New Work:Immer mehr Coworking-Spaces auch auf dem Land

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Der Coworking und Co-Living Space Nordhalben Village vergibt Förderungen an Unternehmensgründer und kleine Firmen, damit diese das Leben und Arbeiten auf dem Land zwei Monate lang kostenfrei ausprobieren können. (Foto: Daniel Vogl/dpa)

Ruhe, günstige Lebenshaltungskosten, aber auch schnelles Internet und einen modernen Coworking-Space: In Oberfranken werden für ein Pilotprojekt "kreative Köpfe und motivierte Stadtmenschen" gesucht. Ein Trend, dem man auf dem Land immer häufiger begegnet.

Auf dem Land arbeiten mit Blick auf grüne Baumwipfel - anstatt sich in den Großstädten in engen U-Bahnen zu drängeln? Wanderungen durch nahezu unberührte Landschaften statt Joggen im Park? Feierabend-Brotzeit statt Hafer-Cappuccino im Becher zum Mitnehmen? Wer das verlockend findet, kann es ja zumindest mal ausprobieren, wie es sich so lebt und arbeitet auf dem Land: Die Regionalinitiative "Oberfranken Offensiv" sucht zehn Freiwillige, die sich zwei Monate lang darauf einlassen, in Nordhalben im Frankenwald zu leben und zu arbeiten.

Konkret sollen "kreative Köpfe und motivierte Stadtmenschen" testen, ob das klappt - in einem Coworking-Space auf dem Lande ihrem Job nachzugehen und in und um Nordhalben auch die Freizeit zu verbringen: Landleben auf Probe. Die Digitalisierung mache die Bürojobs immer flexibler, heißt es bei "Oberfranken Offensiv". Ein Laptop und ein Internetanschluss reichten inzwischen vielen Berufstätigen aus, um von überall aus zu arbeiten. "Hinzu kommt, dass sich immer mehr Menschen nach der Idylle und der Gemeinschaft der ländlichen Regionen sehnen." Genau diesen Trend greife man auf. Gerade in der Pandemie hätten viele Menschen gemerkt, dass ein Leben in den Metropolen und Großstädten auch Nachteile mit sich bringe, sagt Sandra Wolf vom Demografie-Kompetenzzentrum Oberfranken.

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Als Beispiele nennt sie hohe Mieten, fehlende Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, lange Wege bis in die Natur. "Es findet häufig ein Umdenken statt, eine Abkehr vom Stadtleben und eine Offenheit gegenüber dem Leben auf dem Land. Dies ist auch in Oberfranken festzustellen." Die Region hat das dringend nötig. "Demografischer Wandel" - das klang jahrelang wie ein Drohbegriff, der dafür stand, dass junge Menschen abwanderten, der Landstrich an Attraktivität verlor und nur die Tristesse leer stehender Häuser übrig blieb. Doch viele Kommunen stemmen sich diesem Trend inzwischen aktiv entgegen. Wie etwa Nordhalben.

Aus der alten Schule ist ein moderner Coworking-Space geworden namens "Nordhalben Village", wo man auch übernachten und tagen kann. Glasfaserkabel seien verlegt, das Internet bringe "volle Leistung", sagt Bürgermeister Michael Pöhnlein stolz. Es gebe zig Freizeitmöglichkeiten in und um Nordhalben, in 20 Minuten sei man etwa am Bleilochstausee in Thüringen beim Segeln. "Wir haben keine Staus und kaum Ampeln." Stattdessen: den "Nordwaldmarkt" als einen der größten bürgereigenen Dorfläden Bayerns, ein Künstlerhaus und den "Nordhalbener Kunstsommer".

In den 1970er-Jahren hatte Nordhalben noch rund 3000 Einwohner, inzwischen sind es 1600. Ganze Industriezweige sind weggebrochen. Doch Pöhnlein will seine Gemeinde weiterhin attraktiv halten: "Jammern alleine nützt nichts." Kreative und Selbständige anzulocken via Coworking sei ein Versuch. "Wir gehen neue Wege, wir kämpfen." Sandra Wolf zitiert neue Zahlen des Landesamts für Statistik. Inzwischen gebe es für Oberfranken mehr Zu- als Wegzug. Der Trend zum Coworking - also ein flexibel buchbarer Büroplatz - hat nach Expertenansicht längst auch ländliche Regionen erfasst.

"Beim Breitbandausbau hat der Freistaat in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte gemacht"

Eine aktuelle Erhebung sei zwar erst für dieses Jahr noch geplant, teilt der Bundesverband Coworking Spaces Deutschland (BVCS) mit. Im Jahr 2020 gab es aber bereits rund 1200 solcher Einrichtungen - viermal mehr als 2018. In einer Studie der Bertelsmann Stiftung von Ende 2020 heißt es: "In den vergangenen Jahren sind in Deutschland immer mehr Coworking-Angebote im ländlichen Raum entstanden." Ihr Potenzial für den ländlichen Raum zeige sich in der vielfältigen Kundschaft. Zwar ziehe Coworking auch hier Angehörige der Kreativ-, Digital- und IT-Wirtschaft an - und damit die ursprüngliche Kernzielgruppe.

Doch die Kundschaft von Coworking-Spaces auf dem Land bildeten ein weit gefächertes gesellschaftliches Spektrum ab - so kämen etwa auch Handwerkerinnen und Handwerker. Die Arbeitsplätze seien auch für fest angestellte Pendler interessant, die sich dadurch weite Wege zu ihrer Arbeitsstätte sparen könnten. Die Corona-Einschränkungen hätten diese Entwicklung begünstigt: Aus Sicht vieler für die Studie Befragter sei unter Beweis gestellt worden, "dass das Arbeiten an einem anderen Ort als dem Büro in vielen Berufsfeldern funktioniert".

Auch das bayerische Arbeitsministerium sieht einen Trend zu Coworking auf dem Land. "Aus meiner Erfahrung und den vielen Gesprächen mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und auch der Arbeitgeberseite, weiß ich: Wir brauchen mehr Flexibilität", sagt Ministerin Ulrike Scharf (CSU). "Coworking-Spaces bieten neue Möglichkeiten, von denen Unternehmen und Angestellte gleichermaßen profitieren können." Netzkapazitäten für unkompliziertes Arbeiten im Coworking-Space dürften mittlerweile auch in ländlichen Räumen vorhanden sein, wie es aus dem Digitalministerium heißt: "Beim Breitbandausbau hat der Freistaat in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte gemacht", versichert Ministerin Judith Gerlach (CSU). "Obwohl Bayern hier als Flächenland vor besonderen Herausforderungen steht, liegt das Land inzwischen in allen Bereichen über dem Bundesdurchschnitt."

Und wenn man doch mal weg will aus der grünen Idylle? Die Verkehrsanbindung abseits des eigenen Autos gilt oft als Kritikpunkt für das Leben auf dem Land. Wolf sagt: Die Mobilität auf dem Land sei noch stärker auf den Individualverkehr ausgerichtet. Dennoch gebe es in Oberfranken schon eine Reihe innovativer Projekte, wie den Hofer Landbus, der per App buchbar ist, oder Carsharing-Modelle.

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