Islamunterricht in Bayern:Mit Trippelschritten zur Normalität

Lesezeit: 3 Min.

Ein eigenes Fach allein für sie, ähnlich wie es Christen und Juden auch haben. Das verstehen viele muslimische Schüler als Wertschätzung in der Schule. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Seit einem Jahr ist Islamischer Unterricht in Bayern ein reguläres Schulfach, das größte Problem aber bleibt ungelöst.

Von Anna Günther, Nürnberg/Neumarkt

Das erste Jahr Normalität im Islamischen Unterricht an Bayerns Schulen geht in dieser Woche zu Ende. Da stellt sich die Frage, ob der von vielen ersehnte Ruck im Regelbetrieb eintrat. Und mit ihm die Lösung diverser Probleme.

Zwölf Jahre lang war der Islamunterricht im Freistaat ein Provisorium, obwohl der Erfolg dieses Schulversuchs unter Wissenschaftlern, Pädagogen, Eltern und vielen Politikern unumstritten war. Immer wieder wurde das Modellprojekt verlängert, aber nie verstetigt. Der Frust an den Schulen wuchs, denn die Ungewissheit brachte Probleme: Lehrbücher und Lehrpläne fehlten, die Anzahl der Schulen war beschränkt, die allermeisten Lehrer nur befristet angestellt. Das führte zu Abwerbungen durch andere Bundesländer und zu geringem Interesse am Fach bei Lehramtsstudenten. An der Zahl der Lehrer aber hängt das gesamte Angebot. Und der Bedarf ist da: Etwa 160 000 muslimische Schüler gibt es in Bayern.

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Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) hatte mit dem Regelbetrieb des neuen Wahlpflichtfachs einen "bedarfsgerechten" Ausbau angekündigt. Das Problem ist: Wie groß der Bedarf ist, spielt keine Rolle, wenn die Lehrer fehlen. Immerhin sind mittlerweile die meisten Islamlehrer unbefristet angestellt. Und eine Klage gegen das Fach hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof gerade erst abgewiesen.

Ein echter Ruck ist dennoch nicht festzustellen, aber die Zahlen stimmen positiv: In diesem Schuljahr boten 369 Schulen insgesamt 17 673 muslimischen Buben und Mädchen Islamunterricht an, das sind zwei Schulen und etwa 700 Schüler mehr als im Modellversuch. Tendenz steigend. Nach den Sommerferien sollen neun Realschulen und Gymnasien zu den sieben etablierten dazukommen. Die Zahlen für die Grund- und Mittelschulen, die den Großteil des Islamunterrichts anbieten, kennt das Kultusministerium noch nicht. Den Unterricht erteilten in diesem Jahr 115 Lehrer, zehn mehr als zuvor. Immerhin. 15 weitere sollen im Herbst an Grund- und Mittelschulen anfangen.

Große Sprünge sind das nicht, aber aus der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg (FAU) vernimmt man positive Signale: Laut Tarek Badawia, Professor für Islamische Religionslehre, ist das Interesse am Fach stark gestiegen. Das Kultusministerium spricht von 41 eingeschriebenen Studenten und zweien, die 2021 ihr Staatsexamen ablegten. Um Masse zu schaffen, setzt das Ministerium auf Fortbildungen an der Lehrerakademie in Dillingen. Das sind im Vergleich zur FAU freilich eher Crashkurse, aber auch dort sei das Interesse groß, heißt es. Piazolos Haus wirbt um Verständnis, Lehrerbildung brauche nun mal Zeit.

Tanja Kölbel wollte nicht mehr warten, sie schuf Fakten, bevor es die Staatsregierung tat. An ihrer Grundschule in Neumarkt in der Oberpfalz können seit zwei Jahren alle jungen Muslime in den Islamunterricht gehen. Lange war das undenkbar. Kölbl fehlten Lehrerstunden, Kinder mussten zwischendurch pausieren und Ethik wählen oder Jahrgänge lernten gemeinsam. Dann verteilte Kölbel Stunden so um, dass alle profitieren. Mehr geht nicht, ihr Islamlehrer Mehmet Yalçin unterrichtet an sieben Grund- und Mittelschulen in der Oberpfalz. Daran habe auch der neue Regelbetrieb nichts verändert, sagt Yalçin. "Leider." Einige seiner Schulen wollten mehr Lehrerstunden haben, vergeblich. Trotzdem klingt Yalçin positiv. Nach 20 Jahren als Lehrer im Freistaat bekam er einen unbefristeten Vertrag. Und der Islamunterricht laufe an vielen Schulen nun parallel zu Religion, sagt er und klingt zufrieden. Für Yalçin fühlt sich das nach Aufwertung an, nach Anerkennung.

Dieses Gefühl der Wertschätzung beschreiben auch Schüler, wenn sie über Islamunterricht sprechen. Ein eigenes Angebot für sie, ein Symbol der Zugehörigkeit. Und wer sich in der Schule zugehörig fühlt, sucht das nicht anderswo. Der Islamunterricht an staatlichen Schulen mit staatlichem Lehrplan gilt als guter Weg, um Extremismus vorzubeugen. Dabei profitieren die allermeisten Schüler einfach davon, am neutralen Ort Schule über ihre Religion zu diskutieren. Wie eifrig junge Männer und Frauen mit ihren Lehrerinnen über Sinn und Unsinn mancher Bräuche sprachen, Koranstellen analysierten und Traditionen hinterfragten, zeigte vor einiger Zeit der Besuch am Pirckheimer Gymnasium in Nürnberg. Die Begeisterung der Schüler war mitreißend. Heute sagt Schulleiter Benedikt Mehl: "Ich fürchte, wir haben uns zu Tode gesiegt."

Gerade weil sie so erfahren sind, musste Mehl seine Lehrerinnen ausleihen. Ob er sie wiederbekommt, ist offen. Eine bildet nun in Dillingen Islamlehrer fort, die andere arbeitet an einem Projekt fürs Ministerium und ist nur noch zur Hälfte in der Schule. Ein externer Lehrer sprang ein, aber auch er arbeitet an vier weiteren Schulen in Nürnberg. Mehr geht nicht. "Den Unterricht können wir gerade so versorgen", sagt Mehl. Für das Schöne an der Schule, ein gemeinsames Fastenbrechen nach dem Ramadan oder die Vorbereitungen zur interreligiöse Feier zu Schuljahresbeginn bleibe da kaum Zeit.

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