Gesundheitswesen:Corona ist ein Einfallstor für Betrüger

Lesezeit: 3 min

Bei Corona-Schnelltests gibt es viel zu verdienen - das lockt auch Betrüger an. Ihnen kommen aber Ermittler auf die Schliche. (Foto: Martin Schutt/dpa)

Ein Betreiber von Testzentren in und um Nürnberg soll 260 000 Euro ergaunert haben. Im Kampf gegen Betrug im Gesundheitswesen setzt der Freistaat auf eine spezialisierte Ermittlereinheit. Denn es geht nicht nur um finanzielle Schäden - sondern auch um gesundheitliche Risiken.

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

Ins Rollen kam der Fall durch den Verdacht einer Bank in eine ganz andere Richtung. Sie vermutete Geldwäsche hinter den auffälligen Geschäften eines Kunden, zu dessen Identität die bei der Generalstaatsanwaltschaft in Nürnberg angesiedelte "Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen" (ZKG) vorerst keine näheren Angaben machen will. "Aus ermittlungstaktischen Gründen", wie es heißt. Der Mann sitzt seit Anfang Oktober in Untersuchungshaft. Nicht weniger als 70 Polizeibeamte und zwei Staatsanwälte durchsuchten mehrere Wohnungen und Büros in und um Nürnberg, und beschlagnahmten zahlreiche, auch digitale Dokumente, die gerade ausgewertet werden. Es geht um groß angelegten Betrug mit Corona-Schnelltests.

Seit 3. Mai betrieb der Beschuldigte mehrere Corona-Teststationen in Nürnberg, Fürth und Schwabach. Dabei soll er mehr Tests abgerechnet haben, als tatsächlich vorgenommen wurden. Der ZKG-Chef und Leitende Oberstaatsanwalt Richard Findl bezifferte den mutmaßlichen Schaden auf 260 000 Euro; bei der Razzia am 11. Oktober stellten die Ermittler gut 100 000 Euro in bar sicher. Bis zu einem rechtskräftigen Urteil gilt freilich die Unschuldsvermutung.

Newsletter abonnieren
:Mei Bayern-Newsletter

Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Gefälschte QR-Codes verkauft

Seit Juni werden alle Betrugsverdachtsfälle bei der Abrechnung von Corona-Schnelltests in Bayern zentral von der Nürnberger ZKG verfolgt. Sie besteht seit gut einem Jahr, das stark von Delikten in Zusammenhang mit Corona geprägt war. "Die Pandemie zeigt fast wie unter dem Brennglas die Verwundbarkeit des Gesundheitswesens durch Betrüger", sagt Findl. Wo viel Geld im Spiel ist, wie beim Kampf gegen das Coronavirus, und zugleich wenig Kontrolle, finden Kriminelle reichlich Möglichkeiten, um illegalen Reibach zu machen.

Wie im Fall einer Münchner Apotheke, die mindestens 604 illegale Impfzertifikate samt gefälschten QR-Codes verkauft haben soll, für 180 bis 350 Euro pro Stück. Knapp 110 000 Euro Erlöse aus den illegalen Geschäften stellten die Ermittler sicher. Die Kundschaft wurde über das Darknet akquiriert; sie zahlte nicht nur bar, sondern meist mit Kryptowährungen. Zwei Hauptbeschuldigte sitzen in Untersuchungshaft. Mittlerweile hat die ZKG auch die 604 Abnehmer der gefälschten Impfzertifikate ermittelt; auch sie müssen mit Strafverfahren rechnen.

Fast immer geht es um Betrug

425 Milliarden Euro wurden im deutschen Gesundheitswesen im vergangenen Jahr umgesetzt, rechnete Bayerns Justizminister Georg Eisenreich am Mittwoch bei einem Besuch der ZKG in Nürnberg vor. "Die Täter verursachen nicht nur hohe finanzielle Schäden, sondern riskieren in Einzelfällen die Gesundheit und das Leben anderer Menschen." 17 Spezialkräfte, 14 davon Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, arbeiten bei dieser Sonder-Ermittlungseinheit. Ähnlich wie bei der an der Bamberger Generalstaatsanwaltschaft angesiedelten Zentralstelle Cybercrime, die Internetkriminalität bekämpft, erweist es sich auch bei der ZKG als griffiger Ansatz, Straftaten in Bereichen, die spezielles Know-how erfordern, bei einer landesweiten Einheit mit speziell ausgebildeten Spezialisten zu konzentrieren. Vor Gründung der ZKG wurden Betrug und Korruption im Gesundheitswesen in Bayern auf die drei Staatsanwaltschaften München, Nürnberg und Hof aufgeteilt.

Von ihnen übernahm die ZKG bei ihrem Start am 15. September vorigen Jahres 254 laufende Verfahren. Inzwischen leiteten Findl und seine Leute weitere 197 ein. Fast immer geht es um Betrug. Drei Viertel der Ermittlungen betreffen nach Angaben von Justizminister Eisenreich Ärzte, Pflegedienste und Physiotherapeuten. Sie werden in der Regel von Behörden oder gesetzlichen Krankenkassen angezeigt; etwa 30 Prozent der Verfahren gehen auf Strafanzeigen von Privatpersonen zurück. "Vor allem im Bereich Korruption, wenn sowohl der Bestechende als auch der Bestochene Vorteile ziehen, ist es schwer reinzukommen", sagt Eisenreich.

Manipulationen im Pflegeheim

Die Ermittlungen sind meist zeitintensiv und erfordern fachliche Expertise. So im Fall der Seniorenresidenz Schliersee, der ebenfalls von der Nürnberger ZKG bearbeitet wird. Während ihrer Ermittlungen im Zuge von mehreren Todesfällen stieß die Staatsanwaltschaft München II auf Hinweise auf Abrechnungsbetrug. Offenbar wurde über einen längeren Zeitraum der Personalschlüssel des Heims manipuliert. Dabei, so der Vorwurf, soll eine vollzählige personelle Besetzung des Pflegedienstes vorgegaukelt worden sein, um entsprechend auch die volle Vergütung bei den Kassen abzurechnen. Die tatsächliche Zahl der Pflegekräfte lag jedoch niedriger als angegeben. Für die Ermittler, zu denen drei Abrechnungsfachkräfte gehören, bedeutet dies, exakt nachzuprüfen, wann und wo wie viele Pflegerinnen und Pfleger Dienst im Heim taten und dies mit den Abrechnungen bei den Kostenträgern zu vergleichen.

Als Fortschritt im Kampf gegen Betrug und Korruption wertet Justizminister Eisenreich ein seit 1. Oktober im Netz freigeschaltetes Hinweisgebersystem. Mit Namen oder anonym kann dort jede und jeder der ZKG Hinweise geben. Dass damit Denunziantentum Tür und Tor geöffnet wird, wie die Union dies bei einem ähnlichen Portal gegen Steuerhinterziehung in Baden-Württemberg kritisierte, glaubt Eisenreich nicht. Wer das ZKG-Hinweisgebersystem für persönliche Zwecke missbrauche, müsse selbst mit einem Verfahren rechnen. Im Übrigen laufe das Portal vier Jahre lang als Pilotprojekt; erst danach könne man Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit beurteilen. Bislang gingen über das Portal 45 Hinweise ein.

Dass dies auch anonym geschehen kann, hält ZKG-Leiter Findl für unproblematisch. In jedem Fall könne man digital beim Hinweisgeber nachfragen, was Ermittlungen und Beurteilung erleichtere. Das sei bei klassisch per Post eingehenden anonymen Schreiben nicht möglich. Und längst nicht alles, so Findl, was anonym ankomme, sei falsch. So wäre etwa der Siemens-Schmiergeldskandal nie aufgeflogen, hätte nicht jemand einen zweiseitigen Brief anonym an die Münchner Staatsanwaltschaft geschickt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivMaskenaffäre in CSU-Kreisen
:Das dreiste Ultimatum der Andrea Tandler

Als Schutzkleidung rar war, nutzte die Münchner PR-Unternehmerin ihre CSU-Verbindungen und bot dem Staat teure Masken von Schweizer Jungmillionären an. Wie knallhart Tandler und ihre Lieferanten vorgingen.

Von Markus Grill, Klaus Ott und Jörg Schmitt

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: