Bildung in Bayerm:Bald kommt das neunjährige Gymnasium wieder

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Die Klagen von Eltern, Schülern und Lehrern wurden erhört - die Rückkehr des G 9 ist die beste Gelegenheit, verloren gegangene Themen wieder aufzunehmen. Nur: Das Ministerium muss diese Chance nutzen.

Von Anna Günther

Die Reform der Reform soll endlich Ruhe ins bayerische Gymnasium bringen. Fest stehen derzeit nur die Eckpunkte: Im Herbst 2018 könnte es losgehen, bis zum Sommer 2017 sollen die Schulen entscheiden, ob sie in acht oder neun Jahren zum Abitur führen wollen. Große Gymnasien können beides anbieten. Der Mittlere Abschluss soll nach zehn Schuljahren verliehen werden. Dann wird das zusätzliche Jahr eingeschoben, bevor die Q-Phase vor dem Abitur beginnt.

Zum Jahresende will Ministerpräsident Horst Seehofer das Konzept zur Weiterentwicklung des Gymnasiums haben. Bis dahin sollen Lehrer, Schüler, Eltern und Politiker über Details diskutieren. Mit dieser Dialogphase will Schulminister Ludwig Spaenle verhindern, dass erneut Jahre des Nachbesserns folgen. Dieser Dialogprozess ist auch die Chance, Fehler auszugleichen, die bei der Umstellung zum G 8 passiert sind.

Bisher ist aber nicht geplant, den Lehrplan Plus inhaltlich zu verändern. Darin könnte der erste Fehler der Reform liegen. Der Plan ist fertig, für das G 8 geschrieben und kommt im Herbst 2017 an die Gymnasien. Für den neunjährigen Weg soll der Stoff nur umverteilt werden. Dabei klagen Lehrer und Professoren seit Jahren über Qualitätsverlust beim Abitur. Einige Pädagogen sagen gar, dass ihre Schüler die Prüfungsaufgaben des alten G 9 nicht lösen könnten. Die Kinder sind keineswegs dümmer, aber bei der ruckartigen Umstellung vom alten G 9 zum G 8 musste Stoff gestrichen werden. Im Abitur wird heute weniger vorausgesetzt. Wichtiger als den Stoff zu ergänzen, ist den Experten im Philologenverband intensiver Unterricht ohne Zeitdruck und mit viel Übung. Die Fachbetreuer wissen genau, welche Inhalte im neuen Gymnasium nicht fehlen dürfen:

Deutsch

Nur Goethes Faust I ist im neuen Lehrplan Pflichtlektüre. Welche anderen Werke die Schüler lesen, ist den Lehrern überlassen. Klar, diese kennen ihr Repertoire. Aber die Freiheit birgt das Risiko, dass nur noch die üblichen Verdächtigen drankommen. In Auszügen. Ganze Schriften werden kaum gelesen. Die Deutschlehrer beklagen einen "Bedeutungsverlust der Literatur". Texte des Barocks, Mundart oder Werke der Nachkriegszeit gehen unter. "Nach Brecht und Dürrenmatt kommt fast nichts mehr", sagt Reinhard Schneider, Leiter der Fachgruppe Deutsch im Philologenverband. Dabei begeistern sich Jugendliche gerade für Popliteraten wie Benjamin von Stuckrad-Barre oder Christian Kracht. In der Schule ist dafür kein Platz. Auch für Diskussionen sei im G 8 kaum Zeit. Das G 9 wieder einzuführen, ohne den Stoff anzufassen, wäre für Schneider daher ein "verlorenes Jahr".

Aufforsten würde er bei der Literaturgeschichte. Denn Zusammenhänge der Epochen versteht nur, wer sich damit auskennt. Und dort wurde bei der Einführung des G 8 radikal gestrichen. Klassik, Romantik und Realismus werden in der Oberstufe eilig abgehandelt. Zeit für gesellschaftspolitischen Hintergründe oder philosophische Schriften von Herder, Schiller oder Kant ist nicht. Und in der Abiturprüfung liegen die Kriterien der Epochen schon der Aufgabenstellung bei. Die Schüler müssen keine Literaturgeschichte mehr lernen, um einen Text richtig zu analysieren. Ändert sich das nicht, könnten Phänomene wie die Blaue Blume der Romantiker oder Schillers Definition der schönen Seele verloren gehen. An den Hochschulen ist dieses Problem bereits angekommen.

Mathematik

Alle Experten wünschen sich eine Reform der Oberstufe. Am meisten würden die Naturwissenschaften davon profitieren, findet Florian Borges. Die "mathematische Grundversorgung" sei zwar gesichert, aber es könne nicht sein, dass das Gymnasium die Ingenieure der Zukunft nicht mehr aufs Studium vorbereitet. An den Hochschulen sind Vorkurse für die Naturwissenschaften längst Standard und die Abbruchquoten trotzdem höher als in anderen Bereichen. Die Leistungskurse des alten G 9 vermittelten höhere Mathematik, mit dem Einheitsabitur sei das nicht möglich, sagt Borges.

Die Starken müssen sich dem Niveau der Masse anpassen. Komplexe Zahlen und Integrationstechniken sind an der Uni Standard, dafür ist im G-8-Lehrplan aber kein Raum. Raus fallen auch Widerspruchsbeweise, dabei funktioniert so jede Argumentation vor Bayerns Gerichten: Anwälte und Anklage argumentieren eine Annahme (der Gegenseite) durch, um diese dann zu widerlegen. Zurückholen würde Borges auch die Kugelgeometrie. Zwar brauchen das später nur Seefahrer und Piloten, "aber wir leben auf einer Kugel". Und jeder, der bei Google Maps weite Distanzen eingibt, kennt die kreisförmige Route von Schiffen und Flugzeugen.

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