Senioren im Straßenverkehr:Denn sie wissen, was sie tun

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Ältere Verkehrsteilnehmer sind sichere Autofahrer. Allerdings müssen sie über eine realistische Selbsteinschätzung verfügen. Technische Hilfsmittel könnten in Zukunft dafür sorgen, dass Senioren noch sicherer unterwegs sind.

Marion Zellner

Es löst oft heftige öffentliche Reaktionen aus, wenn ein schwerer, gar tödlicher Unfall gemeldet wird, den ein älterer Autofahrer verursacht hat: Die Alten am Steuer seien ein massives Risiko für alle anderen Verkehrsteilnehmer, ist da zu hören. Oder: Ohne verpflichtende Gesundheitschecks dürfe man Senioren nicht mehr hinters Steuer lassen. Doch die Realität sieht anders aus: Der schlechte Ruf älterer Autofahrer ist nicht berechtigt, zeigte die Diskussion des Verkehrsparlaments der Süddeutschen Zeitung mit dem Thema "Senioren mobil und sicher - Anspruch, Verantwortung, Hilfe, Regelungen" anlässlich der Eröffnung der Auto Mobil International (AMI) in Leipzig.

Die Älteren sind kein Risikofaktor", stellt Unfallforscher Klaus Langwieder unumwunden fest. Als Beleg führt der Professor ihre niedrige Beteiligung an Unfällen im Straßenverkehr an. Denn Frauen und Männer im Alter von mehr als 65 Jahren machen zwar etwa 20 Prozent der gesamten Bevölkerung in Deutschland aus, sind aber nur in zehn Prozent aller Unfälle verwickelt.

Doch warum werden immer wieder Bilder vom gefährlichen Greis am Lenkrad und der demografische Wandel als Schreckensszenario für die Verkehrssicherheit heraufbeschworen? Kritiker nennen in diesem Zusammenhang einen Sachverhalt als Beweis: je älter der Autofahrer, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass er schuld am Unfall ist. Das stimmt: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren das im Jahr 2010 bei den über 75-Jährigen drei von vier unfallbeteiligten Autofahrern. Unterschlagen wird dabei aber oft, dass die Schwere und auch die Häufigkeit der Verkehrsunfälle deutlich geringer sind als bei allen anderen Altersgruppen. "Der demografische Wandel ist schon voll im Gange", sagt Ulrich Chiellino, Verkehrspsychologe beim ADAC. Und dennoch habe sich nichts zum Negativen entwickelt. Zur objektiven Beurteilung helfe eben auch einmal der "Blick zurück", meint Chiellino.

Unbestritten ist aber auch, dass die ältere Generation ganz typische Unfälle verursacht, die meist mit körperlichen Leistungseinbußen zu erklären sind: Ältere sehen schlechter, Gedächtnis, Reaktionsvermögen und Aufmerksamkeit lassen nach sowie die Beweglichkeit. Am häufigsten werden deshalb Fehler bei komplexen Situationen im Straßenverkehr, etwa der Vorfahrt und beim Abbiegen, gemacht. So gut wie gar nicht tauchen bei Senioren Fehler beim Überholen oder Alkoholeinfluss als Unfallgründe auf. Um die im Alter kritisch werdenden Situationen besser und gefahrloser meistern zu können, gibt es nach Ansicht der Experten zwei Aspekte: den gesundheitlichen und den technischen.

Die Vorbeugung ist nicht bei allen gut", gesteht Georg Eckinger ein. Der 76-Jährige aus Delitsch bei Leipzig arbeitete jahrzehntelang als Fahrlehrer und weiß um seine eigene und die Situation seiner Altersgenossen. Dabei wäre für Senioren der Hausarzt der perfekte Ansprechpartner für die persönliche Kontrolle. Er rät - auch aus eigener Erfahrung - regelmäßig die Sehkraft überprüfen zu lassen. Denn nur wenn jemand seinen aktuellen Gesundheitszustand wirklich kenne, könne er guten Gewissens darüber entscheiden, ob er wirklich noch jede Strecke mit dem Auto zurücklegen müsse. Vorgeschriebene Checks lehnt Eckinger allerdings ab, für ihn zählt die Eigenverantwortung.

Unterstützt wird er dabei von Hardy Holte von der Bundesanstalt für Straßenwesen (Bast): "Für Gesundheitschecks gibt es keine wissenschaftliche Grundlage." Sie würden sogar das Gegenteil bewirken. In Dänemark, wo ab einem Alter von 70 Jahren ein Gesundheits- und Leistungscheck vorgeschrieben ist, hat nun eine Studie belegt, dass seit der Einführung deutlich mehr Senioren im Straßenverkehr tödlich verunglücken. Der Grund: Dadurch sind mehr Ältere gezwungen, vom Auto aufs Fahrrad umzusteigen oder zu Fuß zu gehen. "Damit steigt ihre Verletzlichkeit spürbar", erläutert Holte. Und auch in den Niederlanden überlegt man, die Untersuchungen für Senioren wegen dieser negativen Konsequenzen wieder abzuschaffen.

Ärzte müssen aktiver werden

Eine effizientere Vorsorge gäbe es nach Expertenmeinung durch spezielle Informationen von Medizinern. Allerdings müssten dabei auch die Ärzte selbst aktiver werden. So vermisst etwa Klaus Schütte vom sächsischen Innenministerium Broschüren im Wartezimmer über Verkehrssicherheit. "Der Ort wäre perfekt, denn ältere Frauen und Männer sind sowieso öfter bei ihrem Arzt und Zeit hätte man dort auch." Zumal der Hausarzt meist über sicherheitsrelevante Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes oder Parkinson in aller Regel Bescheid weiß und entsprechend beratend, auch zu Risiken von Medikamenten, auf seinen Patienten einwirken könnte. Hilfreich wäre nach Meinung von Unfallforscher Klaus Langwieder dabei eine Art "Checkliste für Verkehrsmedizin". Denn dadurch sei eine kontrollierte Beratungsfunktion des Arztes auch für den Patienten gewährleistet.

Neben den gesundheitlichen Aspekten spielt auch die immer ausgereiftere Technik im Auto eine wichtige Rolle, altersbedingte Defizite positiv zu beeinflussen. "Technische Hilfen im Auto haben in Japan Tradition, denn dort fahren viele alte Menschen Auto", sagt Dirk Breuer von Toyota Deutschland. Angefangen hat es mit großen Rückspiegeln für gute Sicht nach hinten und ging weiter bis zu praktischen Parkpiepsern. Und die Entwicklung ist schon länger so weit, dass ein Tempomat den Abstand zum vorderen Wagen automatisch einhält oder ein Spurwechselassistent gegen die Gefahr des toten Winkels hilft. Derartige Systeme hält auch Verkehrspsychologe Chiellino für sinnvoll, doch "ihre Akzeptanz steht und fällt mit der Bedienbarkeit". Und mit ihrem Bekanntheitsgrad. Laut einer Studie kennen 70 Prozent der über 65-Jährigen die meisten Systeme gar nicht. Auch weil bei der Verkaufsberatung nach Einschätzung von Unfallforscher Langwieder "zu wenig darauf hingewiesen" werde.

Dass Senioren trotz altersbedingter Einschränkungen "keine tickenden Zeitbomben" auf deutschen Straßen sind, liegt auch daran, dass sie, wie Schütte sagt "besonders sicherheitsorientiert" sind: Sie fahren oft nicht mehr nachts und bei schlechtem Wetter, meiden unbekannte und lange Strecken. Dennoch ist es für viele unvorstellbar, ganz auf das Auto zu verzichten.

Und doch sollten sich auch eingefleischte Autofahrer der älteren Generation mit anderen Verkehrsmitteln frühzeitig vertraut machen. Denn wird ein Autofahrer plötzlich zum Fußgänger, "begeht er einen Rollenwechsel", so Hardy Holte von der Bast. Die Konflikte, denen ein Fußgänger ausgesetzt ist, sind ihm fremd, was eine "erhebliche Gefährdung" bedeuten könne. Und zudem sei es auch kein Zeichen von "Selbstaufgabe, einmal mit dem Zug zu fahren", meint Verkehrspsychologe Chiellino.

Mit kritischer Selbstbetrachtung bei den Senioren, einer positiven Einstellung zum demografischen Wandel in der gesamten Gesellschaft und grundsätzlich rücksichtsvollem Ungang zwischen Alt und Jung im Straßenverkehr sehen die Experten die Chancen gut, älteren Menschen die Mobilität nicht nur so lange wie möglich zu erhalten, sondern die Zeit sogar zu verlängern.

© SZ vom 11.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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