Für die Hauptstadt glich die Nachricht einer kleinen Sensation. Laut einer Studie der TU Dresden legten die Berliner im Jahre 2013 erstmals mehr Strecken zu Fuß zurück als mit dem Auto. "Damit ist in keiner anderen deutschen Großstadt der Anteil der Autos am Verkehr so gering wie in Berlin", rühmte sich der Senat kürzlich in einer Pressemitteilung. Demnach gaben 31 Prozent der Befragten an, überwiegend zu Fuß unterwegs zu sein. Das Auto (30 Prozent) steht an zweiter Stelle, gefolgt vom öffentlichen Nahverkehr (26 Prozent) und dem Fahrrad (13 Prozent).
Berliner Politiker beteuern, die Erkenntnisse im Zusammenhang mit künftigen Entscheidungen zu berücksichtigen. Das könnte vieles bedeuten: breitere Gehsteige, sicherere Überwege, ein hartes Vorgehen gegen motorisierte Rowdys. Oder aber: weiter wie bisher. Spricht man mit Heinrich Strößenreuther, bekommt man nämlich den Eindruck, dass sich die Lage für Fußgänger landesweit kaum verbessert - trotz aller Beteuerungen.
Frontscheibenkameras:Ungetrübter Blick nach vorn
Dashcams können Beweisvideos liefern - oder voyeuristisches Verhalten im Straßenverkehr fördern.
Kampagne gegen Falschparken
Strößenreuther hat im vergangenen Jahr die Initiative gegen das Zuparken ins Leben gerufen, eine Kampagne, die darauf zielt, Falschparken stärker zu ahnden. Strößenreuther hält zugeparkte Straßenecken für gefährlich, weil dadurch der Blick auf Bürgersteige verdeckt wird. Kinder könnten folglich leicht übersehen werden, ebenso wie Eltern mit Kinderwagen. "Wenn die nicht mehr durchkommen, müssen sie auf die Straße ausweichen", klagt Strößenreuther. Dann werde es "richtig gefährlich".
Während die Insassen von Personenwagen durch verstärkte Rahmen, Gurtstraffer und Airbags immer sicherer unterwegs sind, haben Fußgänger - nichts. 524 von ihnen kamen in Deutschland im vergangenen Jahr ums Leben. Das ist deutlich weniger als zehn Jahre zuvor (838 Tote), aber immer noch ein erschreckend hoher Wert. Mit einem innerstädtischen Tempolimit von 30 km/h könnte die Zahl der Toten womöglich reduziert werden. Doch ein solches Gesetz, wie es der Fußgänger-Verband Fuss e.V. seit Jahren fordert, hat in Deutschland keine Chance. Auch die Jagd auf Falschparker scheint nicht so recht in die Gänge zu kommen.
Die entsprechende Petition haben nur 8000 Personen unterzeichnet. Die eigens entwickelte "Wegeheld"-App, mit der die Verkehrssünder den zuständigen Ordnungsämtern gemeldet werden können, wurde nur 35 000-mal heruntergeladen. Andererseits weiß auch die Autoindustrie, dass stählerne Rammböcke schlecht fürs Image sind, zumal Crashtests wie der Euro NCAP die Kriterien für den Fußgängerschutz allmählich verschärfen.
Wie gut aktuelle Assistenzsysteme sind, wird etwa von der Bundesanstalt für Straßenwesen (Bast) in Bergisch-Gladbach getestet. Die Prüfer simulieren in der Versuchsanlage allerlei Szenarien, die im Alltag passieren können. Zum Beispiel, dass ein Kind - dargestellt durch einen Ein-Meter-Dummy - ohne Vorwarnung hinter einem Auto hervortritt und auf die Straße läuft. "Die Notbremsassistenten werden immer besser", erzählt ein Bast-Mitarbeiter. Bei einer Geschwindigkeit von bis zu 30 km/h sei es damit heute schon möglich, rechtzeitig vor einem Hindernis zum Stehen zu kommen. Und bei schnellerem Tempo? "Hat bis jetzt jedes Auto den Dummy umgefahren."
Autofahren im Alter:Umstrittener Senioren-TÜV
Zwangstests für ältere Verkehrsteilnehmer sorgen seit Jahren für hitzige Diskussionen. Dabei sind viele Senioren bereit, sich freiwillig untersuchen zu lassen. Doch sie finden oft nicht das richtige Angebot.
Wenn Zusammenstöße schon unvermeidbar sind, so lassen sie sich wenigstens abmildern. Wie, das hat Volvo vor drei Jahren der erstaunten Öffentlichkeit vorgeführt. Damals präsentierte der schwedische Autohersteller den ersten Fußgänger-Airbag. Bei einer Kollision entfaltet sich der Luftsack und verhindert dadurch, dass eine Person mit voller Wucht gegen die Frontscheibe prallt. Selbst bei SUVs lässt sich die Technik installieren, wie das aktuelle Modell des Land Rover Discovery Sport beweist. Allerdings kosten solche Sicherheitssysteme bei den meisten Herstellern happigen Aufpreis. Dass die Kunden bei Notbremsassistenten mit Fußgänger-Erkennung zurückhaltend sind, überrascht also kaum.
Scheitert ein besserer Schutz am Geiz der Autohersteller?
So manche Innovation schlummert in der Schublade, weil ihre Umsetzung aus Sicht der Autoindustrie schlicht zu teuer wäre. So haben Studenten der TU Berlin einen Fußgänger-Airbag entwickelt, der beim sogenannten Sekundäraufprall zum Einsatz kommt. Er funktioniert so: Nachdem ein Unfallopfer gegen die Motorhaube geprallt ist, wird es zurückgeschleudert und schlägt auf dem Asphalt auf. Der neue Airbag würde genau das verhindern, indem er blitzschnell unter der Stoßstange hervorschießt - wie eine Turnmatte, nur weicher. "Wir haben unsere Idee schon mehreren Herstellern vorgetragen", erzählt Student Stellan Teply. "Die Antwort war immer dieselbe - zu teuer." 80 bis 90 Euro, schätzt Teply, würde der Airbag pro Fahrzeug kosten. "In der Industrie kalkuliert man aber mit Cent-Beträgen."
Scheitert ein besserer Fußgängerschutz also am Geiz der Konzerne? André Seeck, Präsident des Euro-NCAP-Crashtests, widerspricht. "Man muss bedenken, dass solche Entwicklungen enorme Summen kosten", sagt Seeck. "Da ist es verständlich, dass die Hersteller einen Aufpreis dafür verlangen." Trotzdem, beteuert er, habe sich der Fußgängerschutz in den vergangenen Jahren stetig verbessert - nicht zuletzt durch strengere Crashtest-Kriterien. So wird von 2016 an die Fußgänger-Erkennung bei Notbremsassistenten erstmals mitbewertet.