Steigende Zahl der Rückrufe:Vertrauensfrage für Autohersteller

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2013 hat Toyota die Rückruf-Hitliste in den USA angeführt. In diesem Jahr wird wohl GM sehr weit vorne landen. (Foto: SZ-Grafik)

Toyota, BMW, nun General Motors: Immer mehr Hersteller rufen immer mehr Autos zurück. Schuld daran ist der brutale Wettbewerb der Konzerne untereinander. Dabei bräuchten die Zulieferer nicht noch mehr Druck, sondern mehr Geld und Zeit.

Von Thomas Fromm

Im Grunde war es keine große Sache. Nur eine Handvoll Dollar, mit der General Motors die Katastrophe hätte verhindern können. Genauer gesagt: 90 Cent. 90 Cent pro Auto hätte es vor zehn Jahren gekostet, defekte Zündschlösser auszutauschen. Doch die Manager der amerikanischen Opel-Mutter fanden wohl, dass dies zu teuer war - und warteten erst einmal ab. Und deshalb haben sie heute eine Menge Probleme.

Schwere Unfälle mit mindestens 13 Toten. Manager, die erklären müssen, warum sie nicht früher gehandelt haben. Fast drei Millionen Rückrufe - und ein ziemlich lädiertes Image. 90 Cent können bei einem Konzern, der Milliarden verdient, schon eine Menge ausmachen.

"General Motors ist ein gutes Beispiel", sagt der Autoexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. "Eigentlich hat man das Problem rechtzeitig erkannt. Aber man hat trotzdem nichts unternommen, um Geld zu sparen."

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Bei ihrer Befragung gehen die US-Senatoren nicht zimperlich mit General-Motors-Chefin Mary Barra um: Die tödliche Pannenserie beruhe auf "Täuschung", die Fehler bei GM seien "kriminell" - und Barra wisse "gar nichts über irgendetwas".

Wehe, wenn das Vertrauen schwindet

Es klingt seltsam, aber: Im besten Fall kommt der Konzern mit hohen Schadensersatzzahlungen davon. Im schlimmsten Fall aber wird aus dem Skandal ein veritabler Vertrauensverlust beim Kunden. Und das bedeutet: Absatzeinbruch, vielleicht über Jahre. Als der japanische Weltmarktführer Toyota zwischen 2009 und 2011 mehr als zehn Millionen Fahrzeuge wegen klemmender Gaspedale und rutschender Fußmatten in die Werkstätten zurückholen musste, kostete das nicht nur eine Milliarden-Strafe. Die wichtigste Währung, in der Autokonzerne rechnen, heißt: Vertrauen. Und das Vertrauen war weg.

Dabei ließe sich das Schlimmste vermeiden, wenn die Konzerne rechtzeitig investierten. Nämlich dann, wenn diejenigen, die die Bauteile liefern, ausreichend Zeit und Geld bekämen: die vielen kleinen Zulieferer der großen Automobilindustrie.

"Viele Autozulieferer stehen mit dem Rücken an der Wand und werden von den Herstellern massiv unter Druck gesetzt", sagt Harald Linné von der Münchner Managementberatung Atreus. "Die können oft gar nicht anders, als billig zu produzieren. So kommt alles zusammen: die Gier der Einkäufer und der immer brutalere Konkurrenzdruck." Die Manager der großen Autokonzerne wissen genau, wohin das führen kann: Immer öfter Probleme bei Qualität und Sicherheit, und immer öfter kostspielige Rückrufaktionen.

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Immer mehr Rückrufe

Allein in den USA wurden im vorigen Jahr an die 20,5 Millionen Autos zurückgerufen. Und es sieht nicht so aus, als ob der Trend zurückgehen würde, im Gegenteil: Hyundai-Kia, Fiat Chrysler, Toyota, VW - zuletzt musste BMW Hunderttausende Autos in China zurückrufen. Darunter auch Fahrzeuge der 7er-Reihe. Ausgerechnet die luxuriöse Vorzeige-Limousine - auf einem Boom-Markt voller neureicher Kunden wie China schmerzt das besonders.

Zufall? Oder sind Autos schlechter als früher? Experten sagen: nein. Im Schnitt schneiden die Fahrzeuge der großen Hersteller bei Qualität und Lebensdauer heute sogar um einiges besser ab als früher. Der Motor hält länger, die Karosserie sowieso.

Es sind die kleinen, defekten Teile, die große Auswirkungen haben - und die Unternehmen am Ende Milliarden kosten können. Banalitäten mit Katastrophen-Potenzial: Bei GM war es ein Zündschloss, bei Toyota ein kleines, schwarzes Gaspedal, 300 Gramm schwer, das die Ingenieure vor einigen Jahren verrückt machte. Kleine Elektronikplatinen und Plastikbauteile entscheiden über Schicksale von Konzernen. Deshalb wird es künftig wohl noch viel mehr Rückrufe geben. "Alles muss immer schneller gehen, die Entwicklungszeiten für neue Automodelle werden kürzer", sagt Autoexperte Bratzel. "Das führt dann dazu, dass Autos nicht immer gut getestet sind, bevor sie beim Kunden landen."

Fakt ist: Es wird in der alten Autoindustrie täglich ungemütlicher. Der Wettbewerb steigt, die Technologie wird immer komplizierter. Jeder will der Erste sein, möglichst auf allen Kontinenten. Neulich, es war beim Genfer Autosalon, kündigte VW-Chef Martin Winterkorn ganz nebenbei eine neue Epoche an. Man müsse, so Winterkorn, darüber nachdenken, "ob die üblichen Modellzyklen von sieben bis acht Jahren nicht deutlich kürzer werden müssen". Schneller, besser - und immer komplexer.

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Der Kunde als Testfahrer

Winterkorn gehört auch zu denen, die ihre Leute täglich ermahnen, auf Qualität zu achten. Weil er weiß: VW, der Meister der Massenproduktion, will in den kommenden Jahren zig Millionen Autos auf Basis gleicher Baukästen bauen. Wenn da etwas schief geht, kann ein kleines Bauteil gigantische Modellserien verseuchen. Rückrufe in zweistelliger Millionenhöhe wären die Folge - eine Horrorvision für jeden Vorstand. Dazu kommt: GM, Toyota, VW und Co. produzieren auf vielen Kontinenten. Die Kunst besteht darin, überall die gleiche Qualität zu haben.

Bei Millionen von Rückrufen im Jahr bleibt bei den Kunden so ein böser Verdacht hängen: Sind sie es am Ende selbst, die die Autos der Hersteller testen - in der täglichen Praxis sozusagen? Automanager sprechen daher oft gar nicht so gerne von Rückrufen. Als Toyota vor Jahren Millionen von Autos zurückrufen musste, gab es Manager, die sprachen lieber von einer Art "Kundendienst". Service statt Rückruf, Marketing statt Krisenkommunikation - so lassen sich die Dinge auch dann noch ganz gut verkaufen, wenn es ernst wird. Viele Rückrufe bekommt der Kunde daher oft gar nicht erst mit. "Das wird klammheimlich über turnusmäßige Service-Termine abgewickelt", sagt Bratzel.

© SZ vom 05.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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