Bardentreffen in Nürnberg:Endlich singen sie wieder

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Einer von vielen Höhepunkten: Nomfusi auf dem Hauptmarkt. (Foto: Berny Meyer/Stadt Nürnberg Projektbüro Kultur)

Nach drei Jahren Corona-Pause findet Europas größtes Weltmusikfestival wieder statt. Die Besucher kommen in Scharen, die Künstler werden gefeiert und die Veranstalter finden den Beweis, dass das Bardentreffen fest verankert ist.

Von Oliver Hochkeppel, Nürnberg

Schon am Sonntagnachmittag, als gut zehn Bands sich erst noch auf ihren Auftritt vorbereiteten, sandte das "Projektbüro des Geschäftsbereichs Kultur der Bürgermeisterin der Stadt Nürnberg" (so einfach können Zuständigkeiten geregelt werden) eine euphorische Erfolgsmeldung zum diesjährigen, wie immer dreitägigen Bardentreffen aus: "Die kühnsten Erwartungen wurden übertroffen", lautete der erste Satz. In der Tat war ja vorher nicht abzusehen, wie viel von der 45-jährigen Festivaltradition nach zwei abgesagten Editionen, also nach drei Jahren Pause, noch übrig ist. Doch schnell bestätigte sich, was Andreas Radlmaier, Leiter des Projektbüros und zusammen mit dem künstlerischen Leiter Rainer Pirzkall Mastermind und Motor dieser Veranstaltung, so formuliert: "Das Bardentreffen ist felsenfest verwurzelt im Nürnberger Kultur-Kalender. Diese Tatsache können glücklicherweise auch Krisen und Absagen nicht ändern."

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Tatsächlich ließen sich die Musikhungrigen schon zu Beginn am Freitagabend auch vom Regen nicht vom Besuch der acht über die Altstadt verteilten Bühnen abhalten. Die beiden größten Spielorte sind am Hauptmarkt und auf der Insel Schütt, weitere auf kleineren Plätzen und in der St.-Katharina-Kirchenruine - für viele der stimmungsvollste Spielort. Bei der wunderbaren Singer/Songwriterin Hanna Sikasa zum Beispiel war der Lorenzer Platz gut mit regenfest ausgerüsteten Zuschauern gefüllt und die Stimmung bestens. Am Samstag bei Kaiserwetter war dann zeitweise kein Durchkommen mehr durch die Altstadt-Gassen, an den meisten Bühnen mussten die Leute wegen Überfüllung geduldig anstehen.

Sie können es noch: Nach drei Jahren Corona-Pause feierten die Nürnberger und ihre Besucher wieder das Bardentreffen. (Foto: Moritz Schlenk/Imago)

Insgesamt strömten wieder weit mehr als 200 000 Menschen zum Bardentreffen, bestimmt nicht weniger als in den Jahren vorher. Bemerkenswert in Zeiten, in denen die Veranstalter von der Klassik über den Rock bis zum Kabarett über teilweise massive Einbrüche beim Publikumszuspruch klagen. Und an wirklich jeder Ecke standen Straßenmusiker aller Art und jeden Niveaus, gefühlt mehr denn je - auch sie gehören neben den Profis seit langem zu dem Unterfangen, Nürnberg drei Tage lang in eine Klangwolke zu tauchen. Zur Belebung der in den Siebzigerjahren abends verödenden Innenstadt war das Bardentreffen ja einst erfunden worden.

Nun ist das Festival in erster Linie eine Kulturveranstaltung, es geht also nicht nur um Zahlen. Die sind ohnehin nur der Beweis und das Ergebnis eines erfolgreichen künstlerischen Konzepts. Zwar stammt der Name "Bardentreffen" aus den Anfängen in den Siebzigerjahren, als sich an einem einzigen kleinen Platz die überschaubare Gilde der politisch motivierten - und musikalisch mitunter recht beschränkten - Liedermacher versammelte. Seither ist viel Wasser die Pegnitz hinabgeflossen, parallel zu den Umwälzungen der Musiklandschaft hat sich das Festival mehrfach gehäutet.

Das Motto in diesem Jahr: "Starke Stimmen"

Es wurde schon vor gut 20 Jahren zu Deutschlands, wahrscheinlich sogar Europas größtem Weltmusikfestival und wandelt sich nach dem Willen Rainer Pirzkalls gerade wieder: hin zu einer genre-offenen Schwerpunkt-Plattform. Denn früher als anderswo hat man hier begriffen, dass ein Festival in einer Zeit des globalisierten musikalischen "anything goes" statt einer beliebigen Musikerauswahl ein übergeordnetes Thema braucht. So hat das Bardentreffen schon seit Jahren jedes Mal ein neues Motto.

"Starke Stimmen" lautete das diesmal: Nach dem Ende des pandemiebedingten Sing-Verbots wollte man bewusst die schillernde Vielfalt menschlicher Lauterzeugung präsentieren. Von den bluesgrundierten Popsongs der Ami Warning über das knorrige Bairisch von Sebastian Horn von Dreiviertelblut (mit beiden führte Radlmeier auch hochinteressante Künstlergespräche) und dem Reggae-Punk-Rap des Mal Èlève bis zum Beatboxen von The Razzones - oder gleich alles zusammen im Jazz von Kid Be Kid gebündelt. Von der Oberton-Kunst der mongolischen Gruppe Huun-Huur-Tu und der rhythmisch hart unterlegten Tarantella-Mehrstimmen-Hypnose von Kalàscima aus dem süditalienischen Salento über den polyphonen Hirtengesang des korsischen Ensembles L'Alba, das skandinavische Joiken von Okra Playground oder den Sofiatown-Soul der die Stadt rockenden Südafrikanerin Nomfusi bis zum Son der sechsköpfigen A-cappella-Gruppe Vocal Sampling, einer Art kubanischer Variante von Naturally 7, mit der das Festival einen entspannten Ausklang fand.

So entspannt wie es das komplette Festival war, bei dem nicht nur auf den Bühnen Stimmen aus mehr als 20 Ländern zu hören waren. Laut Erhebungen kommen zehn Prozent der Besucher aus dem Ausland, 20 weitere aus dem nationalen Raum außerhalb der Metropolregion. Um sich der für alles offenen, immer gelassenen Haltung der Nürnberger anzuschließen. Wie immer konstatierte die Polizei am Ende eine "absolut friedliche und störungsfreie Großveranstaltung".

Vielleicht auch, weil hier jeder das Seine findet: Der Musikfreak, der drei Tage lang so viel wie möglich hören will; der Flaneur, der sich einfach überraschen lässt; die Familien, die einen kulinarisch wie kulturell kaum steigerbaren Ausflug machen können; Fans von Kultbands wie Erdmöbel, Ton Steine Scherben oder Son del Nene. Selbst Experten können noch Entdeckungen machen wie die französisch-algerische Sängerin Djazia Satour oder vor allem beim heimischen Nachwuchs: die fränkische Szene hatte mit dem Lorenzer Platz ihre eigene Bühne.

Wer nicht in Nürnberg war, sich aber einen Eindruck verschaffen will: Der Bayerische Rundfunk und Arte concerts haben die Auftritte von Kalàscima, Nomfusi, Djazia Satour, Paulo Flores, Huun-Huur-Tu und L'Alba mitgeschnitten, abzurufen sind sie auch auf der Homepage des Bardentreffens: https://bardentreffen.nuernberg.de/videos/livestream. Und auf Bayern2 sind Ausschnitte am 6., 13. und 20. August zu hören. Aber ganz besonders beim Bardentreffen gilt dasselbe wie zum Beispiel für die Pyramiden von Gizeh: Nur wer mal davorgestanden hat, weiß, wie es sich anfühlt.

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