Neue Initiative:"Die Abreißerei muss ein Ende haben"

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Früher standen Gebäude über Jahrhunderte. Heute werden sie oft schon nach wenigen Jahrzehnten abgerissen. Auch das alte Hotel Königshof am Stachus in München musste Platz für einen Hotelneubau machen. (Foto: Stephan Rumpf)

Der Landesverein für Heimatpflege und der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten werben für eine neue Baukultur mit weniger Neubauten und stärkerer Nutzung alter Bausubstanz.

Von Hans Kratzer, München

Die Baukultur, die sich in Deutschland durchgesetzt hat, trägt aus heutiger Sicht durchaus absurde Züge. Sie basiert auf einem enormen Verschleiß an Ressourcen, die Zahlen sprechen für sich. Allein 40 Prozent des CO₂-Ausstoßes in Deutschland hängen mit dem Bauen zusammen. In der Diskussion um den Verpackungsabfall wird zwar beklagt, der Verpackungsabfall liege bei 227 Kilogramm pro Person, es wird aber oft nicht bedacht, dass beim Bauen mehr als 2,5 Tonnen an Bau- und Abbruchabfällen pro Person anfallen, das ist die zehnfache Menge. Ist es also noch vertretbar, eine riesige Zahl an Gebäuden abzureißen und stattdessen Neubauten zu errichten? Oder gibt es eine Alternative? Der Landesverein für Heimatpflege sowie der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) sind überzeugt davon, dass es fortschrittlichere Möglichkeiten des Bauens gibt. Sie fordern, die Abreißerei müsse ein Ende finden. "Wir müssen unser Bewusstsein ändern", sagte Rudolf Neumaier, der Geschäftsführer des Landesvereins, am Montag im Münchner Presseclub. Dort stellten der Landesverein und die Architekten eine Initiative vor, die neue Wege des klimafreundlichen Bauens aufzeigen soll.

Jörg Heiler, Landesvorsitzender des BDA Bayern, sagte, das Abreißen sei nicht nur ein Problem der Städte, sondern auch des Landes. Dort sehe man einen enormen Verlust an alten Wirtshäusern, Bauernhöfen und ortsprägenden Gebäuden. "Das ist ein Indikator unserer Wegwerfgesellschaft", sagte Heiler. Dabei stecke in solchen Gebäuden ein enormes Potenzial. Gerade in einer Zeit des Flächenverbrauchs sei die Umnutzung alter Bausubstanz sinnvoller denn je. Eine bereits besetzte Fläche könne neu und kreativ genutzt werden, ohne wertvolles Land zu verbrauchen. Zudem schone eine Instandsetzung viele Ressourcen. Die im Gebäude gebundene "Graue Energie" bleibe erhalten. "Wir brauchen schon wegen des Klimaschutzes eine neue Denkweise, die auf Pflegen und Reparieren abzielt."

"Aus Donuts müssen Krapfen werden."

Olaf Heinrich, Bürgermeister von Freyung und Vorsitzender des Landesvereins, beklagte, durch die Abreißerei gehe die Identität vieler Orte verloren. Es sei ein falscher Weg, ständig neue Baugebiete auszuweisen, während die Ortskerne brach lägen. Annemarie Bosch, Mitglied des BDA-Präsidiums, bedauerte die mangelnde Wertschätzung der in den 60er- bis 80er-Jahren errichteten Häuser. Das seien zwölf Millionen Wohnungen, sagte sie, immerhin ein Drittel des Gesamtbestands in Deutschland. Ihr Abriss zerstöre überdies Sozialstrukturen und gewachsene Nachbarschaften. "Hier muss ein Paradigmenwechsel stattfinden." Der Bestand sei zu wertvoll, um ihn zu entsorgen. "Aus Donuts müssen Krapfen werden. Mit einer Füllung im Kern", umschrieb sie die Aufgabe mit einem schönen Sprachbild.

Der Landesverein und die Architekten haben 13 Forderungen formuliert, um die Umbaukultur attraktiv zu machen. Eine betrifft beispielsweise eine entsprechend günstige Bemessung der Grundsteuer. Eine andere Forderung zielt auf ein Gebäudeenergiegesetz, in dem die "Graue Energie" in Berechnungen und Bewertungen einfließen müsse, um die Kostenwahrheit zwischen Neubau und Umbau herzustellen. Einer Anpassung bedürften auch die Bauordnungen, die in erster Linie den Neubau im Blick hätten, den Erhalt des Bestands aber deutlich erschwerten. Heiler sagte, die meisten Forderungen seien kurzfristig machbar. Neumaier ergänzte, die Kampagne sei jetzt angestoßen, "für eine Umkehr in der Baukultur ist es noch nicht zu spät".

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