Mobil im Alter:Führerschein für den Rollator

Lesezeit: 4 min

Der richtigen Umgang mit dem Rollator sollte geübt werden. (Foto: Sina Schuldt/picture alliance/dpa)

Bremsen, kippen, Ausfallschritt: All das kann man in speziellen Kursen lernen. Besuch bei einem Sicherheitstraining.

Von Joachim Göres

Auch mit 93 Jahren kann man sich noch über eine bestandene Fahrprüfung freuen. Bei Ilse Dumsch ist das gerade der Fall. Sie hat ihre Fahrprüfung bestanden und hält jetzt ihren Führerschein in den Händen - allerdings den für den Rollator. Gerade hat sie Rollator-Sicherheitstraining in der Seniorenresidenz Arnum in der Nähe von Hannover absolviert. Nun ist sie fit für die Runden mit dem Rollator.

Die Übungen für das Training hat die Ergotherapeutin Betina Kerzel zusammengestellt. Los geht es für die sieben Frauen und zwei Männer mit einer Runde Rollatorfahren auf dem großen Platz vor dem Altenheim. Kerzel beobachtet die Bewohner zunächst beim Umgang mit dem Gefährt, ruft kurz darauf alle zu sich und fordert sie auf, ihre Arme locker an den Seiten hängen zu lassen. Wenn sich dann die Hände auf der Höhe des Rollatorlenkers befinden, hat der Lenker die richtige Position. Das ist aber nur bei zwei Teilnehmerinnen der Fall - bei den anderen ist der Lenker viel zu hoch eingestellt. Kerzel justiert also nach.

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Ähnlich läuft es anschließend bei den Bremsen. Kerzel fordert die Senioren auf, die Bremsen anzuziehen und gleichzeitig ihr Gefährt vorwärts zu schieben. Die Hinterräder müssten dann blockieren, was aber bei drei Modellen nicht der Fall ist. Die Trainerin markiert die Rollatoren mit bunten Klebepunkten - später wird sie sich darum kümmern, dass die Mängel behoben werden.

In einer alternden Gesellschaft gehören auch Frauen und Männer mit Rollatoren mehr und mehr zum Verkehrsalltag. Doch den richtigen Umgang damit beherrscht nicht jeder oder jede sofort und auf Anhieb. Deshalb bieten unter anderem die Deutsche Verkehrswacht und andere Organisatoren spezielle Trainings an. "Ich bin seit gut zwei Jahren auf den Rollator angewiesen", sagt die 93-jährige Ilse Dumsch. "Jeden Tag bin ich damit im Dorf unterwegs." Der Rollator sei eine große Hilfe, um mobil zu bleiben.

"Eine Hand immer am Rollator"

Den sicheren Umgang damit allerdings will sie in dem Kurs in ihrer Seniorenresidenz lernen. Trainerin Kerzel übt mit den Senioren unter anderem das sichere Hinsetzen und Aufstehen ("eine Hand immer am Rollator lassen, die Bremsen feststellen", sagt sie). Anschließend trainieren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Überwinden einer hohen Bordsteinkante. Kerzel macht's vor: Zunächst schiebt man den Rollator dran bis direkt an die Bordsteinkante, dann macht man einen Ausfallschritt, betätigt die Bremse. Dann den Rollator leicht zu sich ziehen und ihn so kippen, dass die Vorderräder in der Luft sind, die Bremse lösen und die Vorderräder auf den Gehweg aufsetzen; schließlich noch die hinteren Räder hinterherschieben.

Das sind viele einzelne Schritte, das räumt auch Kerzel ein. Jeder der Teilnehmer muss sich intensiv konzentrieren, die Bewegungen müssen koordiniert werden - das ist nicht einfach. So manch einer verwechselt mitunter auch mal das kurze Betätigen der Bremsen mit dem Feststellen der Bremsen.

Hinzu kommt: Wer schon lange Zeit mit einem Rollator auf Achse ist, für den ist es mitunter gar nicht so einfach, bestimmte Fahrgewohnheiten aufzugeben. Einige ziehen es vor, den Rollator hochzuheben statt ihn zu kippen - da hilft auch nicht das Argument, dass ein vom Einkauf vollbeladener Rollator vermutlich zu schwer zum Anheben wäre und es beim Versuch auch mal schnell zu einem Sturz kommen könnte. Kerzel und zwei Helfer lassen hintereinander jede Person einzeln die Übung absolvieren und stehen direkt daneben, um bei Bedarf Hilfestellung geben zu können.

Krankenkassen zahlen nur bestimmte Modelle

Und: Nicht jeder Rollator ist gleich. Die Stiftung Warentest hatte 2019 insgesamt zwölf Modelle genauer unter die Lupe genommen - und dabei deutliche Unterschiede festgestellt: etwa bei der Ausstattung (Ankipphilfe, Rückengurt und Reflektoren sind nicht immer Standard) und beim Gewicht, das zwischen etwa sechs und 10,2 Kilogramm variierte. Auch bei den Rahmenmaterialien (Karbon, Aluminium oder Stahl) gab es Unterschiede - und natürlich beim Preis. Günstige Rollatoren waren schon für 60 Euro zu bekommen, die teureren Modelle lagen bei mehr als 530 Euro.

Hinzu kommt: Krankenkassen bewilligen nach Angaben der Stiftung Warentest bei Vorlage eines Arztrezeptes oft nur die günstigeren Standard-Rollatoren, deren Rahmen aus Stahl gefertigt sind und damit besonders viel wiegen. Sie lassen sich nach dem Urteil der Tester wegen ihres sperrigen Faltmechanismus nur schwer zusammenklappen und es besteht die Gefahr, sich dabei zu verletzen. Auch sind sie für die Nutzung im Freien kaum geeignet. Bei den Modellen unter 100 Euro fehlen zudem meist Ankipphilfen (die wegen des hohen Gewichts wichtig wären) wie auch Rückengurte.

Leichte Rollatoren werden dagegen von den meisten Krankenkassen nur dann voll bezahlt, wenn auf dem Rezept eine medizinische Indikation vermerkt ist, zum Beispiel wegen Kraftlosigkeit in den Armen. Ohne eine solche Indikation übernehmen die Kassen oft nur die sogenannte Versorgungspauschale, die in etwa dem Preis eines günstigen Modells entspricht - den Differenzbetrag zu einem teureren und besser ausgestatteten Modell muss man selbst tragen.

Parcours mit Wassereimern

Beim Training in der Seniorenresidenz müssen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nun eine Art Parcours bewältigen, den Kerzel aufgebaut hat. Im Slalom müssen sie mit ihrem Rollator an Wassereimern vorbeifahren, die im Abstand von etwa einem Meter auf dem Boden stehen. Zudem gilt es, eine Holzpalette zu überwinden, einen in Wellen liegenden Teppich ohne Stolpern zu passieren sowie kleinere Bodenschwellen ohne Berührung hinter sich zu lassen. Das klappt mal besser, mal nicht ganz so gut.

Einige Senioren gehen stark vorgebeugt mit ihrem Rollator, andere haben ihre Füße nicht zwischen den Rädern. Mancher blickt auf den Boden und nicht auf den Verkehr, Unebenheiten werden leicht unterschätzt; einige vergessen auch, die Bremse festzustellen, wenn sie sich setzen. Trainerin Kerzel spricht die typischen Fehler an und zeigt, wie man es besser machen kann. Die Kurse in der Seniorenresidenz jedenfalls seien immer ausgebucht.

Ilse Dumsch zieht am Ende ein positives Fazit. "Das Training war gut", sagt sie. So habe die Trainerin sie unter anderem darauf aufmerksam gemacht, dass eine ihrer Bremsen nicht richtig funktioniert habe. "Auch beim Fahren kann man schnell viel falsch machen", sagt die Seniorin. Nun aber sei sie gerüstet. "Ich fühle mich jetzt sicherer."

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