Luxus-Reisezüge:Ossi trifft Wessi

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Der Trans Europ Express (im Hintergrund) fuhr von Westdeutschland aus ins Ausland und wurde zu einer Stilikone der Wirtschaftswunderzeit. (Foto: Uwe Niklas)

Nach dem Zweiten Weltkrieg schickten die Bahnen in beiden Teilen Deutschlands Luxus-Reisezüge auf die Schienen. Die Fahrzeuge entwickelten sich zu Legenden - nun sind sie im Museum vereint.

Von Marco Völklein

Michael Kawinkel ist schon lange bei der Eisenbahn. Seit 1973, um genau zu sein. Er hat viel erlebt, sagt der heute 61-Jährige. "Aber dass jemand in die Werkstatt rennt, um eine pünktliche Abfahrt zu gewährleisten - das gibt es heute nicht mehr." Damals allerdings, im Bahnbetriebswerk Karlshorst, wo Kawinkel in den Siebzigerjahren gearbeitet hat, da hätten die Leute solches Engagement gezeigt. Es sei ja schließlich auch um einen ganz besonderen Zug gegangen, sagt Kawinkel. "Das war der Renommierzug der DDR." Auf den war nicht nur die Staatsführung stolz. "Wir Eisenbahner waren es auch."

In den Fünfziger- und Sechzigerjahren träumten viele Eisenbahner in Ost und West davon, Reisende schnell und komfortabel auch über weite Strecken zu transportieren, wenn möglich auch über Grenzen hinweg. Im Westen entstand, vorangetrieben zunächst von der niederländischen Staatsbahn, der legendäre TEE, der Trans Europ Express. In Frankreich und der Schweiz, in Italien, den Benelux-Staaten und auch in Deutschland entwickelten Eisenbahner und Ingenieure der Bahnindustrie Triebzüge mit Dieselantrieb, die bis zu 160 Stundenkilometer schnell fahren konnten. Und an Bord allen erdenklichen Komfort boten: bequeme Sessel, gehobene Gastronomie. Selbst "Fräulein Zobel, die Zugsekretärin" stand zur Verfügung, wie einem Werbefilm der damaligen Bundesbahn aus den Sechzigerjahren zu entnehmen ist: Setzten zum Beispiel zwei Geschäftsleute im TEE einen Vertrag auf, stand die Sekretärin bereit, um ihn umgehend abzutippen. Mit seiner abgerundeten Spitze und der markanten TEE-Schrift an der Front wurde der dunkelrot lackierte Zug zu einer Stilikone der Wirtschaftswunderzeit. Wie der VW Käfer.

Auch im Osten entstand ein solcher Zug, der VT 18.16 (das Kürzel steht für "Verbrennungstriebwagen"). Und auch dort wurden Reklamefilme gedreht, um die "neue Art des Reisens" anzupreisen. Ein "fahrendes Hotel" sei der Dieseltriebzug aus dem traditionsreichen Waggonbauwerk in Görlitz, heißt es in dem Film, "die Bequemlichkeit beginnt schon beim Einsteigen." Um internationale Anerkennung ringend entsandte die DDR ihren Vorzeigezug, von dem insgesamt acht Garnituren gebaut wurden, bevorzugt ins Ausland. Als Vindobona befuhr er die Strecke vom Berliner Ostbahnhof über Prag nach Wien, als Neptun-Express ging es von der Hauptstadt aus gen Norden nach Rostock-Warnemünde und mit der Fähre weiter über die Ostsee bis ins dänische Kopenhagen. Der Berlinaren schließlich verband Ost-Berlin mit Malmö, und auch ins tschechische Karlovy Vary (Karlsbad) fuhren die damals hochmodernen Züge. Wenngleich die allermeisten DDR-Bürger freilich nie in den Genuss kamen, in eines der westlichen Ziele reisen zu dürfen, die Partei- und Staatsführung war dennoch stolz auf den VT 18.16.

Das Pendant in der DDR: Der VT 18.16. Als Vindobona verband er Ost-Berlin unter anderem mit Wien, als Neptun-Express die Hauptstadt mit Rostock-Warnemünden. (Foto: DB Museum/Carl-Ernst Zimmer)

Er sei "ein Symbol einer enger werdenden verkehrstechnischen Zusammenarbeit" zwischen der DDR und Dänemark, heißt es in einem Film über den Neptun-Express. Eben weil die Züge auch ins kapitalistische Ausland fuhren, legte stets auch die Staatssicherheit ein besonderes Augenmerk auf Vindobona und Co. Im Nürnberger DB-Museum findet sich ein ganzes Buch mit exakten Hinweisen für die Kontrolleure an den Grenzübergängen. In den Maschinenwagen an den beiden Enden des Zuges zum Beispiel machten die Stasi-Leute bei einer Inspektion "sehr günstige und vielseitige, schwer kontrollierbare Versteckmöglichkeiten" aus. Im Handbuch wurden die Grenzer dann angewiesen, bei ihren Kontrollen unter anderem einen Hohlraum unter den Liegen im Dienstabteil der Reichsbahner im Blick zu haben; in einer Nische "oberhalb des Öl-Geräteraums" sei sogar so viel Platz, dass sich dort fünf bis sechs Personen verstecken könnten.

Auch die Lokführer wurden von der Stasi intensiv durchleuchtet. Sowohl der westdeutsche TEE-Triebzug (genaue Bezeichnung: VT 11.5) wie auch der ostdeutsche Vindobona basierten auf einem Dieseltriebwagen, den die Reichsbahn noch vor dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hatte. "Sie haben einen gemeinsamen Urahn", sagt Wolfgang Ihrlich, Fuhrparkleiter des DB-Museums - den Kruckenberg-Versuchstriebwagen aus den Dreißigerjahren. In den Konstruktionszeichnungen lassen sich noch diverse Ähnlichkeiten feststellen, wenngleich sich der DDR-Triebzug in seiner äußeren Form viel stärker an den Kruckenberg-Urahn anlehnt als der westdeutsche Verwandte.

Beide stellten eine neue Art des Reisens als "fahrende Hotels" in Aussicht. (Foto: Marco Völklein)

Auf dem Freigelände des Nürnberger Bahnmuseums stehen beide Züge nun direkt nebeneinander. Ein westdeutscher TEE-Dieseltriebzug, Baujahr 1957, sowie zwei Teile einer Vindobona-Garnitur aus der DDR: ein Maschinenwagen mit Führerstand, 1000 PS starkem Dieselmotor, Dienstabteil für das Personal sowie einem Großraumabteil der zweiten Klasse. Und ein Speisewagen mit Küche, Anrichte und Abteilen der ersten Klasse.

Im Inneren wirkt noch immer der Charme der Nachkriegszeit nach. In der Küche des Speisewagens etwa sind die Wände und Einbauten in einem giftigen Grün lackiert, an den Fenstern hängen "Nicht hinauslehnen"-Hinweisschilder in vier verschiedenen Sprachen, eine davon ist Russisch. In der Toilette führte einst ein Rohr, versehen mit einer Klappe, die Hinterlassenschaften direkt aufs Gleis. Im Großraumwagen tüftelten die Ingenieure Klapptische an die Rücklehnen, "das hatten die sich im Flugzeugbau abgeguckt", sagt Kawinkel. Und fast jeder Sitz ließ sich mit nur wenigen Handgriffen drehen - je nachdem, wie die Passagiere sitzen wollten. Entweder alle in Fahrtrichtung oder in Vierergruppen angeordnet. "Eine findige Sache, damals schon", sagt Kawinkel. Und überall in den Waggons sind kleine Halterungen aus Metall angebracht - an die konnten die Schaffner ziemlich funzlige "Notlaternen" hängen, sollte mal die elektrische Beleuchtung ausfallen.

Sowohl der TEE als auch der Vindobona haben den gleichen Urahn aus den Dreißigerjahren: einen Dieseltriebwagen der Reichsbahn. (Foto: Uwe Niklas)

Mit der fortschreitenden Elektrifizierung zahlreicher Eisenbahnstrecken in Ost und West ging allerdings spätestens in den Achtzigerjahren die Ära der Dieselschnelltriebzüge zu Ende. Im Westen wurde der Triebzug-TEE durch mit E-Loks bespannte Schnellzüge abgelöst, auch im Osten schob die Reichsbahn die Neptun- und Vindobona-Züge nach und nach aufs Abstellgleis. Der in Nürnberg nun ausgestellte VT 18.16 fuhr noch bis in die Neunzigerjahre als Ausflugs- und Museumszug, sagt Fuhrparkleiter Ihrlich. Heute ist er nicht mehr betriebsfähig, auf das Museumsgelände musste er mit einer Diesellok rangiert werden. Dennoch ist Ihrlich froh, dass dieses Exemplar erhalten und nicht, wie sonst alles Altmetall, "zu Toastern verarbeitet wurde". Schließlich seien die Verbrennungstriebwagen damals "die Flaggschiffe der beiden Bahnen" gewesen.

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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