Bayerische Geschichte:Auf den Spuren der "Neuen Welt"

Lesezeit: 3 min

Der aus Passau stammende Fotograf und Autor Wolfgang Sréter hat sich intensiv mit dem Thema Winter im Bayerischen Wald auseinandergesetzt. (Foto: Wolfgang Sreter)

Der Bayerische Wald war lange ein Landstrich, der geprägt war von seiner Grenzlage und der dünnen Besiedelung. Mit dem Niedergang des Eisernen Vorhangs weitete sich die Welt gen Osten. Neue Bücher widmen sich dem Bayerwald und dem Böhmerwald.

Von Hans Kratzer

Die Welt verändert sich in einer unerhörten Rasanz. Vieles von dem, was man Heimat nennt, was den Menschen noch vor zwei Generationen tief vertraut war und unantastbar schien, ist mittlerweile verschwunden. Eine neue Welt ist an die Stelle alter Verhältnisse und Gewohnheiten getreten, aber diesen Wandel gab es - wenn auch weniger rasant - früher schon. Am östlichsten Zipfel des Bayerischen Waldes erstreckt sich ein Landstrich, der den Namen "Neue Welt" trägt. Es ist die Region um Wegscheid, Breitenberg und den Dreisessel, direkt an der Grenze zu Böhmen und zum österreichischen Mühlviertel gelegen. Erst im 18. Jahrhundert wurde dieses Land planmäßig besiedelt.

Der aus Passau stammende Fotograf und Autor Wolfgang Sréter, Jahrgang 1946, hat sich zuletzt auf seinen Touren intensiv dem Winter in der "Neuen Welt" gewidmet. In den vergangenen Jahren hat er hier nur noch dünne Schneedecken statt meterhoher Schneewände hervorgebracht. Erst in diesem Dezember fällt schneemäßig alles wieder so üppig aus, wie es früher einmal war. Sréter dokumentiert diesen Wandel des Klimas, der Winterzeit und der Landschaft in seinem aktuellen Bildband mit kurzen Texten. Seine Bilder zeigen Panoramen, Wälder, Granitsteine und die Infrastruktur des Tourismus, also Schneekanonen und die letzten Skilifte, an denen entlang sich weiße Bänder aus künstlichem Schnee durchs Grün ziehen. Die Fotografien dokumentieren aber auch die Schönheit, die der Winter mit seinen variablen Stimmungen trotz allem immer noch ausstrahlt.

Newsletter abonnieren
:Mei Bayern-Newsletter

Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Sréter erzählt ergänzend zu den Fotostrecken kurze Geschichten von Gräbern, vom Krieg, von der Mystik wie auch von den winterlichen Grau-Schattierungen dieser Gegend. Es sind Reminiszenzen an eine Zeit, die heute fast unwirklich erscheint. Wo fänden Kinder jetzt noch Straßen, auf denen kaum Autos verkehren, um auf ihnen ungestört Schlitten zu fahren. Oder die einstige Skifreude am Dreisessel, wo am Lift der Kondukteur noch mit einer Zange die Zehnerkarte abstempelte und manchmal die Augen für eine Freifahrt zudrückte.

Unter der "Neuen Welt" verstand man eigentlich das Sehnsuchtsland Amerika. Dorthin wanderten im 19. Jahrhundert gerade aus dieser Gegend viele Menschen aus. Es war stets viel Hoffnung damit verknüpft. Eine Hoffnung, die schon der junge Sréter spürte, als er auf den Gipfeln weit nach Tschechien hineinschaute. Und tatsächlich sollte nach der Grenzöffnung noch einmal eine neue Welt hinzukommen, der tschechische Nationalpark Šumava. Er lag jahrzehntelang am Ende der Welt, der Eiserne Vorhang trennte bis 1990 den Bayerischen und den Böhmischen Wald und seine Bewohner (Buchvorstellung am 16. Dezember im Kutscherhaus der Villa Breitenberg. Kartenreservierung: info@villabreitenberg.de und Tel. 08584/ 989 45 21).

Über jenen Böhmerwald, der jetzt wieder frei zugänglich ist, sind zuletzt zwei attraktive Bildbände erschienen, die sich ebenfalls dem Abschied von Land und Leuten widmen. Bezeichnenderweise tragen die Bände den Titel "Verschwundener Böhmerwald". So abgelegen die Gegend einst war, so erstaunlich ist es, wie viele großartige Lichtbildner und Fotografen aus dem Bayerischen Wald sowie aus dem Böhmerwald hervorgegangen sind. Das Bedürfnis, diese markante Gegend und deren Bewohner zu dokumentieren, ist dort seit jeher stark ausgeprägt. Schon seit den Anfängen der Fotografie gilt die Grenzregion als ein äußerst fruchtbares Terrain für viele große Meister der Foto- wie auch der Erzählkunst.

Skifahren war bei Weitem kein Privileg der Männer, wie die mutigen Sportlerinnen am Hang des Berges Schwarzkopf belegen. (Foto: Ohetaler Verlag)
Zosum gehörte zu den ärmeren Siedlungen, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten war hier nie leicht. Das Bild zeigt ein Ochsengespann mit einer Fuhre Mist beim Düngen des Feldes. (Foto: Ohetaler Verlag)

Die beiden Bände enthalten großartige historische Fotografien, aber auch 41 Geschichten, die den Reiz, aber auch die Abgründe dieser Gegend schildern. Die Bücher handeln von Orten, die auf heutigen Landkarten des Böhmerwalds meistens nicht mehr zu finden sind. Gesammelt hat das alles der 2022 gestorbenen Emil Kintzl, der nicht nur den Böhmerwald in- und auswendig kannte, sondern auch ein begnadeter Erzähler war. Sein Co-Autor Jan Fischer hat über den alten Böhmerwald mehrere Dokumentarfilme gedreht. In den Büchern werden längst vergessene Geschichten über Schmuggler, Unglücksfälle, Kriegsereignisse, Schatzfunde, Morde und die Anfänge des Skifahrens wach. Den Schilderungen des harten und urwüchsigen Lebens werden keine Beschönigungen beigemengt. Sie laden gerade deshalb ein, die Orte und Landschaften, in denen sich Wundersames zugetragen hat, zu besuchen und sie so vor dem endgültigen Vergessen zu bewahren.

Beide Bücher zeigen mit wenigen Abstrichen eindrucksvoll, dass sich in der Kombination aus eigenem Erleben und dem Genius loci des konkreten Ortes der Lauf der Geschichte besser begreifen lässt, was den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds veranlasst hat, diese Buchprojekte zu fördern.

Wolfgang Sréter: Die Neue Welt im Schnee. Vom Vergehen des Winters im Bayerischen Wald, Lichtung Verlag.

Emil Kintzl/Jan Fischer: Verschwundener Böhmerwald, zwei Bände (Band 1 nur im Verlag erhältlich), Ohetaler Verlag.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusDer Zoigl in der Oberpfalz
:Das wohl älteste Craft-Bier der Welt

In der Oberpfalz wird seit Jahrhunderten ein ganz besonderer Stoff gebraut - gemeinsam von einem ganzen Dorf. Ausgeschenkt wird nur an bestimmten Tagen. Der Zoigl ist weit mehr als ein Bier.

Von Lisa Schnell

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: