Artenvielfalt:Hartes Leben zwischen den Steinen: Damit Flussregenpfeifer und Tamarisken eine Zukunft haben

Lesezeit: 3 min

Die Mündung des Rißbachs in die Isar nahe dem Karwendelort Vorderriß ist einer der wenigen Flussabschnitte in Bayern, an denen es noch weitläufige Kiesbänke gibt. (Foto: Michael Schödl/LBV)

Im Sommer sengend heiß, bei Regen schnell unter Wasser: Kiesbänke sind ein rauer Lebensraum. Doch es gibt Tier- und Pflanzenarten, die sich auf das Leben dort spezialisiert haben. Naturschützer starten jetzt ein Hilfsprojekt für sie.

Von Christian Sebald, Vorderriß

Der Flussregenpfeifer oder Charadrius dubius, wie die Ornithologen die Art nennen, ist etwas größer als ein Spatz und braun gefiedert, seine Unterseite ist weiß. Man erkennt ihn gut an dem markanten gelben Augenring um die dunklen Augen und dem schwarzen Halsband. Der kurze Schnabel ist ebenfalls dunkel, die Beine sind braungelb gefärbt. Wie so viele andere heimische Zugvögel - der Flussregenpfeifer überwintert zumeist in der südlichen Sahara - war die Art einst weit verbreitet in Bayern. Seit Jahren schrumpft die Zahl der Exemplare hierzulande allerdings dramatisch. Inzwischen wird der Flussregenpfeifer auf der der Roten Liste als gefährdet eingestuft. Der Grund für den Schwund: In den vergangenen 200 Jahren sind mindestens vier Fünftel der Lebensräume von Charadrius dubius verloren gegangen.

Newsletter abonnieren
:Mei Bayern-Newsletter

Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Der Flussregenpfeifer lebt - wie sein Name sagt - an den Flüssen in Bayern. Auf ihren Kies- und Sandbänken und im seichten Uferwasser macht er Jagd auf Würmer, Spinnen, Insekten, Larven und kleine Weichtiere. In die Bodenmulden von Kiesbänken baut er auch seine Nester. Die Weibchen legen ab April vier farblich gut getarnte steingraue bis cremefarbene Eier in sie hinein, das Flussregenpfeifer-Paar brütet sie im Lauf von gut ungefähr dreieinhalb Wochen gemeinsam aus.

Einst hatte der Charadrius dubius Lebensraum in Hülle und Fülle. "Der Lech zum Beispiel hatte ursprünglich ein bis zu tausend Meter breites Bett mit gigantischen Kiesbänken, zwischen denen er sich immer neu einen Lauf eingegraben hat", sagt Fabian Unger vom Landesbund für Vogelschutz. "Ganz ähnlich war es an der Isar und natürlich an den kleineren oberbayerischen Gebirgsflüssen wie der Loisach, der Ammer oder dem Halblech."

Der Flussregenpfeifer hat sich auf das Leben auf Kiesbänken spezialisiert. (Foto: Fabian Unger/LBV)

Heute sind die Kiesbänke bis auf wenige, zumeist kümmerliche Reste verschwunden. Der Grund: Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts sind die Flüsse in Bayern begradigt und kanalisiert worden, man hat Wehre in sie hineingebaut und Wasserkraftwerke an ihnen errichtet. Aus den vormaligen frei mäandernden Wildflüssen sind - zumindest die meiste Zeit des Jahres - eingezwängte, träge vor sich hin fließende Gewässer geworden. Der Lech zum Beispiel gleicht auf vielen Abschnitten einer aneinandergereihten Kette von Stauseen.

Mit den Kiesbänken ist ein Lebensraum mit einer einzigartigen Artenvielfalt verloren gegangen. Denn auf dem unwirtlichen Geröll und Gestein, auf dem es im Sommer schier unerträglich heiß und staubtrocken wird, das aber schon nach einem heftigen Regenguss in den Bergen überflutet werden kann, leben ja nicht nur die Flussregenpfeifer. Sondern eine ganze Reihe weiterer hoch spezialisierter Pflanzen- und Tierarten. Die Deutsche Tamariske zum Beispiel, eine rutenartig weit verzweigte, bis zu zwei Meter hohe Strauchart mit feinem graugrünen Laub kommt nur auf Kiesbänken vor. Oder die Lavendelweide, die sogar bis zu 20 Meter hoch werden kann.

Die Flussuferwolfspinne versetzt Badegäste bisweilen in Angst und Schrecken. (Foto: Imago/F. Hecker/Imago/blickwinkel)

Aber auch die Gefleckte Schnarrschrecke fühlt sich auf Kiesbänken wohl. Sie zählt zu den größten Heuschreckenarten Europas, ist aber von der Erscheinung her eher unauffällig. Ganz anders die Flussuferwolfspinne oder Arctosa cinerea. "Sie kann Badegäste auf den Kiesbänken in Angst und Schrecken versetzen", sagt der LBV-Mann Unger. "Denn sie zählt zu den größten Spinnen hier bei uns und wirkt auf manche mit ihrem gräulich gepunkteten, gefleckten Körper richtig gefährlich." Der dunkle Kiesbankgrashüpfer wiederum ist eine filigrane Erscheinung. Er wird ebenfalls auf der Roten Liste geführt und ist vom Aussterben bedroht.

Damit all diese Arten eine Zukunft haben, hat der LBV dieser Tage ein Projekt gestartet. Es nennt sich sperrig "Bayerns Seltenste: Arten der Trockenlebensräume" und ist auf sechs Jahre angelegt. In seinem Rahmen will der LBV im Bereich zwischen Lech und Isar die Bedingungen für die hochspezialisierte Kiesbank-Flora und -Fauna verbessern. Denn dort gibt es ja noch einige wenige Flussabschnitte mit vergleichsweise intakten weitläufigen Kiesbänken. Zuallererst natürlich den Rißbach, der nahe dem Karwendelort Vorderriß in die Isar mündet. Oder die Ascholdinger Au und die Pupplinger Au an der Isar bei Wolfratshausen. Dazu einzelne Abschnitte an der oberen Loisach, der Ammer und dem Halblech und ihrer Zuflüsse.

Die Deutsche Tamariske ist ein weitgefächerter, rutenartiger Strauch mit feinem Laub, der bis zu zwei Meter hoch wird. (Foto: Fabian Unger/LBV)

Überall dort werden Unger und seine Kollegen die gefährdete Flora und Fauna erfassen. Aber nicht nur das. Sie wollen die Lebensräume verbessern, in dem sie beispielsweise Weiden umschneiden, damit die Deutsche Tamariske wieder mehr Raum hat. Oder indem sie Badegäste und Spaziergänger von brütenden Flussregenpfeiffern fernhalten. Außerdem streben sie Kooperationen mit Betreibern von Kiesgruben an. "Es hat sich nämlich herausgestellt, dass immer mehr Flussregenpfeifer auf Kiesgruben als Ersatzlebensraum ausweichen", sagt er. "Wir wollen jetzt prüfen, ob das auch für andere Arten wie die Tamariske möglich ist."

Wer jetzt denkt, dass es sich bei dem Projekt um eine etwas eigenartige Liebhaberei von Ornithologen handelt, der täuscht sich. Kiesbänke sind mit ihrer Artenvielfalt ein Lebensraum, den es nach dem europäischen Naturschutzrecht unbedingt zu erhalten und zu verbessern gilt. Deutschland und damit auch Bayern sind verpflichtet, dazu aktiv beizutragen - zumal zum Beispiel die Deutsche Tamariske hierzulande praktisch nur noch an den Gebirgsflüssen in Oberbayern und dem Allgäu vorkommt. Deshalb müssten - wenn es nicht der LBV täte - der Freistaat oder der Bund ein Projekt für ihren Erhalt starten. Der LBV ist mit seinem Projekt also gleichsam Dienstleister für den Staat. Die Zuschüsse, die er dafür erhält - der Bund übernimmt etwa 580 000 Euro, der Freistaat 115 000 - decken noch nicht einmal die Kosten. Der LBV muss einen kleinen Anteil selbst schultern.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusNaturschutz
:Neue Runde im Streit um die Fischotter

Seit Jahren beschweren sich die Teichwirte, dass ihnen die streng geschützten Raubtiere die Weiher leer fressen. Jetzt hat Agrarministerin Kaniber den strengen Schutzstatus abgesenkt. Dennoch wird wohl kaum ein Fischotter abgeschossen werden.

Von Christian Sebald

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: