Streit um Studie:Wie viele Gämsen leben in Bayern?

Lesezeit: 3 min

Seltener Anblick: Auf dem Kapuzinerberg leben mitten in der Stadt Salzburg wilde Gämsen der Gattung Rupicapra rupicapra (wie dieses Schweizer Exemplar). (Foto: Ralf Kistowski/imago images/R. Kistowski/wunder)

Ist die Gämse gefährdet? Das meint zumindest der Präsident des Jagdverbandes - und wirft Wissenschaftlern und Forstministerium vor, in einer Studie falsch gezählt zu haben.

Von Christian Sebald, München

Nach der Veröffentlichung erster Ergebnisse der großen Gamsstudie an der Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) ist ein heftiger Streit entbrannt. Der Präsident des Bayerischen Jagdverbands und CSU-Landtagsabgeordnete Ernst Weidenbusch zweifelt nicht nur die Zahlen der Forscher an. Sondern er stellt apodiktisch fest: "Die Gams in Bayern ist gefährdet." Auch die Vorsitzende des Vereins "Wildes Bayern", Christine Miller, die sich dem Schutz der Gams sehr verpflichtet fühlt, übt harsche Kritik. Aus ihrer Sicht taugen die Daten der LWF-Forscher nicht als Beleg für die Schlussfolgerung von Michaela Kanibers Agrarministerium, dass die Sorge über zu geringe Gamsbestände unbegründet sei. Miller nennt solche Aussagen "schamlos" und "frech".

LWF und Forstministerium widersprechen den Vorwürfen energisch. Sie betonen, dass alle veröffentlichten Ergebnisse auf wissenschaftlich anerkannten und bewährten Verfahren basierten. "Fehlinterpretationen, nicht begründete Behauptungen oder persönliche Diskreditierungen tragen nicht zu einer wertvollen Debatte bei", sagt ein Ministeriumssprecher. "Uns ist nicht erklärlich, wie der Präsident des Jagdverbands zu seinen Vorwürfen kommt." Die LWF betont, dass die Ergebnisse des Projekts erst nach sorgfältiger Prüfung veröffentlicht worden seien, es handle sich keineswegs um ungesicherte Zwischenergebnisse.

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Der damalige Minister Brunner startete 2016 das LWF-Projekt

Das LWF-Forschungsprojekt ist das aufwendigste, das es in Bayern jemals zur Gams gab. Der Hintergrund: Jagdverband und Organisationen wie der Verein "Wildes Bayern" behaupten seit Jahren, dass in den bayerischen Bergen viel zu viele Gämsen gejagt werden. Ihrer Überzeugung nach leben deshalb immer weniger Gämsen im Freistaat, die Bestände seien außerdem so instabil, dass in einigen Regionen ein Erlöschen der Populationen bevorstehen könnte. Die Vorwürfe sind so heftig, dass der damalige Forstminister Helmut Brunner 2016 das LWF-Projekt startete. Dessen Ergebnisse deuten nun freilich in eine ganz andere Richtung: In den beiden Untersuchungsgebieten an der Kampenwand (Landkreis Rosenheim) und an der Soierngruppe (Landkreis Garmisch-Partenkirchen) ermittelten die Wissenschaftler eine zahlenmäßig überaus große Gamspopulation von insgesamt etwa 1350 Tieren - 350 an der Kampenwand und 1000 an der Soierngruppe. Sie fanden außerdem keinerlei Hinweise darauf, dass es den Gämsen in irgendeiner Form schlecht ergeht. Im Gegenteil: Alles deutet laut LWF darauf hin, dass sie vital und fit sind.

Zentraler Bestandteil des Projekts ist die möglichst exakte Ermittlung der Gamszahlen an Kampenwand und Soierngruppe. Dazu suchten die Forschergruppen in beiden Gebieten Kotproben von Gämsen und ließen sie genetisch analysieren. Allein bei diesen Analysen wurden laut LWF annähernd 800 Gämsen identifiziert. Allerdings sei es unmöglich, mittels solcher direkten Methoden exakte Bestandszahlen zu ermitteln. Der Grund: Man findet im jeweiligen Untersuchungsgebiet nie Kotproben von allen Gämsen dort. Es gibt immer eine Dunkelziffer nicht erfasster Tiere. Deshalb habe man in einem zweiten Schritt zu einem aufwendigen, international anerkannten und weltweit angewendeten statistischen Verfahren gegriffen, und damit aus den tatsächlich ermittelten annähernd 800 Gämsen auf einen Gesamtbestand von etwa 1350 Gämsen hochgerechnet. Damit dabei keine Fehler passieren, habe man sich von renommierten Experten beraten lassen, unter anderem von einer mit der Methodik sehr erfahrenen norwegischen Forschergruppe.

Ernst Weidenbusch, Chef des Bayerischen Jagdverbandes, zweifelt an den Ergebnisse der großen Gamsstudie an der Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Jägerpräsident Weidenbusch hatte zuvor erklärt, dass dem Ministerium nur Schätzungen einer norwegischen Gruppe von Wissenschaftlern vorlägen, die die bisherige Aussagen der LWF bestätigen sollten. "Eine besondere Expertise der Norweger für die Gams ist uns im Bayerischen Jagdverband nicht erklärlich", sagte Weidenbusch. "Möglicherweise haben sich keine mitteleuropäischen Wissenschaftler gefunden, die diese Erhöhung der Gamspopulation von tatsächlich 800 Individuen auf geschätzte 1350 mitverantworten wollten." Dem Projektleiter an der LWF, dem Forstwissenschaftler Alois Zollner, warf Weidenbusch vor, "die Öffentlichkeit über Jahre getäuscht" zu haben und "nun Fakten durch Mutmaßungen" zu ersetzen.

Derweil gibt es neue Hinweise, dass es den Gämsen auch in anderen bayerischen Bergregionen besser geht als in Kreisen des Jagdverbands geargwöhnt. Am Nationalpark Berchtesgaden läuft nach einer längeren Unterbrechung seit 2020 ebenfalls ein wissenschaftliches Monitoring. Erste Hochrechnungen der bisherigen Zählergebnisse deuten darauf hin, dass in den Nationalpark-Bergen zwischen 1900 und 2400 Gämsen leben. Das sind nicht nur mehr als dort 2012 bei der letzten Gamszählung ermittelt worden sind. Sondern es entspricht ziemlich genau den Ergebnissen der LWF für die Soierngruppe - wenn man berücksichtigt, dass das Untersuchungsgebiet im Nationalpark gut doppelt so groß ist wie das an der Soierngruppe.

In Kreisen des Jagdverbands gibt es Stimmen, man solle sich an der Verbandsspitze in der Wortwahl gegenüber der LWF zügeln und sich seriös mit dem Forschungsprojekt befassen. Das solle natürlich durchaus kritisch passieren.

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