Biodiversitätsprojekt:Ein Refugium für alte Obstsorten

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Mehr als 60 vom Aussterben bedrohte alte Apfel- und Birnensorten wurden in dem Erhaltungsgarten in Benediktbeuern-Häusern gepflanzt (Foto: Harry Wolfsbauer/Harry Wolfsbauer)

In sechs Landkreisen am Alpenrand wurden sogenannte Sortenarchen geschaffen - auch in Bad Tölz-Wolfratshausen. In Benediktbeuern werden vom Aussterben bedrohte historische Äpfel und Birnen für die Nachwelt erhalten.

Von Alexandra Vecchiato, Benediktbeuern

In alten Gärten finden sie sich noch - Obstsorten, die es in den Regalen der Supermärkte kaum zu finden gibt. Seit einigen Jahren nimmt das Interesse an ihnen wieder zu. Das Thema "Diversität" spielt auch bei Pflanzen eine Rolle, wenn es etwa um die Gesundheit von Obstbäumen geht. Abwechslung statt lauter genormte Früchte liegt im Trend. Oft ist es der aromatische Geschmack, den man in keinem Supermarktregal mehr findet, der Äpfeln, Birnen und Co. zur Renaissance verhilft. Das oberbayerische Biodiversitätsprojekt " Apfel - Birne - Berge" hat zum Ziel, alte Obstsorten zu retten und nachzuzüchten. Zu finden sind die Bäume in sogenannten Obstsortenarchen. Eine davon befindet sich im Klosterdorf Benediktbeuern, Ortsteil Häusern.

Moderne Früchte werden in der Regel für den Sofortverzehr gezüchtet. Die alten Sorten indes hatten vielerlei Verwendungszwecke: Während sich der eine Apfel etwa am besten für Kompott eignete, mundete ein anderer nur im Kuchen oder als Most. Mehr als 250 unbekannte oder vergessene Apfel- und Birnensorten wurden seit 2015 im Auftrag der Regierung von Oberbayern in sechs oberbayerischen Landkreisen zwischen Weilheim-Schongau und Berchtesgaden entdeckt. Viele von ihnen hatten keinen Namen mehr. Was die Projektverantwortlichen vor große Herausforderungen stellte. Sie wollten nicht nur wissen, welchen Schatz man gefunden hatte, sondern auch, wozu er sich eignet. Da ist das Fachwissen von Pomologen gefragt.

Die jungen Obstbäume auf dem Areal der Obstsortenarche werden hoffentlich bald Wurzeln schlagen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Georg Loferer ist so ein Experte, wenn es um alte Obstsorten geht. Eigentlich hat der 34-Jährige aus Rohrdorf am Inn Forst- und Holzwissenschaften studiert. Dann jedoch kam die Weiterbildung zum Pomologen, also zum Experten für Obstsorten. Sein Spezialgebiet sind die alten Sorten des Alpenvorlands. "Ich bin Autodidakt", erzählt Loferer. Die sehr alten Streuobstwiesen seines Onkels, die er später übernahm, entfachten jene Leidenschaft, die ihn seither begleitet. "Was ich erntete, durfte ich auf dem Markt verkaufen." Das Taschengeld kam gerade recht. Nach und nach habe er sich mit den Sorten befasst, um den Wünschen seiner Kunden nachkommen zu können.

Die verschiedensten Eigenschaften von Äpfeln und Birnen faszinierten Loferer. Nach seinem Studium kam die Regierung von Oberbayern auf ihn zu und beauftragte ihn mit der Kartierung alter Sorten. Zuerst, so erzählt der Pomologe, wollte er die Sache methodisch durchziehen. "Aber das hat nicht funktioniert. Ich bin aufs Geratewohl zu den Leuten gefahren. Das war eigentlich ganz spannend."

Im Jahr 2020 bestimmte der Pomologe Georg Loferer alte Apfelsorten in einem Garten in Ambach, hier der "Danziger Kant". (Foto: Hartmut Pöstges)

Nun gibt es Äpfel und Birnen, die kein Mensch mehr zuordnen kann. Im Laufe der Jahrzehnte gingen ihre Namen verloren oder sie erhielten neue - manchmal gibt es für ein und dieselbe Sorte in verschiedenen Regionen unterschiedliche Bezeichnungen. Einem Detektiv gleich behalf sich Loferer mit alten Beschreibungen, Gemälden, dem Wissen anderer Experten und vielem mehr. Und wenn all das den Sherlock Holmes der alten Obstsorten nicht weiterbrachte, griff er auf den genetischen Fingerprint von Apfel und Co. zurück. 350 Gentests wurden 2019 mit der Schweizer Gendatenbank (Birnen) und der Deutschen Gendatenbank Obst (Äpfel) abgeglichen - mit finanzieller und organisatorischer Unterstützung der Landesanstalt für Landwirtschaft. Dafür wurden in den Sommer- und Herbstmonaten Blattproben eingesammelt und eingeschickt.

Im Ergebnis konnten 59 Apfel- und zwölf Birnbäume erfassten Sorten zugewiesen werden. 42 Apfel- und 71 Birnensorten blieben unbekannt. Statt Namen tragen sie Nummern. Auch zog Loferer das Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee in Bavendorf, Apfelpapst Hans-Joachim Bannier aus Bielefeld oder Apfelguru Anton Klaus aus Oberneufnach zurate und nicht zuletzt ebenfalls die Sammlung des Pomoretum Triesdorf.

Mehr als 100 Gärten im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen

Als das Projekt offiziell startete, meldeten sich Hunderte Obstbaumbesitzer in den teilnehmenden Landkreisen Bad Tölz-Wolfratshausen, Weilheim-Schongau, Berchtesgaden, Traunstein, Rosenheim und Miesbach. "Der Pomologe Georg Loferer hat die Gärten bereist, um wichtige Baummerkmale aufzunehmen und Fruchtproben zur Bestimmung zu nehmen", sagt Anika Dollinger von der Kreisfachberatung für Gartenkultur und Landespflege am Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen. Sie betreut gemeinsam mit ihrer Kollegin Elisabeth Obermüller den Erhaltungsgarten in Benediktbeuern-Häusern.

Mehr als 100 Gärten hat Loferer im Tölzer Landkreis besichtigt, 30 erhaltenswerte Sorten allein dabei gefunden. 50 Merkmale habe er pro Sorte beschrieben, erzählt der 34-Jährige, darunter Zucker- und Säuregehalt, Aussehen und Lagerfähigkeit. Natürlich gab es auch Brenn- und Dörrversuche mit den Früchten. Bei Äpfeln gebe es mehr Vergleichsmaterial, sagt Loferer. Bei Birnen sehe das ganz anders aus. Sie seien bedrohter, in Vergessenheit zu geraten, da viele alte Sorten nicht zum Verzehr gedacht waren. Sie schmecken nicht, das Fruchtfleisch wird gleich braun - kurzum: Ihr Bestimmungszweck war das Mosten. Auch Wein wurde aus Birnen hergestellt. Bis zum Zweiten Weltkrieg seien solche Sorten weitverbreitet gewesen, erzählt der Pomologe. "Da gibt es noch viel zu erforschen und zu sichern."

Ebenfalls in Ambach gefunden: die Sorte Grahams. (Foto: Hartmut Pöstges)

Nicht alle alten Sorten seien resistent gegen Krankheiten, aber doch etliche sehr robust. Auch ein Wissen, das nicht verloren gehen dürfe, betont Loferer. Oder die Gefahr von Frösten während der Blüte: 2023 hat es unter anderem bei Boskop und Topaz Ausfälle gegeben. "Ältere Sorten blühen zwei Wochen später. Ich denke, auch in diesem Jahr könnten Spätfröste die Apfelernte versauen", sagt Loferer. Die historischen Sorten kämen teilweise auch besser mit dem Klimawandel zurecht.

Manche Sorten hatte Loferer nicht erwartet zu finden. Etwa den Himbsel Rambur, eine vom Aussterben bedrohte Apfelsorte im Landkreis Garmisch-Partenkirchen. "Ein Baum steht tatsächlich in Bad Tölz." Oder eine alte Birne, die bis zu ein Kilo schwer werden kann. Wenn Loferer von seinen Funden erzählt, ist er nicht mehr zu bremsen. Im Bereich Geretsried/Wolfratshausen habe er einen Apfel gefunden: groß, rot, Geschmack süß-säuerlich. Es habe keine genetische Übereinstimmung bei der Untersuchung gegeben. "Ich denke, dass das eine Sorte aus Russland ist, die nach dem Krieg mitgebracht wurde", so Loferer.

Mönche und Geistliche, die von Kloster zu Kloster reisten, hätten Reiser im Gepäck gehabt, ebenso wie Handelsreisende. Nicht zu vergessen, dass es einst Brauch war, dass Mägde, wenn sie ihre Anstellung wechselten, ihrem neuen Dienstherrn als Antrittsgeschenk Zweige zum Veredeln mitbrachten. "So kamen verschiedenste Sorten auf die Bauernhöfe." Besonders freut Loferer der Fund der Benediktbeurer Wachsrenette. Sie bringt kleine, aromatisch-würzige Früchte hervor. Die Sorte eignet sich für raue klimatische Verhältnisse. "Jahrzehntelang stand die Sorte mit falschen Namen in den Sammlungen als Schöner von Wiltshire", erzählt Loferer. Erst ein älterer Bichler brachte in diesem Bestimmungskrimi Licht ins Dunkel. Unerwartet sei für ihn bei seiner Tour durch die Landkreise gewesen, dass viele sächsische und norddeutsche Sorten vorhanden waren, erzählt der Pomologe.

Kreisfachberaterin Elisabeth Obermüller. (Foto: Harry Wolfsbauer)
Kreisfachberaterin Anika Dollinger. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Ehe junge Bäume in Benediktbeuern-Häusern im Herbst 2023 gepflanzt werden konnten, mussten sie erst gezogen werden. Loferer bestimmte nicht nur anhand von Früchten, Blättern und Genanalysen die alten Sorten. Er nahm Reiser, also dünne Zweige, mit denen man durch Veredeln ein genetisch hundertprozentiges Abbild einer Baumsorte schaffen kann. Diese Reiser übergab Loferer an Baumschulen, die die kleinen Bäume heranzogen. Das Sortiment der so geretteten alten Sorten umfasst insgesamt 270 Äpfel und Birnen.

Mehr als 60Bäume sind in Benediktbeuern gepflanzt worden, die in erster Linie aus dem Landkreis stammen. "Es geht darum, dass regionale Sorten nicht komplett verschwinden", sagt Elisabeth Obermüller. Doch das ist nicht der einzige Aspekt: Der alte Streuobstgarten in Häusern gehörte von alters her zum Kloster Benediktbeuern, das Areal wurde für das Projekt vom Zentrum für Umwelt und Kultur gepachtet. Man bewahre demnach auch eine jahrhundertealte Tradition, sagt Dollinger. Und die Arche mit ihren uralten Bestandsbäumen sei ein artenreicher Lebensraum, betonen die beiden Kreisfachberaterinnen. Ein Paradies für Insekten und Reptilien. Geplant ist, dass die Wiese von alpinen Steinschafen beweidet wird.

Streuobsttag im April

Die Obstsortenarche soll nicht ein Museum sein, das nur wenige betreten dürfen. Dort soll es Veranstaltungen wie Führungen für Schulklassen, Schnitt- und Veredelungskurse geben - in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Umwelt und Kultur. Pomologe Loferer und Projektmanagerin Eva Bichler-Öttl vom Landratsamt Rosenheim laden am Freitag, 26. April, zum "Streuobsttag" ein mit Führungen und Vorträgen im Garten in Häusern (14 bis 17 Uhr; keine Anmeldung erforderlich).

Bis Früchte im Erhaltungsgarten geerntet werden können, werden noch Jahre vergehen, so Elisabeth Obermüller. Loferer ergänzt, dass aktuell der Schwerpunkt auf der Nachzucht der historischen Sorten liege. Aber irgendwann können sich alle Obstliebhaber freuen, schließlich soll es Verkostungen geben. Von 2025 an werden laut Loferer auch Reiser für Liebhaber zur Verfügung stehen, die selbst alte Sorten im eigenen Garten anbauen möchten.

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