Bayerische Staatsregierung:Söders Mann für alles

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Staatskanzleichef Florian Herrmann und Ministerpräsident Markus Söder während einer Sitzung des Bundesrats in Berlin. (Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Im Land kaum bekannt, für den Ministerpräsidenten unverzichtbar: Florian Herrmann koordiniert die Regierungsarbeit und ist Bayerns Chefdiplomat. Seine wichtigste Aufgabe ist es jedoch, Konflikte früh zu entschärfen.

Von Wolfgang Wittl, München

Schneidend fegt der eisige Wind durch den Innenhof von Kloster Fürstenfeld, aber Stephan Ink wird so richtig warm ums Herz. Ink ist Oberstabsfeldwebel bei der Bundeswehr, Pressesprecher der sogenannten Flugmedizin und wohl das, was man unter einer rheinischen Frohnatur versteht. Zweihundert Soldatinnen und Soldaten nehmen Aufstellung, vier Generäle sind da und der Generalarzt. 34 Jahre dient Ink bei der Luftwaffe, eine Fahnenband-Verleihung, wie sie seiner Einheit zuteilwird, erlebt er aber das erste Mal. "Das ist die höchste Auszeichnung eines Landes. Ganz tolle Sache." Genau genommen ist dieses Fahnenband keine Ehrung durch den Freistaat Bayern, sondern durch den Ministerpräsidenten. "Herr Doktor Söder wäre sicher sehr gerne persönlich gekommen", sagt Ink. "Leider hat er einen anderen Termin." Aber genau deshalb gibt es ja den Staatskanzleichef. Ach ja, Florian Herrmann, sagt ihm der Name was? Ink: "Nö!"

Wie dem Soldaten Ink aus Köln dürfte es vielen Menschen in Bayern gehen. Der Staatskanzleichef ist einer der wichtigsten Minister im Kabinett, doch seine Arbeit verrichtet er oft geräuschlos und unsichtbar. Eigenschaften, die der nicht ganz so geräuschlose und unsichtbare Markus Söder zu schätzen weiß. Wenn ein Staatskanzleichef die rechte Hand des Ministerpräsidenten ist, dann ist Florian Herrmann für Markus Söder rechte und linke Hand zugleich. "Ein absoluter Glücksfall", sagt Söder. "Er ist zu jeder Tages- und Nachtzeit einsetzbar" - Grundvoraussetzung für einen Fixstern im Machtkosmos Söder.

Um kurz nach sechs Uhr morgens beginnt für Herrmann ein normaler Tag, bis Mitternacht steht er in ständigem Kontakt mit dem Ministerpräsidenten. Offiziell ist Herrmann "Leiter der Bayerischen Staatskanzlei und Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien". Inoffiziell ist er der Mann für alles.

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Herrmann vertritt Bayern im Bundesrat, leitet die bayerischen Vertretungen in Brüssel und Berlin, sitzt im Landtag als Erster auf der Regierungsbank und geht als Letzter. Er gehört dem Ältestenrat an, dem Koalitionsausschuss und allen möglichen runden Tischen. Er ist Söders Ohr im CSU-Fraktionsvorstand, koordiniert die Regierungsarbeit mit den Freien Wählern, erklärt sogar in Fraktionssitzungen des Koalitionspartners strittige Beschlüsse, wie etwa beim Volksbegehren für Artenvielfalt. Er stimmt das Regierungshandeln mit der CSU-Parteizentrale ab, er schlichtet zwischen Ministerien, wacht über die Direktiven des Regierungschefs. Und wenn der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel die Staatskanzlei um Archivdokumente aus fast vergessenen Jahrzehnten bittet, fährt Florian Herrmann sie persönlich mit einem Blumenstrauß vorbei.

Als Bayerns Außenminister reist Herrmann um die halbe Welt. Als Chefdiplomat pflegt er Kontakte zu den USA und Russland auch in schwierigen Zeiten. Alle Regierungsgeschäfte gehen über seinen Tisch. Söder wollte unbedingt einen Juristen auf diesem Posten, kaum ein Kabinettsmitglied lobt er so hemmungslos wie den promovierten Rechtsanwalt. Unglaublich fleißig und klug sei dieser Florian Herrmann, ein "wandelnder Vermittlungsausschuss" und "Problemlöser", dem er blind vertraue. "Er reicht in dieser Rolle an die ganz großen Namen wie Erwin Huber heran."

Sieben Jahre war Erwin Huber Chef der Staatskanzlei, die SZ bezeichnete ihn einmal als besten zweiten Mann der deutschen Politik. Was zeichnet einen guten Manager der Macht aus? "Der eigene Ressortbereich ist klein, die Aufgabe des Wach- und Spürhundes steht im Mittelpunkt", sagt Huber. Konflikte früh erkennen, sie entschärfen, das reibungslose Arbeiten einer Regierung garantieren - dafür müsse der Staatskanzleichef Sorge tragen, ohne dem Ministerpräsidenten die Schau zu stehlen. "Die Vermeidung von Katastrophen oder Krisen bringt keine öffentliche Anerkennung", weiß Huber, ist aber existenziell. Wie ein Scharnier sei dieses Amt, ein Bindeglied in alle Richtungen.

Jeden Dienstag berichtet Florian Herrmann in einer Pressekonferenz über die Ergebnisse der Kabinettssitzung. Anders als seine Vorgänger tut er das selten allein, oft begleiten ihn die Fachminister. Erfolgsmeldungen sind ohnehin Chefsache, bei Herrmann muss man also im Kleinen hinschauen. Anfang Dezember ist er bei der Verlegertafel in München zu Gast, eine Runde, die mit der CSU und der Hoheit über den Stammtischen wenig gemeinsam hat. Mit einer Reminiszenz an seine Jugendzeit, an die geistige Gesellschaft von Theodor Fontane, Stefan Zweig und Thomas Mann gelingt es ihm, die zweifelnde Bücherwelt zu erobern. Ein Auswärtssieg, den sogar die kritischen Feuilletons würdigen. Kommt man da nicht auf den Geschmack?

Florian Herrmann, 48, sitzt in seinem Büro im vierten Stock der Staatskanzlei, viel Glas, schwarze Ledermöbel, Söders Chefzimmer in Rufweite. Er sagt: "Meine Tätigkeit ist irre spannend, ich würde nicht tauschen wollen." Früher habe er Diplomat werden wollen. Jetzt sei es ihm wichtig, Politik für die breite Bevölkerung zu machen, nicht nur für Eliten. Was unmittelbar zu der Frage führt: Wo in Bayern gibt es mehr Elite als im Hause Herrmann?

Sein Vater, Wolfgang A. Herrmann, 71, stand fast ein Vierteljahrhundert an der Spitze der Technischen Universität München, zu Zeiten Edmund Stoibers wäre er beinahe selbst Minister geworden. Der Beste zu sein, so eine Zielvorgabe habe es daheim nie gegeben, sagt Florian Herrmann. Geprägt habe ihn aber das Ethos seines Vaters. "Ohne Arbeit entstehen keine Wunder." Und wenn man etwas mache, "dann gescheit". Wegbegleiter sagen, wer sich im Schatten dieses Patriarchen entwickelt habe, finde auch bei Söder seinen Platz. Mitarbeiter, Parteifreunde und selbst politische Gegner beschreiben Herrmann als höflich, sachkundig, korrekt, loyal, besonnen und fast zu anständig - Attribute, die im Machtkampf zwischen Söder und Horst Seehofer schon mal auf der Strecke blieben.

Als Ilse Aigner, Söders Konkurrentin, eine Mitgliederbefragung anregte, attackierte Herrmann seine oberbayerische CSU-Chefin barsch: "Nicht irgendwelche Möchtegerns" könnten Ministerpräsident werden, "sondern nur jemand, der das Zeug dazu hat". Herrmann hat sich bei Aigner entschuldigt, seine Einschätzung von Söder gilt unverändert: "An den zentralen Stellen müssen die Besten sitzen." Richtig kennengelernt hat er Söder erst nach seinem Landtagseinzug 2008. Anfangs unterstützte er dessen Rivalin Christine Haderthauer, heute zählt Herrmann mit Finanzminister Albert Füracker, Agrarministerin Michaela Kaniber und CSU-Generalsekretär Markus Blume zu Söders engstem Zirkel.

Die Anerkennung, die er in der CSU erfährt, muss sich Florian Herrmann in seinem Stimmkreis Freising erst wieder erkämpfen. 27,4 Prozent erreichte er bei der Landtagswahl 2018 - gut zehn Punkte weniger als fünf Jahre zuvor und nur rund drei mehr als der junge Grüne Johannes Becher. Wäre Christian Magerl noch einmal gegen ihn angetreten: Wie wäre das Duell ums Direktmandat dann ausgegangen? "Das ist hypothetisch, ich weiß es nicht", sagt Magerl. Was er aber wisse: Mit dem Streit um die dritte Startbahn am Münchner Flughafen schade Herrmann seiner Glaubwürdigkeit. Magerl, 64, zog 1986 mit den ersten Grünen in den Landtag ein. Mit Herrmann rangelte er bereits 2002 um den Freisinger Landratsposten (den ein Freier Wähler gewann). "Er sagt zwar, er ist gegen die Startbahn. Aber er zeigt es nicht." Das verzeihe eine Bevölkerung nicht, die in weiten Teilen den Flughafenausbau ablehne. Das hätte ihn interessiert, sagt Magerl: Hätte Herrmann im Landtag wirklich gegen die Startbahn und gegen seine CSU votiert, wenn es auf seine Stimme angekommen wäre? Wo er doch sonst immer zu hundert Prozent auf CSU-Linie liege? Herrmann sagt: In einer Volkspartei auch mal anderer Meinung zu sein, sei völlig normal.

Mit seinem Alter und seiner Vita käme Herrmann für das höchste Amt in Bayern infrage. Aber nicht einmal Freunde halten das für sehr wahrscheinlich, sie vermissen den letzten Machtwillen. Sie finden: Innenminister, das könnte eines Tages passen. Für Herrmann ist das weit weg. Er habe seinen Traumjob schon gefunden - auch als "Bundeswehrminister", wie er sagt, obwohl er wegen einer Verletzung nie gedient hat. Irgendwann, beteuert Herrmann beim Festakt zum Fahnenband, werde er die Formalausbildung nachholen. "Ich befürchte bloß, dass mein Oberbefehlshaber mich nicht zwei Wochen am Stück rauslässt."

© SZ vom 27.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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