Rechtsextremismus in Bayern:Der braune Spuk von Oberprex

Lesezeit: 3 min

Der ehemalige Gasthof in Oberprex: Rechte Kader haben sich hier getroffen, bevor das Haus enteignet wurde. (Foto: dpa)

In dem kleinen Ort beschlagnahmte der Freistaat ein von Neonazis genutztes Haus. Zu Unrecht, wurde entschieden. Nun fürchten viele die Rückkehr der rechten Szene.

Von Olaf Przybilla, Oberprex

Als Sabine Dresel vor sechs Jahren auf die Beschlagnahmung einer zuvor von Neonazis genutzten Immobilie im oberfränkischen Oberprex angesprochen wurde, da sagte sie einen Satz, den man selten zu hören bekommt. Sie würde sich freuen, wenn sie demnächst ihren Job deshalb verlieren würde, erklärte die Diakonin. Dresel hatte zu der Zeit eine ungewöhnliche Stellenbeschreibung, für die evangelische Kirche, den Kreis Hof und die Kommune sollte sie sich in Regnitzlosau um "Jugendarbeit und Extremismusprävention" kümmern. Oberprex ist ein Ortsteil von Regnitzlosau, in den Monaten vor besagter Enteignung war der Ort mit seinen weniger als 100 Einwohnern mitunter regelrecht zur Polizeifestung mutiert. Und zwar immer dann, wenn das "Freie Netz Süd" dort braune Kader, wie es hieß, "fortbildete".

Mit jenen Veranstaltungen hatte es 2014 ein abruptes Ende, genauso mit einem Versandhandel, der von Oberprex aus Devotionalien für Ultrarechte vertrieb: einschlägige Bücher, Aufkleber und Kleidung mit Botschaft, allerlei Szene-Accessoires. Ziel jenes Handels sei es offenbar, dem "Freien Netz Süd" entsprechendes Material zur Verfügung zu stellen und mit Erlösen weitere Aktionen zu finanzieren, hatte Innenminister Joachim Herrmann bei der Beschlagnahmung argumentiert. Auch das Grundstück mit der Adresse Oberprex 47, ein früherer Gasthof am Ortseingang, ging in den Besitz des Freistaats über, ein ebenso einschneidender wie außergewöhnlicher Vorgang. Die Mutter eines führenden Kopfes jenes Netzwerks, Tony Gentsch, habe das Grundstück zur Verfügung gestellt und damit verfassungswidrige Aktivitäten "zumindest bedingt vorsätzlich gefördert", wurde der Schritt begründet. Der braune Spuk in Oberprex war schlagartig vorbei.

Oberfranken: Der Gasthof der Neonazis
:Braune Brüder unter sich

Ein Neonazi kauft einen Gasthof in Oberfranken, aber niemand regt sich auf - wäre doch schlimmer, wenn eine ausländische Familie einziehen würde, sagen Nachbarn.

Frederik Obermaier

Und nun? "Könnte das alles von vorn losgehen", sagt Sabine Dresel. Vergangene Woche hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass der Freistaat rechtswidrig handelte, als er Oberprex 47 beschlagnahmt hat. Zwar habe der Mutter von Tony Gentsch das Treiben ihres Sohnes kaum verborgen bleiben können, immerhin sei jenes "medial vielfach aufbereitet" worden, erörterten die Richter. Ihr sei aber schwer nachzuweisen, sie habe gewusst, dass es das als verfassungsfeindlich eingestufte "Freie Netz Süd" war, das in ihrem Haus zugange war. Zumal jenes Netzwerk - zumindest nach der Einschätzung von Verfassungsschützern - "weitgehend konspirativ tätig" gewesen sei. Und überhaupt eine Enteignung im Zusammenhang mit einem Vereinsverbot nur unter engen Voraussetzungen zulässig ist.

Sabine Dresel hat ihren Job 2014 übrigens nicht verloren, dafür waren Kreis, Kommune und Kirche wohl zu weitsichtig. Auch ihre Stelle blieb bis heute bestehen - offenbar ahnte man, dass das dicke Ende noch bevorstehen könnte. Zwar waren alle euphorisch, im Juli 2014. Unter der Hand aber äußerten schon damals viele Zweifel: Das Haus der Mutter wird beschlagnahmt, um dem Sohn das Handwerk zu legen? Klingt selbst für juristische Laien mindestens heikel. Die erste Gerichtsinstanz hatte das noch passieren lassen. Die zweite nicht mehr. Das Innenministerium will noch die schriftliche Begründung des Gerichts abwarten, das eine Revision nicht zugelassen hat. Dann entscheide man, ob Beschwerde eingelegt wird, sagt ein Sprecher.

Etwas Hoffnung bleibt also noch, in Regnitzlosau. "Es hat noch keine Schlüsselübergabe stattgefunden", sagt Sarah Weiß, die sich dort nun um "Extremismusprävention" kümmert. Ihre Vorvorgängerin Dresel arbeitet nun in Unterfranken. Dass man ihr gezielt braune Hetzzettel in den Briefkasten geworfen hatte und ein wiederkehrendes Auto samt Fahrer vor dem Haus offenbar demonstrieren sollte, dass ihr Wohnsitz durchaus bekannt ist - war nicht der Grund für ihren Wegzug. Sie wollte sich einfach verändern, sagt Dresel. Macht aber auch keinen Hehl daraus, dass sie gerade niemanden beneide in Regnitzlosau.

Das Gerichtsurteil sei "wie ein Schlag ins Gesicht", sagt die Gemeinderätin Sandra Schnabel. Trotzdem versuchten sie, optimistisch zu bleiben im Ort. Alle wehrhaften Strukturen von damals seien noch vorhanden, man sei stolz auf "ein lebendiges Vereinsleben" und habe "viel getan zur Extremismusprävention", bekräftigt Bürgermeister Jürgen Schnabel: "Wir gehen nicht davon aus, dass wir von der rechten Szene überrollt werden." Und wenn doch? "Das muss jetzt erst mal verdaut werden", sagt Christian Schlademann vom Hofer "Bündnis für Zivilcourage". Aber natürlich stelle man sich ein darauf, "dass das Ganze vielleicht von vorn losgehen könnte".

Wunsiedel, Warmensteinach, Halsbach bei Altötting - als "Oberprex" vor sechs Jahren plötzlich zum Begriff wurde, hatten Neonazis an etlichen Orten in Bayern versucht, Immobilien zu erwerben und ihren Fuß massiv in die Tür kleinerer Gemeinden zu bekommen. So weit wie in Oberprex freilich sind sie nirgendwo gekommen. Geht das nun womöglich wieder los?

Tony Gentsch ist inzwischen Stadtrat des rechtsextremistischen "III. Weg" im 35 Kilometer von Oberprex entfernten Plauen in Sachsen, er lässt sich seine Genugtuung anmerken, wenn er danach gefragt wird. Will aber zunächst etwas klarstellen. Gerüchte, er sei längst Eigentümer von Oberprex 47, entbehrten jeder Grundlage: "Das ist weiterhin meine Mutter." Sobald das Haus zurückfalle an die Familie, müsse man schauen, in welchem Zustand dieses sei. "Ich habe nie gesehen, dass da mal jemand gelüftet hat während der Beschlagnahmung." Ängste in Oberprex? "Da muss keiner Angst haben", beteuert er. Ein neues braunes Zentrum? "Dazu äußere ich mich jetzt nicht", das Verfahren sei in der Schwebe, überdies entscheide die Eigentümerin, seine Mutter also. Eines aber scheide aus: Nach Oberprex werde er nicht ziehen, "ich bin gewählter Stadtrat in Plauen", dieses Amt gedenke er auszufüllen.

In Oberprex dürfte das für überschaubares Aufatmen sorgen. Schon nachdem seine Mutter den früheren Gasthof "Egerländer" in Oberprex gekauft hatte, hatte Tony Gentsch zur Beruhigung Handzettel im Ort verteilt: Ein "braunes Zentrum" sei dort nicht geplant. Es sollte anders kommen.

© SZ vom 09.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Urteil am Verwaltungsgerichtshof
:Beschlagnahmung von Neonazi-Treffpunkt in Oberprex war rechtswidrig

Mit dem Verbot der rechtsextremistischen Vereinigung "Freies Netz Süd" hat der Freistaat auch ein Haus in Oberfranken beschlagnahmt. Neonazis hatten dort einen Versandhandel mit einschlägigen Devotionalien betrieben.

Von Olaf Przybilla

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: