Bayerischer Pflegepool:"Wenn wir jetzt nicht zusammenhalten und helfen, läuft die Sache schief"

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Eine Frau, zwei Rollen: Katja Weßnick hilft im Krankenhaus St. Anna in Höchstadt aus, sie hatte sich beim Pflegepool gemeldet. Eigentlich segelt sie über die Meere. Fotos: Mittler, privat (Foto: N/A)

Fast 4000 Freiwillige entlasten in Krankenhäusern und Altenheimen Pflegekräfte während der Corona-Krise. Eine davon ist Katja Weßnick - auch wenn sie lieber auf einer Yacht im Mittelmeer unterwegs wäre. Wieso tut sie das?

Von Dietrich Mittler, Höchstadt

Skipper kommen schnell zum Wesentlichen - auf hoher See und auch sonst im Leben. Lange um den Brei reden? Unnötig. Viel Wind um sich selbst machen? Peinlich. Anderen im Notfall zur Hand gehen? Klar. Katja Weßnick ist Skipperin. Ihre Erklärung, warum sie jetzt in der Pflege aushilft, ist ebenso kurz wie erfrischend: "Na ja, die brauchten Hilfe. Und mir war im Prinzip langweilig." Mit anpacken, etwas bewegen, Sinnvolles tun - all das gebe ihr eben ein gutes Gefühl. Und wenn "ein bisschen Action" mit dabei sei, schade das ja auch nicht.

Womöglich wäre die 49-jährige Erlangerin längst mit einer Yacht unterwegs im Mittelmeer, gebucht für einen Urlaubsturn mit sechs bis acht Leuten an Bord. Doch seit Monaten sorgt die Pandemie für eine Flaute. Weßnick fühlte sich ungefähr so, als hinge sie auf einer Sandbank fest. Dann las sie in einer Zeitung vom Pflegepool - und dass sich im Prinzip jeder melden könne, um die beruflich Pflegenden zu entlasten, die im Kampf gegen Corona gerade an ihre Grenzen kommen. Unter den Häusern, die angesichts der zu versorgenden Covid-19-Patienten dringend Unterstützung brauchten, war das Kreiskrankenhaus St. Anna im mittelfränkischen Höchstadt. "Ich habe mich gemeldet, unterschrieben, und seitdem gehe ich da hin", sagt Weßnick. Das war im Dezember.

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Ursprünglich wollte sie nur bis zum 10. Januar aushelfen. Denn: "Ich habe immer gedacht, Pflege ist etwas, was ich niemals machen würde. Das war gar nicht mein Ding, kranke Leute anzufassen und Pflaster zu wechseln", sagt sie. Mittlerweile ist die 49-Jährige voll dabei und sagt: "Hut ab vor diesem Pflegeberuf." Und: "Ich entdecke da ganz neue Seiten an mir."

Katja Weßnick, im eigentlichen Leben nach wie vor die Leiterin der Erlanger Segelschule "Iason", ist jetzt eine der aktuell 3907 Freiwilligen im Freistaat, die sich für den Pflegepool zur Verfügung gestellt haben. "Die Hälfte dieser Leute kommt direkt aus dem Pflegebereich", sagt Michael Wittmann, der Geschäftsführer der Vereinigung der Pflegenden in Bayern. Die andere Hälfte verteile sich im Wesentlichen auf Beschäftigte aus anderen Bereichen des Gesundheitswesens, wie etwa medizinische Fachangestellte oder Hebammen. Eine Skipperin sticht da natürlich als Exotin heraus, noch dazu als studierte Geografin. "Ich bin ja total fachfremd", sagt sie.

Aber mit Blick auf die Personalsituation in der Pflege wird auch ohne Corona jede Hand gebraucht. Aus Sicht der Gewerkschaft Verdi fehlen allein in Bayerns Krankenhäusern aktuell mehr als 12 000 Pflegekräfte. "In der Altenpflege ist die Situation noch sehr viel dramatischer", sagt Robert Hinke, bei Verdi zuständig für den Bereich Gesundheit und Sozialwesen in Bayern. Angesichts solcher Zahlen wirkt der Pflegepool wie ein Notpflaster.

"Ich bin froh um jede Hand, die hier im Haus mit anpackt"

"Der Pool ist dennoch symbolisch sehr wichtig. Er bringt zum Ausdruck, dass es eine hohe Bereitschaft gibt, anderen in Notzeiten zu helfen", sagt Georg Sigl-Lehner, der Präsident der Vereinigung der Pflegenden in Bayern. Gleichwohl sei klar, dass dieser Pool nur ein kleiner Baustein im Kampf gegen Corona sein kann. "Damit haben wir nicht Bayern gerettet, aber für etliche Einrichtungen doch eine hochwirksame Unterstützung geschaffen", sagt Sigl-Lehner. Und Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) betont: "Solange die Pandemie anhält, wird der Pflegepool auf jeden Fall fortbestehen."

Die Gründung des Pools im Frühjahr 2020 fiel in eine dramatische Zeit: In Bayern war der Katastrophenfall ausgerufen worden. Die Meldungen über die vielen Corona-Toten in den Altenheimen schockierten die Öffentlichkeit. Da meldete sich Sonja Stopp, Referatsleiterin im Gesundheitsministerium, bei Sigl-Lehner und schlug vor, eine Freiwilligen-Plattform zu entwickeln. Drei Tage später war die Seite unter www.pflegepool-bayern.de bereits online. Innerhalb von einer Woche meldeten sich mehr als 1000 Freiwillige, darunter viele Pflegekräfte, die dem Beruf den Rücken gekehrt hatten. Eine von ihnen begründete ihr Engagement später so: "Wenn wir jetzt nicht zusammenhalten und helfen, läuft die Sache schief."

Doch mit der Internet-Plattform allein waren die Probleme nicht gelöst: Wie die Pflegepool-Kräfte während ihres Einsatzes versichern? Wie ihnen einen finanziellen Ausgleich für ihre Tätigkeit ermöglichen? Wie Arbeitgeber entschädigen, die ihre Beschäftigten für den Einsatz freistellen? Die Lösung war, dass die Freiwilligen zeitweise kostenlos einer Hilfsorganisation, etwa im Bereich des Rettungswesens, beitreten und so zu einer finanziellen Entschädigung kommen, auf die ehrenamtliche Helfer nach einem Einsatz Anspruch haben. "Ohne das Bayerische Rote Kreuz, das die meisten Abrechnungen macht, würde es gar nicht funktionieren", heißt es bei der Vereinigung der Pflegenden.

Christopher Glas, der in der BRK-Landesgeschäftsstelle mit seinem Team für diese Aufgabe zuständig ist, betont, wie sehr ihm das Pool-Projekt am Herzen liege: "In meiner Familie gibt es viele, die im sozialen Bereich tätig sind", sagt er. Daher wisse er, wie sehr professionelle Pflegekräfte in Zeiten der Pandemie belastet sind.

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An die Erlanger Skipperin kann sich Glas noch gut erinnern. Bianca Dotterweich, die Pflegedienstleitung im Kreiskrankenhaus St. Anna, weiß auch warum: "Frau Weßnick war eine der Ersten. Sie war auch eine Hartnäckige, von Anfang an dabei. Klasse!" Überhaupt lasse sich über die Pflegepool-Leute viel Gutes sagen. "Sehr wertvolle Kräfte", sagt Dotterweich. Und Andreas Plesch, verantwortlich für die Pflege auf der Intensivstation in Höchstadt, betont: "Ich bin froh um jede Hand, die hier im Haus mit anpackt." Er weiß um die Risiken, denen sich alle aussetzen, die Covid-19-Patienten betreuen, war er doch selbst betroffen. Nicht wenigen seiner Kolleginnen und Kollegen mache auch die berufliche Überlastung gesundheitlich zu schaffen - oder sie mussten wegen ihrer Kinder zuhause bleiben, die nicht mehr zur Schule gehen konnten.

In vielen Krankenhäusern und Altenpflege-Einrichtungen hat Corona die vorhandenen Probleme verschärft. Mitunter hat das Folgen, die die Freiwilligen schockieren. "Der ganze Einsatz war chaotisch, Pflegedienstleitung im Urlaub, Stellvertreter überfordert und das Personal arbeitete Zwölf-Stunden-Schichten. Ich wurde auf einer Isolierstation eingesetzt ohne Einweisung", wurde der Vereinigung der Pflegenden etwa aus Nürnberg rückgemeldet. Und auch das geschah: "Die Missstände in einem Schlierseer Altenheim, die zu Ermittlungen der Staatsanwaltschaft führten, sind ein Stückweit durch unsere Poolmitglieder an die Öffentlichkeit gekommen", sagt Georg Sigl-Lehner.

Von Skandalen weiß Katja Weßnick nichts zu erzählen. Wohl aber davon, was sie an diesem Tag bereits geleistet hat: Um sieben Uhr morgens im Krankenhaus angekommen, kurz darauf in der Umkleide im Keller umgezogen, dann den Patienten den Blutdruck und die Temperatur gemessen, einigen beim Waschen geholfen, das Frühstück ausgeteilt, danach mitgeholfen, eine schwergewichtige Patientin auf die Bettpfanne zu setzen. Und, und, und. Nachmittags um eins ist Feierabend, fast. Am Abend gibt Katja Weßnick noch einen Online-Kurs in Navigation. So ganz lässt sie die hohe See doch nicht los.

© SZ vom 24.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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