Öffentlicher Nahverkehr:Steht der Fahrkartenautomat vor dem Aus?

Fahrkartenautomat der Deutschen Bahn

Bald ein Relikt aus vergangenen Zeiten? Ein Fahrkartenautomat der Deutschen Bahn.

(Foto: dpa)
  • Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) wünscht sich ein komplett neues Ticket-System für den öffentlichen Nahverkehr.
  • Es soll völlig bargeldlos funktionieren und vollkommen digital funktionieren; die Abrechnung soll kilometergenau erfolgen.
  • Erste Pilotprojekte laufen bereits - und zeigen Vor- und Nachteile eines solchen Tarifsystems.

Von Marco Völklein

Vor ein paar Wochen verkündete Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) seine Vision für den öffentlichen Nahverkehr. Bargeldlos soll die Benutzung von Bussen und Bahnen laufen. Und ohne den ganzen Papierkram. Fahrscheine kommen direkt aufs Smartphone und nicht mehr aus dem Automaten. Zudem solle ein Berliner, wenn er in Stuttgart zu Gast ist, sein Ticket für die Stadtbahn über dieselbe Smartphone-App kaufen können, über die er auch in Berlin den Fahrschein löst. Alles digitalisiert, alles vernetzt - das ist Dobrindts Ziel. Bis 2019 sollen Papierfahrkarten im Nahverkehr in nahezu allen deutschen Städten überflüssig werden.

Tatsächlich stellt die Digitalisierung die Branche vor große Herausforderungen. Seit Jahrzehnten sind Busse und Bahnen ein regionales Geschäft: Meist organisieren kommunale Verkehrsbetriebe oder von der öffentlichen Hand beauftragte Privatfirmen den Betrieb; das Tarifsystem wiederum entwickelten und pflegten regional ausgerichtete Verkehrsverbünde. Politische Entscheidungsträger sitzen in den Aufsichtsgremien der Unternehmen.

Mit der Digitalisierung aber wird vieles anders. Mobilitätsplattformen und Anbieter wie Google drängen in die regionalen Märkte. Gerne würden sie nicht nur Fahrplanauskünfte erteilen, sondern auch Tickets verkaufen. Mehr noch: Sie könnten den Nutzern auch ganz neue Tarifsysteme anbieten, etwa eine kilometergenaue Abrechnung einer Fahrt per Smartphone. Technisch ist ein solcher Gegenentwurf zu den bisher in den meisten Verbünden angewandten Flächentarifen keine Hexerei mehr. Noch aber dominieren dort Waben, Zonen und Ringe die Tarife. Und noch schützt der Gesetzgeber dieses Modell.

Doch mancher in der Branche ahnt, dass diese kommode Situation ein Ende haben könnte. So nähmen die "Liberalisierungstendenzen" in der Politik stark zu, heißt es beim Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) in Berlin. In der kommenden Legislaturperiode könnten die Weichen neu gestellt werden - ähnlich wie im Taxigewerbe, wo Fahrdienste-Anbieter wie Uber seit Längerem für eine Lockerung der strengen Regeln plädieren. "Wir müssen sehen, dass wir auch in Zukunft das Geschäft bestimmen", heißt es beim VDV. Bevor es Google und Co. wegschnappen.

Frankfurt testet eine neue Tarifstruktur

Gespannt verfolgt die Branche daher einen Großversuch, der seit April 2016 in Frankfurt läuft. Dort testet der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) einen Entfernungstarif, der den Fahrpreis nach der zurückgelegten Strecke bemisst. Bei "RMVsmart" werden von 15 000 Testkunden Einzelfahrten per Smartphone erfasst und individuell abgerechnet. Kassiert wird je Fahrt ein Grundpreis von 1,69 Euro, hinzu kommen für Regionalzüge sowie S- und U-Bahnen Kilometerpreise: im enger getakteten Netz im Großraum Frankfurt 22 Cent je Kilometer, im restlichen RMV-Gebiet elf Cent. Wer Bus und Straßenbahn nutzt, zahlt einen Pauschalpreis je nach Größe der durchfahrenen Städte.

Der RMV will damit nicht nur bei der Digitalisierung vorankommen. Vielmehr versuchen die Planer, weitere Probleme zu lösen, die sich über die Jahre aufgetürmt haben. So klagen Fahrgäste wie Politiker immer wieder über teils horrende Preissprünge an den jeweiligen Zonengrenzen. Bei seiner Gründung vor 20 Jahren wurde der Verbund in Waben aufgeteilt, die sich in etwa an den Stadt- und Kreisgrenzen orientierten. Das bildete damals die Nutzung von Bussen und Bahnen ab. Mittlerweile aber legen immer mehr Pendler immer längere Strecken zurück - und beschweren sich über die Preissprünge, die anfallen, wenn sie eine weitere Wabengrenze passieren.

Das Problem kennen nicht nur die Frankfurter. "Das gibt es in fast allen Verbünden", sagt Sven Hirschler vom RMV. Denn fast jeder Verbund ist ähnlich entstanden wie die Frankfurter. So tüftelt beispielsweise der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) seit geraumer Zeit an einer grundlegend neuen Tarifsystematik.

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