Föhnwetter:Dieses seltsame Lüfterl

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Der Föhn rückt die Alpen stets ein Stück näher an München heran, so war es auch am Dienstag zu beobachten. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Der Föhn beschert Südbayern starke Temperaturunterschiede und eine grandiose Sicht. Zudem taugt er als Ausrede für Kopfweh und schlechte Laune. Sogar ein Wunder soll er schon vollbracht haben.

Von Hans Kratzer und Max Sprick, München

Kurz vor Sonnenaufgang ist es am Dienstag in München warm geworden. Am markantesten zu beobachten war dies an der Messstation im Stadtteil Neuhausen, wo der Deutsche Wetterdienst (DWD) um sieben Uhr früh vier Grad gemessen hat - und eine halbe Stunde später 13 Grad. "So ein Anstieg zu dieser Jahreszeit passiert hier ziemlich selten", sagt Meteorologe Martin Schwienbacher vom DWD. Überhaupt sei ein dermaßen starker Süd-Föhn ziemlich ungewöhnlich.

Dessen milde Luft schaffte es wegen des großen Druckunterschieds zwischen Süd- und Nord-Alpen ungewöhnlich weit ins Landesinnere hinein. Seine Strömung reichte bis nach Tschechien, bis in die Luftschicht am Boden schaffte sie es auf einer Linie von Kempten im Allgäu über München bis auf die Bergspitzen des Bayerischen Waldes. Das wiederum komme schon mal öfter vor.

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Seit jeher prägt der Föhn das Klima in Südbayern. Kaum ein Wetterphänomen beeinflusst das Wohlbefinden der Menschen so stark wie dieses seltsame Lüfterl, das den einen Migräne und Nervosität beschert, andere aber wie beschwipst agieren lässt. Der Minister Maximilian von Montgelas, Schöpfer des modernen bayerischen Staates, soll schon vor 200 Jahren die Ansicht vertreten haben, Missgeschicke seien in der Regel ein Werk des Föhns. Und der Münchner Philosoph Karl Valentin, der bei jedem Föhneinfall depressiv wurde, brachte die Folgen gewohnt originell auf den Punkt: "Wer beim Föhn net krank ist, der ist überhaupt net gesund."

Valentins Einschätzung mag auch daran liegen, dass man Klima erwartet, aber stets Wetter bekommt. Ein konkretes Beispiel für diese Kalenderspruch-Philosophie lieferte am Dienstag der Blick auf die Thermometer. Im Freistaat herrschte ein Temperaturunterschied von fast 20 Grad. Nördlich von München lagen die Werte um den Gefrierpunkt, am Alpenrand bescherte der Föhn Temperaturen bis zu 18 Grad.

Ähnlich war das Münchner Binnenklima. Dort zeigten die Thermometer zum gleichen Zeitpunkt minus ein Grad (Unterschleißheim) und 14 Grad (Grünwald) an. "Solche lokalen Unterschiede sind ganz typisch für Föhnwetter", sagt Meteorologe Schwienbacher. In Innsbruck überrasche eine derartige Diskrepanz niemanden. Entstanden ist sie durch zwei verschiedene Luftmassen. Die kalte ortsfeste, wie sie bodennah in Unterschleißheim lag, und die milde, die spontan über die Alpen kam und dort für Wärme sorgte, wo sie es bis auf 500 Meter hinunter schaffte. "Diese Wetterlage flaut in der Nacht zum Mittwoch wieder ab", sagt Schwienbacher. "Sie könnte aber am Freitag noch mal sehr stark werden."

Dann würde wieder drohen, was der Schriftsteller Ernst Hoferichter (1895-1966) einst drastisch beschrieb. Der Leib werde bei Föhn zum biologischen Niemandsland und gebe den Weg frei für Schwindelgefühle, vibrierende Pulse, verkrampfte Muskeln und zuckende Nervenbündel, schrieb er.

Noch verblüffender aber ist es, wie sehr der Föhn imstande ist, die Sinne zu verwirren, insbesondere das räumliche Sehen. In den vergangenen Tagen holte er - sogar noch im südlichen Niederbayern - die Berge wieder zum Greifen nah heran. Dieses Phänomen hatte in der Vergangenheit krasse Auswirkungen. Anno 1704 trug sich beispielsweise ein Föhnwunder zu, das bis heute nicht vergessen ist. In jenem eiskalten Kriegswinter froren Kochelsee, Loisach und die Moore so zu, dass die Tiroler Angreifer über das Eis die weniger gut geschützte Südseite des Klosters Benediktbeuern angriffen.

Doch dann geschah das sogenannte Kochelsee-Wunder: Plötzlich, so heißt es in einer Chronik, kam der "Sunnewind", ein starker Föhn, auf und fraß sogleich das Eis und die Feinde weg. Überhaupt lohnt ein Blick in die Historie. Er zeigt nämlich, dass dieser zum Teil so sagenhafte Föhn "wahrscheinlich schon seit Jahrtausenden" ins Alpenvorland weht, wie auch Martin Schwienbacher vom DWD vermutet. Und man muss gar nicht so weit zurückblicken, um vergleichbar warme Werte für diese Jahreszeit zu finden: Weihnachten 1977 zum Beispiel, da hatte es in München 15 Grad. Im Jahr 2013 ebenso.

Dieses Jahr wird es aber keine allzu warme Weihnacht, da ist sich Schwienbacher recht sicher: "Wir erwarten eine Westwind-Wetterlage, die durchwachsenes Wetter nach Südbayern bringt." Es stellt sich die Frage, ob die Föhn-Temperaturen ähnlich wie das globale Temperaturniveau sogar noch steigen könnten? "Diese Vermutung besteht", sagt Schwienbacher.

Keine wirklich gute Prognose für jene Menschen, die bei Föhnlage wirken, als seien sie nicht mehr zurechnungsfähig. Als der Autor Jörg Maurer vor Jahren seinen ersten Krimi schrieb, dürfte auch er unter den Einfluss dieses warmen Fallwindes geraten sein. Dermaßen aberwitzig sind nämlich die Geschehnisse in seinem 2009 erschienenen Debütroman, dass wohl nur der Föhn die Maurerischen Synapsen und Gedanken in diesem Sinne beeinflusst haben kann. Der Krimi trägt übrigens den Titel "Föhnlage".

Die Meteorologen weisen aber stets darauf hin, dass die Ursachen des Föhns sowie seine Erscheinungsformen teils immer noch unerforscht sind. Der Föhn weht beileibe nicht nur in Südbayern. Ähnliche Fallwinde gibt es in Nordamerika (Chinook), in den Anden (Zelda) und in Südtirol, wo der Nordföhn zu beobachten ist. Auch in den deutschen Mittelgebirgen treten gelegentlich leichte Föhnlagen auf.

Nirgendwo aber wird der Föhn so zelebriert wie in München. Der Schriftsteller Herbert Rosendorfer kam deshalb zu dem Schluss, der Münchner könne, um sich seiner selbst zu vergewissern, auf den "hassgeliebten Föhn" niemals verzichten. Und seinem Kollegen Sigi Sommer gefiel der Föhn als unübertreffliche Ausrede für schlechte Laune und Kopfschmerzen.

© SZ vom 18.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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