Bad Kissinger Kurorchester:Streikanweisung per Partitur

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Die Musikerinnen und Musiker des Bad Kissinger Kurorchesters sind unzufrieden mit der Bezahlung und den Arbeitsbedingungen. Das Ensemble, das auch als "Staatsbad Philharmonie Kissingen" bekannt ist, macht keinen Hehl aus seiner Verärgerung. (Foto: Deutsche Orchestervereinigung)

Gerade wurde Bad Kissingen zum Weltkulturerbe erklärt - und jetzt streikt das berühmte Kurorchester. Warum die Musiker nun in Warnwesten auftreten und Joseph Haydn der Komponist der Stunde ist.

Interview von Dietrich Mittler, Bad Kissingen

Musikalisch ausgedrückt, hat das unterfränkische Bad Kissingen zunächst einen Fanfarenstoß erlebt - gehört es doch zu jenen elf europäischen Städten, deren Traditionsbäder sich zum Unesco-Weltkulturerbe zählen können. Doch dann der Paukenschlag: Das Bad Kissinger Kurorchester präsentierte sich mit gelben Warnwesten auf der Bühne - und darauf stand in großen Lettern "Streik". Orchesterleiter Burghard Tölke spielte auch bei dieser Aktion die erste Geige.

SZ: Können wir miteinander ein paar Takte reden?

Burghard Tölke: Reden? Ich würde lieber ein paar Takte spielen. Aber klar, wir können reden.

Kommen wir doch bitte gleich zum großen Paukenschlag. Auf welche Weise wurde der gesetzt?

Wir haben beim Festakt zum Unesco-Weltkulturerbe eine Auftragskomposition der Stadt uraufgeführt. Als Komponist dieser Welterbe-Hymne "Kissinger Liebe" habe ich in die Partitur eingetragen: "Streikwesten an!" Das geschah, einige Kollegen haben sie zunächst über die Pulte gehängt. Dann haben wir das Stück ganz normal aufgeführt und uns am Ende in Streikwesten verbeugt. Anschließend sind wir geschlossen vor den Eingang der Halle gegangen und haben Flyer an das Publikum verteilt.

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Streikanweisung per Partitur - nein, oder?

Wir hätten als Orchester eine solche Aktion gerne vermieden, aber es ging nicht anders. Sonst hört uns ja keiner. Mit unserem Anliegen, meine ich. Seit drei Jahren versuchen wir bislang vergeblich, mit der Arbeitgeberseite ins Gespräch zu kommen.

Welches Ziel verfolgten die Musiker mit dieser Aktion?

Wir brauchen die Aufmerksamkeit der Politik - und der Festakt war eine einmalige Chance, die zu bekommen. Das Orchester lockt viele Gäste nach Bad Kissingen. Die Welterbe-Nominierung beruht also auch zu einem großen Teil auf unserer Arbeit.

Burghard Tölke, der 39-jährige Leiter des Kurorchesters Bad Kissingen, hat das Repertoire seiner Musikerkollegen kürzlich per Partitur um eine Streikaktion erweitert. (Foto: Anna-Maria Kowalsky)

Was sagte das Publikum zu all dem?

Es gab viel Zuspruch, aber auch viel Gegenwind. Manchen war gar nicht klar, was da gerade passierte. Wir haben ihnen das aber nach der Aufführung erklärt, und dann wussten die Leute: Unsere Aktion ist berechtigt. Ein anderes Orchester arbeitet maximal 28 Stunden lang und gibt in der Woche sieben Konzerte. Wir hingegen geben 13 Konzerte und arbeiten 40 Stunden lang - eine körperlich und geistig sehr anstrengende Tätigkeit. Darüber hinaus sind wir auch unsere eigenen Orchesterwarte, machen selbst die Organisationsarbeit, bauen etwa ein Notenarchiv auf. Im Gegensatz dazu liegt das Gehalt 30 Prozent unter dem, was das am schlechtesten bezahlte Orchester in Deutschland bekommt.

Damit wäre ein Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde fällig.

Den haben wir bereits - für mehr als 700 Konzerte in einer einzigen Spielzeit. Doch zurück zu unseren Zielen: Es geht uns nicht nur ums Geld, sondern auch darum, dass endlich mit der Gewerkschaft für uns ein Tarifvertrag vereinbart wird. Ein Vertrag, der bessere Arbeitsbedingungen festschreibt. Dazu sieht aber der Bad Kissinger OB Dirk Vogel bislang keinen Grund.

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Macht die Arbeit überhaupt noch Spaß?

Natürlich, das ist eine Mega-Herausforderung. Aber vergleichbar mit einer Fußballmannschaft, die dreimal täglich an einem großen Match teilnehmen muss. Alle, die bei uns arbeiten, kommen von Universitäten, haben ganz tolle Lebensläufe. Und solche Leute will man ja halten. Ein solches Salonorchester in der großen Berliner Besetzung gibt es auf der ganzen Welt nur noch in Bad Kissingen - und der Clou ist: Wir haben sogar ein Harmonium.

Kommt da in nächster Zeit noch ein Instrument dazu - etwa eine Trillerpfeife für weitere Aktionen?

Vielen Dank für diesen Hinweis. Aber tatsächlich: Unser Schlagzeuger hat eine Trillerpfeife.

Den halten Sie als Orchesterchef doch hoffentlich zurück - ja?

Vorerst.

Erlebt dann das Publikum womöglich bezüglich Arbeitskampf ein da capo al fine? Oder gar ein Null-Ton-Konzert?

Null-Ton-Konzert? Nein! Wir wollen das Publikum nicht verärgern, sondern es in unserem Diskurs mitnehmen. Aber, es gibt da die Abschieds-Symphonie von Joseph Haydn sowie gewisse Choräle...

Choräle, die als zarte Andeutung Ihrer Streikziele zu verstehen sind?

Genau! Wir haben ein großes revolutionäres Repertoire.

© SZ vom 03.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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