Pannenserie bei General Motors:Tödliche Fehlzündung

Mary Barra

GM-Chefin Mary Barra muss sich wegen der Rückrufserie vor dem US-Kongress verantworten.

(Foto: AP)

Millionen Rückrufe, langes Schweigen - und womöglich Hunderte Tote: General-Motors-Chefin Mary Barra muss vor dem US-Kongress erklären, seit wann sie von den gefährlichen Defekten ihrer Autos wusste. Der Konzern schickt vor der Anhörung nochmals 1,3 Millionen Fahrzeuge in die Werkstätten zurück. Ein Überblick.

Von Thomas Harloff und Nakissa Salavati

Bisher bemüht sich Mary Barra, in der Öffentlichkeit alles richtig zu machen. Die Chefin des US-Autokonzerns General-Motors hat sich für die millionenfachen Rückrufe wegen technischer Fehler entschuldigt. Sie hat zugegeben, dass als Folge von Fehlern in der Produktion "schreckliche Dinge passiert" seien. Sie hat eine unabhängige Firma mit internen Untersuchungen beauftragt, ein "detaillierter und ungeschönter Bericht" solle dabei herauskommen, sagt sie. Sie hat auch neuere Modelle zurückgerufen - "vorsichtshalber". Am Montag gab die Firma bislang unbekannte Probleme mit der Servolenkung bekannt - sicherheitshalber rief GM nochmals 1,3 Millionen Fahrzeuge zurück. Diese Mischung aus Demut und Entschlossenheit soll nun auch vor dem US-Kongress und vor dem Rest des Landes funktionieren.

Dort muss Barra am Dienstag eine nationale Unternehmenskatastrophe erklären. Ausgerechnet der Konzern, der 2009 pleite ging, damals Symbol für den Abstieg des industriellen Amerikas, hatte sich anscheinend gerade wieder berappelt. Nach der zwischenzeitlichen Verstaatlichung war er wieder an der Börse, im Januar zahlte er erstmals wieder eine Dividende. Der neuen Chefin wurde viel zugetraut, weit mehr als die herablassende Bezeichnung "car girl" in der männlich dominierten Branche impliziert.

Statt sich an Strategien für die Zukunft zu versuchen, muss ebendiese Mary Barra nun dem zuständigen Ausschuss des Repräsentantenhauses - und damit dem ganzen Land - erklären, seit wann sie wusste, dass Zündungen mehrerer Auto-Modelle defekt sind. Die Abgeordneten sollen außerdem klären, ob der Konzern früher hätte reagieren müssen und ob die Aufsichtsbehörden die Probleme schlicht übersehen haben.

Laut Manuskript der Stellungnahme, das bereits jetzt vorliegt, wird sich Barra nochmals entschuldigen und Transparenz versprechen. "Ich, die hier sitze, kann ihnen heute nicht erklären, warum es Jahre brauchte, bis der Sicherheitsmangel veröffentlicht wurde. (...) Aber ich kann ihnen versichern, dass wir es herausfinden werden."

Die technischen Probleme

Grund für den Riesen-Rückruf sind defekte Zündschlösser. Während der Fahrt kann das Zündschloss in die "Aus"-Position springen. Dann funktionieren Sicherheitssysteme wie Servolenkung, Bremskraftverstärker oder Airbag nicht mehr. Das kann zu schweren Unfällen führen. Eine Fahrt über holprige Straßen oder ein an einem schweren Schlüsselbund befestigter Autoschlüssel kann das Problem verstärken.

Die Folgen

General Motors geht derzeit von 34 Unfällen aus, bei denen zwölf Menschen tödlich verunglückt sind. Die US-Verbraucherschutzorganisation Center for Auto Safety (CAS) bringt sogar 303 Verkehrstote mit den fehlerhaften Teilen in Verbindung.

Die Rückrufe

Seit Jahresbeginn musste General Motors mehrere Millionen Autos wegen verschiedenster Probleme in die Werkstätten rufen. In den meisten Fahrzeugen, etwa 2,6 Millionen, sind die defekten Zündschlösser verbaut. Der Rückruf wurde immer mehr ausgeweitet. Mitte Februar ging es um 800 000 Autos der Baujahre 2003 bis 2007 bei den Marken Chevrolet, Pontiac und Saturn. Sie wurden vor allem in den USA, Kanada und Mexiko verkauft. Einen Monat später mussten noch einmal ähnlich viele Fahrzeuge dieser Marken hinzugezählt werden. Am späten Freitagabend folgte der Rückruf weiterer 971 000 Autos der Modelljahre 2008 bis 2011. Am Montag kündigte das Unternehmen schließlich an, 1,3 Millionen Fahrzeuge zur Überprüfung in die Werkstatt zu rufen - es soll sich aber um Modelle handeln, die bereits von den 2,3 Millionen Rückrufen betroffen sind. Die von der Rückrufwelle erfassten Autos sind die Typen Chevrolet Cobalt und HHR, Pontiac Solstice, G5 und G6 sowie den Saturn Sky.

Die deutsche GM-Tochter Opel ist von dem Rückruf ebenfalls betroffen, wenn auch in viel geringem Ausmaß. 7450 Exemplare des zwischen 2007 und 2010 verkauften Opel GT, der baugleich mit dem Pontiac Solstice und dem Saturn Sky ist, müssen zurück in die Werkstätten.

Die Reaktion

Nachdem Barra am 31. Januar 2014 erstmals von GM-Sicherheitsexperten über eine mögliche Verbindung von Unfällen und fehlerhaften Zündschlössern informiert worden sei, habe sie direkt Rückrufe gestartet und zur Krisenbewältigung eine Art Notfallkommando aus Topmanagern gegründet, schreibt die New York Times unter Berufung auf informierte Personen. Kritiker allerdings fragen: Wie soll Barra ahnungslos geblieben sein - während sie mehr als 30 Jahre im Konzern und zuletzt als Chefin der Produktentwicklung gearbeitet hat? GM sagt, Topmanager hätten mit einigen Abläufen nichts zu tun, inklusive Sicherheitsprüfungen.

Die Mitarbeiter

Andere hingegen sollen sehr wohl etwas gewusst haben: Einem Papier des Konzerns zufolge war Mitarbeitern bereits in den frühen 2000er-Jahren bekannt, dass Zündschlösser fehlerhaft waren und sich Airbags während eines Unfalls nicht öffneten. Auch dass das eine mit dem anderen zu tun haben könnte, soll einigen Mitarbeitern und dem Zulieferer Delphi bewusst gewesen sein. Delphi erklärte in einer Stellungnahme für den US-Kongress, dass der Autobauer die im Zentrum der Affäre stehenden Zündschlösser 2002 genehmigt habe, obwohl sie nicht alle Vorgaben des Konzerns erfüllt hätten. Warum sich GM so verhalten habe, sei unklar, sagte ein Berater des zuständigen Ausschusses im Repräsentantenhaus.

Wie die amerikanische Internetseite Automotive News unter Berufung auf einen früheren GM-Ingenieur berichtet, konstruierten Mitarbeiter das Zündschloss zwischenzeitlich neu und hätten das verbesserte Teil bereits von 2007 an in die Autos eingebaut. Allerdings gaben sie dem neuen Zündschloss keine andere Teilenummer. Werkstätten bestellten danach 95 000 Exemplare des neuen Zündschlosses, 90 000 wurden in fehlerhafte Autos eingebaut. Allerdings lässt sich aufgrund der Teilenummer-Problematik nun nicht mehr nachvollziehen, ob in diesen Fällen fehlerhafte oder unkritische Zündschlösser eingebaut wurden. Das sei der Grund, warum GM am Freitag gleich so viele Autos zurückgerufen habe.

Die Verkehrsaufsicht

Doch nicht nur im Konzern ist einiges schief gelaufen, auch die US-Bundesbehörde für Straßensicherheit NHTSA soll untätig geblieben sein. Obwohl Mitarbeiter der Behörde bereits 2007 darauf hinwiesen, dass fehlerhafte Zündschlösser mit Unfällen zusammenhängen könnten, sei kein Untersuchungsverfahren eröffnet worden. 2010 hätte es noch mehr Hinweise gegeben - auch zu diesem Zeitpunkt unternahm die Behörde nichts. Das geht aus einer Aktennotiz hervor. In elf Jahren seien 260 Beschwerden von Autofahrern über defekte Zündschlösser bei GM-Modellen eingegangen, schreibt die New York Times.

Die Konsequenzen

Auf General Motors rollt nun eine Welle an Zivilklagen zu. In Kalifornien verklagt eine Frau den Konzern auf 350 Millionen US-Dollar Schadenersatz. Außerdem erwägen die Familienangehörigen zweier Todesopfer, eine schon vor Jahren getroffene Einigung mit GM anzufechten. Weitere Klagen sind zu erwarten, auch von Autobesitzern, die nun den Wert ihrer Fahrzeuge geschmälert sehen.

Der Fall Toyota von 2009/10 zeigt, was GM drohen könnte. Damals musste Toyota weltweit rund acht Millionen Fahrzeugen zurückrufen. Nicht ausreichend befestigte Fußmatten konnten sich mit den Pedalen verhaken. Zudem klemmten immer wieder Gaspedale. Daraufhin mussten sich die Japaner vor dem US-Kongress verantworten. Erst nach langem Hin und Her einigte sich der Autobauer mit den US-Ermittlern und verpflichtete sich, 1,2 Milliarden Dollar Entschädigung an die betroffenen Besitzer zu zahlen - so viel wie kein Autohersteller zuvor. Zudem musste Toyota einräumen, seine Kunden bewusst getäuscht zu haben. Der Imageschaden war immens, die Japaner verloren zwischenzeitlich ihren Status als weltgrößter Autohersteller. Das immerhin kann General Motors nicht mehr passieren, den Spitzenplatz haben die Amerikaner bereits 2007 abgegeben - an Toyota.

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