Karwoche in Bayern:Als Christus noch gerauft hat

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Die Karwoche hat in den Kirchen Bayerns Höhen und Tiefen. (Foto: Luca Bruno/dpa)

Das Brauchtum der Karwoche war häufig geprägt von Höhen und Tiefen. Gerade für Buben war es nicht schwer, in der Aura des Geheimnisvollen in Verlegenheit zu geraten.

Glosse von Hans Kratzer

Die ärgste Schmach, die einem Ministranten am Karfreitag widerfahren konnte, wurde in der Regel von löchrigen Strümpfen entfacht. Ein solches Malheur blieb während der Liturgie selten unentdeckt, da sich ja der Pfarrer und seine Ministranten, bevor sie sich am Altar niederknieten, die Schuhe ausziehen mussten. Wer die Socken nicht rechtzeitig gewechselt hatte, dessen Käsfüße leuchteten vor den Augen der Gläubigen unübersehbar aus den Löchern heraus.

Überhaupt war die Karwoche eine Zeit harter Prüfungen. Und doch kann kein Smartphone jene krassen Gefühle erzeugen, die einst mit den Kartagen einhergingen. Es lag etwas Mystisches in der Luft, schon deshalb, weil die Glocken verstummten, jene Jahrhunderte alten Begleiter des Alltags. Dazu das Heilige Grab mit seinen funkelnden Kugeln mitten in der mit schwerem Tuch abgedunkelten Kirche. Umgeben von einer erhabenen Stille, beschlich die Besucher eine Ahnung von Transzendenz, gegen die man auch mit zerrissenen Socken nicht gefeit war.

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Es war nicht schwer, in dieser Aura des Geheimnisvollen in Verlegenheit zu geraten. Während der Karfreitagsliturgie verlangte der Brauch, andächtig in den Altarraum zu schreiten, wo die Figur des Gekreuzigten darauf wartete, dass man ihre Wunden an Händen, Füßen und auf der Stirn vor aller Augen abbusselte. Manchem Heranwachsenden schoss vor Verlegenheit eine gesunde Farbe ins Gesicht, erst recht unter den Blicken jener Mädchen, die bereits über den Dingen standen.

Der Mahnung, am Karfreitag kein Fleisch zu essen, begegneten kluge Jünglinge, indem sie rechtzeitig einen Zipfel Blutwurst versteckten, den sie dann heimlich verzehrten. Das sündhafte Tun bezahlten sie manchmal mit einer Rauferei, da hungrige Konkurrenten das Versteck natürlich witterten.

Die Ambivalenz des Karfreitags scheint auch bei den Passionsspielen durch, die einst in vielen Pfarreien zelebriert wurden. Dabei wurde die Würde des Tages sehr frei interpretiert, nicht selten endete das Spektakel blutig. Sogar irdische Christusse schwangen die Fäuste, vor allem, wenn sie vorher von Häschern lustvoll gepeinigt worden waren. Aber selbst dort, wo das Böse waltet, keimt die Hoffnung. Auch das Passionsspiel in Oberammergau wurde einst wegen Auswüchsen verboten, was aber nicht verhinderte, dass es wieder auflebte und dem Dorf Weltruhm bescherte.

Je nach Bedürfnis einer Gesellschaft verändern sich ihre Bräuche. Damit sie nicht verloren gehen, präsentieren wir diesen Text aus unserem Archiv noch einmal.

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