München (dpa) - Wenige Wochen vor dem vom Bund angekündigten Gesetzentwurf zur Legalisierung von Cannabis ist ein Gutachterstreit um die rechtliche Machbarkeit entbrannt. Ein am Mittwoch in München im Auftrag der bayerischen Staatsregierung vorgestelltes Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die Pläne der Bundesregierung gegen internationales Recht verstoßen.
Dagegen gibt eine noch unveröffentlichte juristische Untersuchung der Universität Nimwegen der Bundesregierung Rückendeckung für ihr Legalisierungsvorhaben. Zuerst hatte das Fachportal „Legal Tribune Online“ (LTO) über das niederländische Gutachten berichtet. Beide Gutachten liegen der Deutschen Presse-Agentur in München vor.
„Die von der Bundesregierung geplante Cannabis-Legalisierung widerspricht völker- und europarechtlichen Vorgaben“, heißt es in der 53-seitigen wissenschaftlichen Ausarbeitung von Bernhard Wegener, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Europarecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen. Seinem Gutachten zufolge verstoßen die Ampel-Pläne insbesondere gegen die Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Drogenbekämpfung: „Die UN-Drogenkontrollorgane bewerten eine umfassende Cannabis-Legalisierung der von der Bundesregierung geplanten Art in ständiger Entscheidungspraxis als vertragswidrigen Verstoß gegen die UN-Übereinkommen zur Drogenbekämpfung.“ Mit Blick auf das Europarecht sei zudem insbesondere der geplante staatliche oder staatlich lizenzierte Handel, Anbau und Verkauf von Cannabis zu anderen als wissenschaftlichen oder medizinischen Zwecken „unzulässig“.
„Ein Verstoß gegen EU-Recht müsste meiner Ansicht nach immer ein Vertragsverletzungsverfahren nach sich ziehen“, sagte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU), der seit Monaten die Legalisierungspläne für Marihuana kategorisch ablehnte. Er forderte die Bundesregierung auf, ihre Pläne zur Zulassung des Anbaus, Handels und des Konsums von Cannabis zu Genusszwecken fallen zu lassen. „Wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass es nicht zu einer Legalisierung des Kiffens kommt.“
Aus dem Bundesgesundheitsministerium hieß es, das bayerische Gutachten „liefert offenbar keine neuen Erkenntnisse. Bereits im Eckpunktepapier hatte die Bundesregierung im Herbst des vergangenen Jahres auf die engen völker- und europarechtlichen Risiken hingewiesen.“ Ziel sei und bleibe, „den Jugend- und Gesundheitsschutz für Konsumenten zu verbessern sowie den Schwarzmarkt einzudämmen. Wir sind dazu auch weiter im Kontakt mit der EU-Kommission und werden europarechtlich konforme Lösungen vorlegen.“
Die Strafrechtlerin und Kriminologin Masha Fedorova sowie ihr Kollege Piet Hein van Kempen von der Universität in Nimwegen sollen laut LTO ihre Untersuchung in der März-Ausgabe des European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice veröffentlichen. Das Duo kommt darin zum Ergebnis, dass die Einführung eines staatlich kontrollierten, nationalen Lizenzsystems für Genusscannabis durch einen EU-Mitgliedstaat unter bestimmten Voraussetzungen europa- und völkerrechtlich möglich ist.
Konkret schreiben die Autoren: Eine Legalisierung sei zu rechtfertigen, wenn der betreffende Staat „aufrichtig davon überzeugt ist und überzeugend argumentiert, dass er über dieses System die individuelle und öffentliche Gesundheit, die Sicherheit der Öffentlichkeit und/oder die Verhinderung von Gewaltverbrechen wirksamer umsetzen kann, als er dies über den prohibitiven Ansatz für Cannabis für Genusszwecke zu erreichen vermag“. Zugleich benennen Federova und van Kempen aber auch Bedingungen, die für eine Legalisierung erfüllt sein müssten - etwa scharfe Vorkehrungen gegen einen internationalen Cannabis-Tourismus.
Die Cannabis-Legalisierung gehört zu den Großprojekten der Ampel. In ihrem Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP vereinbart, eine „kontrollierte Abgabe der Droge an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“ möglich zu machen. Cannabis soll staatlich reguliert in Deutschland angebaut und verkauft werden. Erlaubt werden soll auch der Eigenanbau von wenigen Pflanzen.
Die Ampel begründet das Vorhaben unter anderem damit, dass die Verbotspolitik die Nutzung nicht verhindert habe, stattdessen habe es sogar einen Anstieg des Konsums gegeben. Ferner könne ein legaler und staatlich überwachter Verkauf den Jugend- und Gesundheitsschutz verbessern, da weniger verunreinigtes Cannabis im Umlauf sei. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte im Herbst erklärt, er wolle bis Ende März einen Gesetzentwurf vorlegen.
Holetschek lässt diese Argumente nicht gelten: „Die Erfahrungen aus den USA oder Kanada zeigen, dass sich der Schwarzmarkt mit einer Legalisierung nicht austrocknen lässt. Der Schwarzmarkt existiert vielmehr weiter. Daneben stellen Probleme in der Marktregulierung, der Schmuggel und der Steuerbetrug den Staat vor unlösbare Probleme.“
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