Einen Spitznamen haben sich nur die wenigsten Automobile verdient. Das "Erdbeerkörbchen" von Volkswagen etwa, der "Topolino" von Fiat oder gar die "Göttin" von Citroën. Es schwingt zumeist etwas liebevolles mit, eine besondere Beziehung, die Menschen über die Jahre zu diesem besonderen Modell aufgebaut haben. Das gilt für kein Auto wohl so sehr wie der T-Reihe von VW, besser bekannt als "Bulli". Familien träumen von ihm, Abenteurer, Hippies, Surfer und Geschäftsleute. Woher der Name stammt, ist nicht mehr ganz klar. Die einen vermuten, es sei die Kurzform von "Bus" und "Lieferwagen", andere führen ihn auf die bullige Form zurück. Offiziell nennt Volkswagen erst seit 13 Jahren seinen Transporter "Bulli". Als er 1950 auf den Markt kam, produzierte die Heinrich Lanz AG Traktoren mit dem Namen Bulldog, VW fürchtete einen Namensstreit. Danach ließ sich die Kässbohrer AG die Namen "Bulli" und "Bully" für ihre Skipisten-Fahrzeuge sichern. Für die meisten Menschen blieb aber der markante Bus der einzig wahre Träger dieses Namens. 2007 verkaufte Kässbohrer die Rechte endlich an Volkswagen.
Doch obwohl der "Bulli" so vielen Menschen ans Herz gewachsen ist, beginnt seine Geschichte vor 70 Jahren ziemlich ernüchternd: mit diesem simplen Plattenwagen auf VW-Käfer-Basis, den die Mitarbeiter in Wolfsburg entworfen hatten, um schwere Gegenstände durch das Werk zu transportieren.
Bei einem Besuch im Werk in Wolfsburg fällt dem niederländischen Volkswagen-Importeur Ben Pon das seltsame Gefährt auf und es inspiriert ihn zu einem simplen Transportfahrzeug. Er fertigt Zeichnungen an und aus dem Plattenwagen wird der erste VW Bulli.
In den ersten Jahren ist aber noch nichts von dem Kultfaktor zu erkennen, den der VW T1 einmal besitzen wird. Der Bulli wird vor allem ein Erfolg, weil er deutlich billiger ist als die Konkurrenz jener Zeit. 5850 D-Mark kostet er ab Werk, der Tempo Matador beispielsweise ist mehr als 1000 D-Mark teurer. Am 8. März 1950 rollen die ersten T1 vom Band, Ende des Jahres sind es bereits 8000.
Vier Jahre später hat VW schon 100 000 T1 verkauft. Einer der Gründe des Erfolges ist der kleine Bruder des Bullis: Der VW Käfer prägt in den Fünfzigerjahren das Stadtbild in Deutschland. Der T1 wird die ersten Jahre im selben Werk produziert, die Motoren sind identisch. Doch schnell kommt Wolfsburg an seine Grenzen. 1955 zieht Volkswagen innerhalb eines Jahres in Hannover-Stöcking eine eigene Produktionsstätte für den Bulli hoch.
Der zweite Grund für den Erfolg des Bullis ist, dass VW sehr genau auf die Wünsche seiner Kunden reagiert. Es gibt den Transporter bereits von Anfang an in einer Vielzahl von Konfigurationen. Als Pritschenwagen mit einfacher Kabine, als Pritschenwagen mit Doppelkabine, als Kastenwagen, als Kombi mit bis zu neun Sitzplätzen, als Einsatzfahrzeug, als Verkaufswagen mit Hochdach und Seitenklappe und zuletzt als Camping-Ausführung.
Die Kunden nutzen das Angebot vielfältig. "Herrenaustatter, elegante Damenmoden" verkündete beispielsweise der verschnörkelte Schriftzug auf den Fenstern dieses VW Bulli, Baujahr 1957. Sein einziger Besitzer betrieb aus dem Auto heraus eine mobile Schneiderei. Bis weit über seinen Tod hinaus blieb er in Familienbesitz, 2010 schenkten ihn die Hinterbliebenen trotz seines Wertes dem VW Nutzfahrzeuge Oldtimer Archiv. Dort sei er am besten aufgehoben, so ihre Meinung.
Ein unerwartetes Wiedersehen erlebte im letzten Jahr auch der ehemalige Polizeihauptmeister Heinz Scholze. Nach 54 Jahren saß er wieder in dem Bulli mit Radarblitzanlage, in dem er ausgebildet wurde. Für die Autofahrer jener Jahre eine vollkommen neue Erfahrung. "Hier habe ich über Stunden ganz allein auf dem Holzstuhl am Radarmessgerät gesessen und aufgepasst, ob mir ein Raser ins Netz geht. Die waren dann völlig baff, wenn es aus dem Bulli-Heck plötzlich blitzte", erinnert sich Scholze. Vor der ersten Blitzergeneration 1961 ermittelten die Polizeibeamten die Geschwindigkeit mit einer Stoppuhr.
Fünf Jahrzehnte verbrachte der Blitzer-Bulli in Scheunen, bis er im VW-Museum landete. Noch immer gut in Schuss - nach dem Wechsel von Zündkerzen, Batterie und Öl sprang der der T1 aus dem Jahr 1953 direkt wieder an.
Obwohl VW über die Jahrzehnte einiges dafür tat, um den Kult um den Bulli zu schüren, verdankt er seine Beliebtheit aber auch dem Fakt, dass er für viele Fans nur die Basis ihrer eigenen Autoträume bildete - die ganz unterschiedlich ausfallen konnten. Wie hier an zwei Samba-Bussen zu sehen, die beide am gleichen Tag 1954 das Werk in Wolfsburg verließen und nach Jahrzehnten wieder aufeinandertrafen. Der Samba mit 21 Fenstern gilt als das gesuchteteste Modell der sechs Generationen umfassenden Baureihe. Aufgrund seiner Seltenheit erzielen restaurierte Exemplare Preise von bis zu 100 000 Euro. Den T1 links im Bild fand sein Besitzer Andy Morgan in Frankreich in schlechtem Zustand. Er ließ ihn aufwendig restaurieren. Rikki James importierte den anderen Samba (rechts im Bild) 1996 aus Schweden. Jemand hatte ihn dort einfach im Wald stehen lassen.
James' Interpretation seines Bullis sieht allerdings ganz anders aus, als die von Morgan und seinem Produktions-Zwilling. Im Inneren erinnert er an ein amerikanisches Diner der Fünfzigerjahre. 160 000 Kilometer reiste James mit dem Bus quer durch Europa.
Diese Sehnsucht nach der Ferne scheinen übrigens viele Bulli-Fans zu teilen. Nicht ohne Grund bot Volkswagen den Transporter bereits in der ersten Generation in einer Camping-Ausführung an. Cliften Nathaniel, Terence Moses, Stephen Pang, Monica Xavier und Udhaya Kumar machten sich 2017 sogar mit drei Bullis und einem Käfer aus Malaysia auf den Weg nach Europa, um das Heimatland ihrer Autos zu besuchen - und sich gebührend auf dem VW-Oldtimertreffen in Hessisch-Oldendorf feiern zu lassen.
Treffen dieser Art gibt es überall auf der Welt. Offenbar ist der Bulli-Fahrer äußerst gesellig. Das größte von ihnen findet im englischen Malvern statt, das "Busfest", wo sich jährlich 25 000 Besucher versammeln. Die Bulli-Fahrer hier auf dem Bild sind auf dem Weg zum "Midsummer Bulli Festival" auf Fehmarn.
Auf den Treffen der Bulli-Enthusiasten finden sich auch immer wieder Kuriositäten wie diese hier. Äußerlich ein VW T3 Kombi, befindet sich im Heck dieses Bullis der Sechszylinder eines 911 Carrera mit 213 PS. Porsche baute den B32 in den Achtzigerjahren, insgesamt gibt es nur 18 Stück. Mit 145 000 Mark war dieser Renn-Bulli mehr als doppelt so teuer wie ein 911er mit der gleichen Motorisierung.
Während die wahren Bulli-Fans den ersten beiden Baureihen hinterhertrauerten, aktualisierte Volkswagen über die Jahrzehnte immer wieder die T-Reihe. Der Bus verlor seine Rundungen und wurde immer kantiger. Das gefiel nicht jedem. Doch für die gab es eine Alternative.
Von 1957 an produzierte VW in Brasilien zunächst den T1 und dann den T2. 1,12 Millionen Bullis in der Variante "Kombi" verließen das Werk in Anchieta.
2013 endete die Reihe mit der "Last Edition". Das letzte von 1200 Exemplaren kehrte zurück nach Hannover.
Mittlerweile ist der Bulli in der sechsten Generation angekommen. Pardon, 6.1. Der aktuelle Multivan hat mit seinem Urahn nur noch wenig zu tun. Die Digitalisierung hat Einzug gehalten, gleichzeitig war wohl noch kein VW-Bus so luxuriös und variabel. Doch der nächste große Schritt steht bereits an.
2022 soll der VW Bulli elektrisch werden. Wie die Studie ID Buzz zeigt, orientiert sich der Transporter optisch wieder mehr an der ersten Generation und soll es auf eine Reichweite von 600 Kilometern bringen. Ganz neu ist die Idee allerdings nicht.
Seit 1970 wurde in Wolfsburg bereits an alternativen Antrieben geforscht. Zusammen mit dem Stromanbieter RWE entwickelte VW eine 880 Kilogramm schwere Batterie, die innerhalb von fünf Minuten gewechselt werden konnte und eine Reichweite von 85 Kilometern schaffte. 1978 ließen die Berliner Stadtbetriebe sieben dieser Elektro-T2 zu. Durchsetzen konnte sich der Antrieb allerdings nicht. Beim neuen elektrischen Bulli in zwei Jahren dürfte das angesichts der CO₂-Richtlinien der EU ganz anders aussehen.