zwei.
So absurd diese Fortpflanzungskette erscheinen mag, so zeigt sie doch, warum Parasiten so erfolgreich sind. Zum einen haben zumindest einige von ihnen tatsächlich die höchst bemerkenswerte Fähigkeit, das Verhalten ihrer Wirte gegen deren Willen gezielt zu verändern, um sich selbst möglichst effektiv auszubreiten. Außer dem Kleinen Leberegel manipuliert beispielsweise auch der Toxoplasma gondii das Verhalten seiner Wirte, in diesem Fall Ratten und Mäuse.
Zum anderen bietet der Leberegel ein anschauliches Beispiel dafür, wie sehr sich Parasiten selbst an Gegebenheiten anpassen können, zum Beispiel an die am Ort vorhandenen Tiere. Die Wandlungsfähigkeit von Parasiten ist so eminent, dass sie sogar als eine der entscheidenden Triebfedern für die Evolution angesehen wird. ( Rachel Nowak: Life's greatest inventions, New Scientist, 9.4.2005).
Großer Biomasse-Anteil
So gibt es einer evolutionsbiologischen Theorie zufolge nur deshalb zwei Geschlechter, weil Menschen und Tiere allein mit Hilfe ständiger Durchmischung und der Schaffung neuer Immunsysteme den anpassungsfähigen Parasiten - hier vor allem Viren und Bakterien - etwas entgegensetzen können.
Die große Durchsetzungskraft der parasitierenden Lebensformen zeigt sich aber auch an ihrer schieren Zahl: So kommen nach Schätzungen von Forschern auf jede Art von Wirtsorganismus vier Arten, die sich als Schmarotzer ihr Überleben sichern ( Matthias Gräbner: Jede Menge Parasiten, Telepolis, 24.7.2008).
Wie ein internationales Forscherteam kürzlich herausfand, spielen Parasiten zudem im Ökosystem offenbar eine größere Rolle als bislang vermutet: Bei Untersuchungen an mehreren Flussmündungen bildeten die kleinen Lebensformen einen größeren Anteil an der Biomasse - also der Gesamheit der Masse an organischem Material - als zuvor angenommen.
Besonders hervor stachen demnach die Saugwürmer, zu denen auch der Kleine Leberegel gehört: Ihre Biomasse lag gleichauf mit der der Fische. ( Nature 454, 515 - 518 (24.7.2008), doi: 10.1038/nature06970 / Matthias Gräbner: Jede Menge Parasiten, Telepolis, 24.7.2008).
Und noch etwas spricht für die große Gewieftheit des Kleinen Leberegels: Die Parasiten sollen überall vorkommen, wo ihre Wirtstiere Schnecke, Ameise und Schaf bzw. Rind zusammenleben. Bei Untersuchungen in der Schweiz und in Bayern zeigte sich zudem, dass mehr als die Hälfte der überprüften Rinderherden infiziert war ( Beate Willms: Der schmarotzende Gehirnwäscher, taz, 3.9.2007).
Parasiten mögen also vielfach Grausen und Widerwillen hervorrufen, bei näherer Betrachtung gesellt sich vielleicht auch ein bisschen Respekt dazu - oder zumindest Staunen.